Historische Romane: Die vierzig Tage des Musa Dagh, Verdi, Das Lied von Bernadette, Eine blassblaue Frauenschrift und mehr. Franz Werfel
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Historische Romane: Die vierzig Tage des Musa Dagh, Verdi, Das Lied von Bernadette, Eine blassblaue Frauenschrift und mehr - Franz Werfel страница 141

СКАЧАТЬ ihrer vorerst nicht. Es war immer dasselbe. Tauchte Sato irgendwo auf, wurden alle Blicke sofort abweisend und wandten sich mit einem schamvollen und strengen Ekel von dem Geschöpf ab. Das Gefühl für die »Unberührbarkeit«, das Pariatum Satos war in jedermann vorhanden, obwohl ja für den Christen alle Kreaturen der Geburt nach vor Gott den gleichen Rang haben. Auch jetzt gingen die sorgenernsten Männer, der fuchtelnden Närrin scheinbar nicht achthabend, an ihr ruhig vorbei. Der letzte in der Schar aber, Muchtar Thomas Kebussjan, blieb plötzlich stehn und drehte sich nach Sato um. Dieses Überwundensein wirkte auf die anderen so stark, daß auch sie stehenblieben und mit bösen Augen die Zeichengeberin musterten. Dies also hatte Satos Kraft zunächst erreicht. Immer gebannter betrachteten die Führer das garstige Ding, das sich wahrhaftig wie eine Besessene unter einem unreinen Einfluß zu winden schien. Satos Augen zwinkerten, die dünnen Beine unter dem einst so artigen Röckchen zuckten, der verzogene Mund, wie ihn sonst nur Taubstumme haben, würgte an einem Lautklotz, die rudernden Hände wiesen immer in die Richtung der Blumenbüsche und des Meeres. Die Suggestion, die von ihrem Gehaben ausging, entkräftete nach und nach den Widerstand der Männer. Sie traten näher an Sato heran, und Ter Haigasun fragte sie unwillig, was es hier gebe und was sie zu berichten habe. Ihr gelbliches Zigeunergesicht verzerrte sich. Sie zwinkerte verzweifelt, als sei es ihr unmöglich zu antworten. Um so heftiger aber wiederholte sie ihre eifrigen Hinweise in die Richtung des Meeres. Die Männer sahen einander an. Ihnen allen ging gleichzeitig ein und derselbe Gedanke fragend durch den Kopf: Ein Kriegsschiff? So wenig man auch mit diesem aufgelesenen Bankert zu tun haben wollte, jeder auf dem Damlajik wußte, daß Sato eine unübertreffliche Ausspäherin war. Vielleicht hatten ihre widerlichen Luchsaugen über dem fernsten Meereshorizont die Ahnung einer Rauchfahne entdeckt, die niemand sonst sehen konnte. Ter Haigasun stieß sie leicht mit seinem Stock an und gebot ihr kurz:

      »Auf! Vorwärts! Zeig uns, was du weißt!«

      Sie hüpfte stolz auf und begann vorzulaufen, von Zeit zu Zeit innehaltend, um die Männer hinter sich her zu winken. Manchmal auch legte sie die Hand an den Mund zum flehentlichen Zeichen, man möge ja keinen Laut von sich geben, noch auch mit den Schritten Lärm machen. Von seltsamer Erregung erfaßt, tat wirklich niemand den Mund auf. Alle gingen auf leisen Füßen und mit vorsichtig zusammengefaßten Körpern, dem Einfluß der kleinen Führerin und einer tiefen Neugier plötzlich verfallen. An Buchs und Arbutus vorbei gelangte man zu dem dichten lederblättrigen Strauchwerk, das auf einem breiten Band die Steilseite des Berges abgrenzt. Durch dieses dunkle und kühle Gebüsch zogen sich überall Lücken, verschlungene Gassen und Gänge. Eine Quelle schlängelte sich hindurch, um dann als Kaskade und Schleierfall die Wände hinabzustürzen. Hier und dort stieg eine Pinie oder ein immergrün umschlungener Felsblock aus der Wirrnis. Sonst erinnerte nichts an eine rauhe Bergeshöhe. Man hätte an manchen Stellen beinahe den Eindruck eines künstlich angelegten Labyrinths in einem südlichen Park gewinnen können. Auf seinen vielen strategischen Streifzügen in den vorbereitenden Wochen hatte Gabriel Bagradian diesen wahrhaftig paradiesischen Teil des Damlajik kaum berührt. Doch wie schön und kühl es hier auch war, er ging jetzt als letzter in der Schar, mit einer unbehaglichen und widerstrebenden Schwere in den Beinen.

