Название: Die wichtigsten historischen Romane von Henryk Sienkiewicz
Автор: Henryk Sienkiewicz
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788027211517
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Plötzlich erhob sich ein Wind, der den Nebel zerteilte. Das von der Abendröte vergoldete Firmament ward sichtbar. Bläulich violett schimmerte der Schnee. Der Frost ließ nach, die Nacht versprach, schön zu werden. Nur die Wache befand sich noch auf der Zinne; die Krähen und Raben flogen von dem Galgen hinweg, dem Walde zu. Dunkler und dunkler wurde es, eine völlige Stille trat ein.
»Erst in der Nacht werden sie mir das Thor öffnen,« dachte Jurand.
Während eines Augenblickes erwog er es ernstlich, ob er nicht in das Städtchen zurückkehren solle, rasch verwarf er aber wieder diesen Gedanken. Es ist ihr Wille, daß ich hier stehe, sagte er sich. Wenn ich mich auch jetzt von hier entferne, lassen sie mich doch nicht wieder ziehen. Sie werden mich umzingeln, und weil sie sich dann meiner gewaltsam bemächtigt haben, erklären, sie seien mir zu nichts verpflichtet. Was nützt es daher, hinweg zu reiten, ich muß ja doch wieder zurückkehren.
Die von fremden Chronisten gerühmte, erstaunliche Ausdauer der polnischen Ritter im Ertragen von Kälte, Hunger und Beschwerden aller Art, befähigte diese häufig zum Vollbringen von Thaten, welche auszuführen die verweichlichteren Bewohner des Westens niemals im stande gewesen wären. Jurand aber besaß diese Ausdauer in noch höherem Maße als alle andern. Wenn sich ihm daher auch vor Hunger die Eingeweide zusammenzogen, wenn ihn auch die nächtliche Kühle trotz des über die Rüstung geworfenen Pelzes erschauern machte, er hielt auf seinem Posten aus, er hätte selbst dem Tode zu trotzen gewagt.
Plötzlich indessen – es herrschte schon fast tiefe Nacht – hörte er hinter sich feste Schritte auf dem knirschenden Schnee.
Sich umschauend, gewahrte er sechs Männer von der Stadt her des Weges kommend. Sie alle waren mit Lanzen und Hellebarden bewaffnet, während ein siebenter, der in ihrer Mitte einherging, ein Schwert trug. »Vielleicht wird jetzt das Thor geöffnet, und ich komme auch hinein,« dachte Jurand. »Mit Gewalt werden sie mich doch nicht ergreifen wollen, sie werden auch nicht versuchen, mich zu töten, denn ihre Zahl ist zu gering dazu. Planen sie aber doch einen Angriff auf mich, so dient mir dies als Beweis, daß sie ihr Versprechen nicht zu halten gedenken, und dann wehe ihnen.«
Unverweilt ergriff er die stählerne Streitaxt, welche am Sattel hing und welche so schwer war, daß jeder andere Mann sie nur mit zwei Händen hätte fassen können, und wendete sein Roß ihnen zu.
Jene aber dachten nicht daran, ihn zu überfallen. Im Gegenteile, die Kriegsknechte stießen sofort die Lanzen und Hellebarden in den Schnee, wobei ihnen indessen, wie Jurand, da er sich ganz in ihrer Nähe befand, deutlich bemerkte, die Hand doch ein wenig zitterte.
Der siebente Kriegsknecht, welcher außerdem der älteste zu sein schien, streckte sofort den linken Arm aus und fragte, mit dem Finger vor sich deutend: »Seid Ihr, Herr Ritter, Jurand aus Spychow?«
»Ich bin es.«
»Wollt Ihr hören, weshalb ich hierher gesandt ward?«
»Ich höre.«
»Der tapfere und mächtige Komtur von Danveld befahl mir, Euch zu sagen, o Herr, daß wenn Ihr nicht vom Pferde steigt, Euch das Thor nicht geöffnet werde.«
Während einiger Minuten saß Jurand ganz bewegungslos da, dann stieg er rasch vom Pferde, auf das sofort einer der Lanzenträger sprang.
»Die Waffen müßt Ihr uns auch ausliefern,« ließ sich aufs neue der Söldner mit dem Schwerte vernehmen.
