Название: Gesammelte Krimis (69 Titel in einem Buch: Kriminalromane und Detektivgeschichten)
Автор: Edgar Wallace
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788026822240
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Der Schneider lächelte nur nachsichtig, als Gordon meinte, es wäre doch wohl besser, wenn er sich den Anzug aus dunkelblauer Seide machen ließe.
Schließlich ließ sich Gordon überreden und bestellte den graukarierten Anzug. Er tröstete sich damit, daß er die Reise ja nicht auszuführen brauche. Fest verpflichtet war er unter keinen Umständen. Wenn er aber doch reisen würde, hatte er wenigstens beizeiten schon für die Ausrüstung gesorgt, und dieser Gedanke war in gewisser Weise auch beruhigend.
Doch ein Gedanke beschäftigte ihn stark. Er mußte doch irgendwie erreichbar sein, wenn unerwartete, geschäftliche Ereignisse sein persönliches Eingreifen erforderten.
Dies war in Wirklichkeit der Hauptgrund seiner Abneigung gegen diese Fahrt. Er konnte dieses Abenteuer ja nur unternehmen, wenn er noch einen Dritten ins Vertrauen zog. Diana war natürlich für diesen Posten unmöglich. Gordon kniff die Lippen zusammen und wiederholte in Gedanken die Ausdrücke, in denen er seinem Stellvertreter den Charakter seiner Reise erklären wollte. Aber sooft er auch versuchte, diese so merkwürdige und unglaublich klingende Geschichte in Worte zu fassen, war er ärgerlich und unzufrieden mit sich selbst. Er ließ alle in Frage kommenden Menschen an seinem Geist vorüberziehen und kam dabei immer wieder auf seinen Bruder Bobby zurück.
*
Robert G. Selsbury hatte ein Büro an der Mark Lane, wo er mit beträchtlichem Gewinn von zehn Uhr morgens bis vier Uhr nachmittags Tee, Kaffee und Zucker kaufte und verkaufte.
Als Gordon gemeldet wurde, prüfte Bobby gerade eine neue Teeprobe, die eben aus China eingetroffen war.
»Wie, Mr. Gordon Selsbury?« fragte Bobby ungläubig. »Bitten Sie ihn herein«, sagte er, als die Stenotypistin es bestätigte. »Nun, was ist denn los?«
Gordon nahm etwas steif auf einem Sessel Platz, setzte seinen funkelnden, tadellosen Zylinder auf den Tisch und zog langsam die Handschuhe aus.
»Robert, ich bin in einer unangenehmen Lage – und ich möchte dich um deine Hilfe bitten.«
»Geld kann es doch nicht sein – also hast du eine Liebesaffäre. Wer ist es denn?«
»Es handelt sich weder um Geld noch um Liebe«, widersprach Gordon etwas gereizt. »Es ist – nun ja, es ist eine sehr delikate Angelegenheit.«
Bobby pfiff, und Pfeifen kann unter Umständen sehr beleidigend wirken.
»Ich will dir die näheren Umstände erklären.« Aber er mußte erst mit sich selbst kämpfen und war schon nahe daran, eine Entschuldigung für seinen Besuch zu finden und sich wieder zu verabschieden.
»Kommst du wegen Diana?«
»Nein, nein, Diana hat mit der ganzen Sache nichts zu tun. Es handelt sich um folgendes, alter Junge …«
Der »alte Junge« gab Bobby zu denken. Das zeigte, daß sein Bruder nicht mehr ganz normal war. So hörte er denn gut zu, ohne ihn zu unterbrechen. Aber die Geschichte, die Gordon vorbrachte, war die lahmste, die Bobby jemals gehört hatte, das war die durchsichtigste Schwindelei, die jemals einer zweifelnden Mitwelt unterbreitet wurde.
»Wer ist denn eigentlich diese Mrs. van Oynne?« fragte er schließlich.
»Sie ist … nun, ja, ich möchte nicht über sie sprechen. Ich habe sie früher bei einem Diskussionsabend kennengelernt … sie ist einfach wundervoll!«
»Ja, das möchte ich auch sagen«, entgegnete Bobby trocken. »Du wirst natürlich nicht mit ihr verreisen?«
Es bedurfte nur dieser Frage, um Gordons Widerspruchsgeist zu entfesseln.