      Sato hatte den Weg durch die Irrgänge des Gesträuches so durchtrieben gewählt, daß die Männer mit einem Mal auf dem Lieblingsplatz der Liebenden, einer kleinen, gegen das Meer offenen Lichtung, unversehens standen. Die Überraschung betäubte Juliette und Gonzague, die sich verborgener wähnten denn je, wie ein niedersausender Schlag. Einer der endlosen Entsetzens-Augenblicke hob an, dessen sich derjenige, welcher ihn als Opfer durchdulden mußte, noch in spätester Zeit nur mit dem brennenden Wunsche erinnern kann, nie gelebt zu haben. Gabriel kam noch zurecht, um zu sehen, wie Gonzague Maris aufsprang und mit blitzschneller Gewandtheit seine Person in Ordnung brachte. Juliette aber saß regungslos auf der Erde, mit hängendem Haar und entblößten Schultern, rechts und links die Hände ins Gras gekrampft. Sie starrte Gabriels Erscheinung wie eine Blinde an, die nicht mit den Augen, sondern mit allen anderen Sinnen sieht. Der Vorgang entwickelte sich stumm und fast ohne Geste. Gonzague, der sich einige Schritte weit zurückgezogen hatte, verfolgte ihn mit dem gewinnenden und genauen Lächeln eines Fechters. Die fremden Männer, Ter Haigasun zuvörderst, kehrten mit starren Mienen der Frau den Rücken zu, als sei es ihnen unmöglich, ihre eigene Scham noch länger zu ertragen. – Die Armeniersöhne der Gebirge zwischen Kaukasus und Libanon sind ein Volk von unerbittlicher Keuschheit. Kochendes Blut neigt immer zur Strenge und nur das laue ist nachsichtig. Kein Sakrament halten diese Christen so hoch wie das der Ehe und blicken deshalb mit Verachtung auf den Weiber-Mischmasch des Islams herab. – Diese Männer hier, die jetzt ihre Gesichter von der Schande abkehrten, wären wahrscheinlich Gabriel Bagradian nicht in den Arm gefallen, wenn er der Sache mit zwei Revolverschüssen ein rasches und radikales Ende bereitet hätte. Ter Haigasun nicht und Pastor Tomasian nicht, obgleich dieser drei Jahre lang in der Schweiz gelebt hatte. Hrand Oskanian aber neigte sich über sein Mausergewehr, ohne das er keinen Schritt machte. Es sah so aus, als richte der schwarze Lehrer den Lauf gegen seinen eigenen Mund und suchte mit den Augen nur noch die praktische Möglichkeit, den Schuß zu lösen. Er hatte zu dieser symbolischen Gebärde guten Grund, da sich die Madonna seiner einzigen Anbetung in ihm für immer verunreinigt hatte.

      Die unzugänglichen Rücken der Männer warteten lange. Es geschah nichts. Kein Schuß aus Bagradians Armeepistole fiel. Als sie nach einer Weile ihre Köpfe wieder der Wirklichkeit zuwandten, sahen sie, daß Gabriel die kauernde Frau an den Händen faßte und ihr aufhalf. Juliette versuchte zu gehen, doch ihre Füße gehorchten ihr nicht. Da stützte sie Gabriel Bagradian unter beiden Ellenbogen und führte sie zwischen den Myrtensträuchern hinweg, wie man ein Kind führt.

      Mit unversöhnten Augen verfolgten die Männer das Unglaubliche. Dann brummte Ter Haigasun zwei kurze Worte, und langsam verließen sie, jeder für sich, die Stätte. Sato lief hinter dem Priester her, als habe sie von dem Oberhaupt des Volkes einen Lohn für die Nützlichkeit zu fordern.

      Kein Blick traf den Fremden mehr, der allein zurückblieb.

      Ein Volk kann ohne Bewunderung nicht auskommen, doch ebensowenig ohne Haß. Längst war auch in der Stadtmulde Haß fällig. Es fehlte nur das Ziel, gegen das er sich richten konnte. Der Haß gegen die Türken und den Staat? Der war zu überdimensional und folglich nur insoweit vorhanden, wie die Luft und der Raum vorhanden ist, als Voraussetzung des Lebens, die man nicht zur Kenntnis nimmt. Der Haß der engen Nachbarschaften? Wen konnten diese Reibereien des Alltags befriedigen? Nicht einmal die keifenden Weiber. Dies alles führte zu nichts anderem als zu kleinlichen Rechtsstreitigkeiten, die Ter Haigasun als Richter an jedem Freitag in schneller Prozeßfolge, ehe man sich's noch versah, durch ein Machtwort oder eine kleine Buße schon geschlichtet hatte. Ein andres Bett mußten sich jene Ströme der Verneinung graben, die sich trotz der blutigen Schlachten und harten Entbehrungen im Herzen der Gesellschaft angesammelt hatten. Es gehört aber zu den Geheimnissen des öffentlichen Lebens, daß der Zufall solchen konzentrierten Mißempfindungen der Masse immer ein entsprechendes Geschehnis prompt zur Verfügung stellt.

      Ehe die Männer jene peinliche Stätte verließen, hatte ihnen Ter Haigasun ein paar kurze Worte zugerufen. Diese Worte enthielten die strenge Mahnung, das Geschehene unbedingt geheimzuhalten, denn der Priester ahnte nur zu genau die widrigen Folgen, sollte der Skandal zu Ohren des Lagervolkes kommen. Ter Haigasun hatte in seiner Mahnung mit Männern gerechnet, doch nicht mit Ehemännern. Muchtar Thomas Kebussjan war trotz allem großartigen und würdegetränkten Anschein, den er sich gab, ein hervorragender Pantoffelheld. Ein solches Erlebnis konnte er nicht bei sich tragen, ohne es mit seiner energischen und wissensdurstigen Madame zu teilen. Sein Bedürfnis, die Klatschgier der starkgemuten Ehehälfte bestens zu bedienen, ging so weit, daß er sogleich nach Hause stürzte, um seinen drückenden Schatz nach Entgegennahme von hundert Schweigebeteuerungen an die Frau zu bringen. Madame Kebussjan hatte den Bericht kaum zu Ende gehört, als sie mit hochrotem Gesicht ihren Seidenschal um die Schultern warf und das Blockhaus verließ, um die andern Muchtarinnen aufzusuchen, die Damen der guten Gesellschaft gewissermaßen, die unter ihrem Protektorat standen. Für alles andre sorgte Sato. Sie erlebte jetzt einen dreifachen Triumph. Erstens hatte sie dem Effendi etwas angetan, von dem er sich nicht bald erholen würde. Zweitens СКАЧАТЬ