Der Gebieter von Spychow zauderte eine geraume Zeit. »Wie,« so fragte er sich, »wenn sie dann auf mich Unbewaffneten stürzen, wenn sie mich wie ein wildes Tier niederstoßen? Oder könnten sie mich nicht auch ergreifen und in einen unterirdischen Kerker werfen? Doch nein, wenn sie einen Ueberfall planten, wären sie dann nicht in größerer Zahl erschienen, hätten sie es nicht unterlassen, ihre Waffen so nahe bei mir in den Schnee zu stoßen? Würde es dann nicht ein Leichtes für mich sein, die erste beste Waffe an mich zu reißen und alle zu erschlagen, bevor Hilfe eintreffen kann? Nein, dazu kennen sie mich zu gut.«
»Doch wenn dies auch der Fall wäre,« fragte er sich weiter, »wenn mein Blut fließen soll, was zaudere ich? Habe ich denn etwas anderes erwartet, als ich mich hier einstellte?«
Ohne noch lange zu zögern, warf er nun zuerst die Streitaxt, dann sein Schwert und schließlich das Misericordia von sich und harrte abermals der Dinge, die da kommen sollten. Rasch nahmen die Lanzenträger und Hellebardiere die Waffen an sich, während jener, der Jurand zuvor angeredet hatte, sich diesem noch mehr näherte, vor ihm stehen blieb und mit erhobener Stimme kühn also zu sprechen anhub: »Für all die Beschimpfungen, welche Du dem Orden zugefügt hast, sollst Du Dich nun, so lautet der Befehl des Komturs, in diesen härenen Sack hüllen, die Scheide dieses Schwertes an einem Stricke um den Hals hängen, und so lange vor dem Thore wartend stehen, bis es Dir durch die Gnade des Komturs geöffnet werden wird.«
Kaum waren diese Worte verklungen, so stand Jurand wieder allein in der Dunkelheit und in der nächtlichen Stille. Vor ihm auf dem Schnee lagen das Bußgewand und der Strick. Lange schaute er darauf. Ihm war es, als ob in ihm etwas entzwei gegangen, als ob etwas in ihm vernichtet und erstorben sei, ihn dünkte, er sei nicht mehr der gewaltige Ritter, nicht mehr Jurand aus Spychow, sondern ein armseliger Sklave ohne Namen, ohne Ruhm, ohne Ehre.
Erst nach Verlauf einiger Minuten machte er etliche Schritte vorwärts, indem er laut sagte: »Was soll ich thun? Du, Christus, Du weißt es: mein unschuldiges Kind erwürgen sie, wenn ich nicht alles ausführe, was sie befehlen. Und Du weißt es auch, daß ich um des eigenen Lebens willen mich niemals zu einem solchen Thun verstanden hätte! Bitter ist’s, Schmach und Schande auf sich zu nehmen! Schmerzlich ist es! Doch auch Du hast vor dem Kreuzestode Schmach und Schande erlitten. Es sei denn … Im Namen des Vaters und des Sohnes.«
Rasch beugte er sich nieder, hüllte sich in den Sack, in dem Löcher für den Kopf und die Arme eingeschnitten waren, schlang sich den Strick mit der Scheide des Schwertes um den Hals und schleppte sich an das Thor.
Doch nach wie vor blieb dasselbe geschlossen. Was kümmerte es aber nun noch den Gebieter von Spychow, ob das Thor ihm früher oder später geöffnet werde! In nächtlichem Schweigen lag die Burg. Dann und wann nur zeigte sich die Wache auf der Brustwehr. Ein einziges, hoch oben gelegenes Fenster des am Thore stehenden Turmes war erhellt, aus keinem der andern erstrahlte auch nur der geringste Lichtschein.
Langsam schwanden die Stunden dahin. Am Himmel stieg die Mondsichel empor und warf ihren silbernen Schimmer auf die finstere Burg. Eine solche Stille herrschte, daß Jurand das Klopfen des eigenen Herzens hätte hören können. Allein er schien wie erstarrt, wie versteinert zu sein. Ueber nichts vermochte er sich Rechenschaft zu geben, ihm war, als ob seine Seele schon entflohen sei. Ein Gedanke allein verfolgte ihn … Nein, er war nicht mehr der gewaltige Ritter Jurand aus Spychow – zu was er aber herabgesunken war – darüber konnte er nicht klar werden … Zuweilen kam es mich über ihn, als ob von jenem Galgen her der Tod leise, leise über den Schnee zu ihm heran schleiche …
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