»Aber selbstverständlich werde ich das tun«, sagte er entschieden. »Ich brauche diesen Wechsel, ich muß einmal eine seelische Erholung haben.«
»Aber warum geht ihr denn nach Ostende, um über Seelenharmonie zu diskutieren? Wie wäre es denn mit Battersea-Park? Ich habe noch nie eine so verrückte Idee gehört! Wenn du dir in Ostende deinen guten Namen verderben willst, kannst du dich in Zukunft ebensogut Hochwohlgeboren Herr Wüstling nennen. Ich nehme ja an, daß du mir die Wahrheit sagst. Wenn mir das ein anderer erzählte, würde ich niemals im Zweifel sein, was ich darüber zu denken hätte – ich würde wissen, daß es eine dicke Lüge ist. Hast du eigentlich schon an Diana gedacht?«
Das war allerdings eine verwirrende Frage. Gordon erschrak.
»Aber ich sehe gar nicht ein, was Diana überhaupt damit zu tun hat! Was zum Teufel geht sie denn diese Sache an?«
»Sie wohnt doch bei dir und ist doch deine Hausgenossin«, sagte Bobby ernst. »Jeder Schatten, der deinen guten Namen trifft, fällt auch auf sie.«
»Sie kann doch fortgehen – ich wünschte sogar, sie würde fortgehen!« rief Gordon böse. »Du bildest dir doch nicht etwa ein, daß ich auch nur die Möglichkeit zugebe, daß sie meinen Plänen irgendwie im Wege steht? Sie ist ein Eindringling – in gewisser Weise verachte ich sie. Manchmal ist sie mir direkt verhaßt. Willst du mir nun helfen oder nicht?«
Dieses Ultimatum schleuderte er seinem Bruder über den Tisch entgegen. Aber Bobby war friedlich gestimmt, er wollte keinen Krieg.
»Ich nehme an, daß ich dir nicht zu viel zu telegrafieren habe. Es wird sich ja wohl nichts in deiner Abwesenheit ereignen. Aber welchen Bären willst du denn nun Diana aufbinden?«
Mr. Gordon Selsbury schloß müde die Augen.
»Ist es denn nicht gleichgültig, was ich ihr erzähle?«
Das war eine tapfere Antwort, aber er wußte ganz genau, daß er doch eine Geschichte erfinden mußte, und zwar eine glaubwürdige.
»Ich bin nicht zum Lügen geboren – kannst du nicht etwas ausdenken?«
Bobby nahm das Taschentuch, um sein Lachen zu verbergen.
»Ich danke dir auf den Knien für das Kompliment, daß ich ein so geschickter Lügner bin.« Aber die Ironie verfing bei Gordon nicht. »Vielleicht erzählst du ihr, daß du nach Schottland auf die Jagd gehst?«
»Es widerstrebt mir, unwahre Behauptungen aufzustellen«, sagte Gordon und verzog das Gesicht. »Warum muß ich ihr denn überhaupt etwas sagen? Wann fängt denn eigentlich die Jagd in Schottland an?«
»Sie hat bereits begonnen. Du gehst schon am besten nach Schottland, das liegt weit weg. Dort triffst du wahrscheinlich auch keine Bekannten, denn du bist ja überhaupt nicht da.«
Gordon war eigentlich die ganze Unterhaltung zuwider.
»Es ist mir widerwärtig, daß ich unwahre Geschichten erzählen soll. Warum soll ich mich wegen meines Kommens und Gehens verantworten? Das ist einfach abgeschmackt! Aber es ist wohl besser, wenn ich Aberdeen als das Ziel meiner Reise angebe!«
Diana! Von allen Gründen, die gegen die Ostender Reise sprachen, war die Rücksicht auf sie die geringfügigste.
Gordon ging jetzt schon bei der Erwähnung ihres Namens hoch. Als er seine Wohnung in Cheynel Gardens erreicht hatte, war die Reise nach Ostende eine festbeschlossene Sache, die unwiderruflich war.
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