Die beliebtesten Geschichten, Sagen & Märchen zur Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe). Walter Benjamin
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Читать онлайн книгу Die beliebtesten Geschichten, Sagen & Märchen zur Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe) - Walter Benjamin страница 20

СКАЧАТЬ schwere Tür zumachte, ging er doch durch die Zimmer, um zu sehen, ob alles in Ordnung sei. Er erinnerte sich des Gesichtes noch zu nachdrücklich, als daß er nicht dieses Bedürfnis gehabt hätte.

      Wohnzimmer, Schlafzimmer, Rumpelkammer, alles war, wie es sein sollte. Niemand unter dem Tisch, niemand unter dem Sofa; ein kleines Feuer auf dem Rost, Löffel und Teller bereit, und das kleine Töpfchen Suppe (Scrooge war erkältet) an dem Feuer. Niemand unter dem Bett, niemand in dem Alkoven, niemand in seinem Schlafrock, der in ganz verdächtiger Art an der Wand hing. Die Rumpelkammer wie gewöhnlich. Ein alter Kaminschirm, alte Schuhe, zwei Fischkörbe, ein dreibeiniger Waschtisch und ein Feuerhaken.

      Vollkommen zufrieden, machte er die Tür zu, schloß sich ein und riegelte noch zu, was sonst seine Gewohnheit nicht war. So gegen Überraschung gesichert, legte er seine Halsbinde ab, zog seinen Schlafrock und die Pantoffel an, setzte die Nachtmütze auf und setzte sich vor das Feuer, um seine Suppe zu löffeln.

      Es war wirklich ein sehr kleines Feuer, so gut wie gar keins in einer so bitterkalten Nacht. Er mußte sich dicht daran setzen und sich darüber beugen, um das geringste Wärmegefühl von einer solchen Handvoll Kohlen zu genießen. Der Kamin war vor vielen Jahren von einem holländischen Kaufmann errichtet worden und ringsum mit seltsamen holländischen Fliesen belegt, die bestimmt waren, die Heilige Schrift zu illustrieren. Da sah man Kain und Abel, Pharaos Töchter, Königinnen von Saba, Engel durch die Luft auf den Wolken gleich Federbetten herabschwebend, Abraham, Belsazar, Apostel in See gehend auf Marktschiffen, Hunderte von Figuren, seine Gedanken zu beschäftigen; und doch kam das Gesicht Marleys wie der Stab des alten Propheten und verschlang alles andere. Wenn jede glänzende Fliese blank und vermögend gewesen wäre, aus den zerstreuten Fragmenten von Scrooges Gedanken ein Bild auf seine Fläche zu zaubern, auf jedem wäre ein Abbild von des alten Marleys Gesicht erschienen.

      »Dummes Zeug!« sagte Scrooge und schritt im Zimmer auf und ab.

      Nachdem er einigemal hin-und hergegangen war, setzte er sich wieder nieder. Als er den Kopf in den Stuhl zurücklegte, blieb sein Blick wie von ungefähr an der Glocke hängen, an einer alten, nicht mehr gebrauchten Glocke, die zu einem jetzt vergessenen Zweck mit einem Zimmer in dem obersten Stockwerk in Verbindung stand. Es befiel ihn großes Erstaunen und ein seltsamer unerklärlicher Schauer, als die Glocke anhub, sich zu bewegen; erst bewegte sie sich so sachte, daß sie kaum einen Ton von sich gab; aber bald läutete sie laut und mit ihr alle Glocken des Hauses.

      Dies mochte eine halbe Minute oder eine Minute gedauert haben, aber es schien eine Stunde zu sein. Die Glocken hörten gleichzeitig auf, wie sie gleichzeitig angefangen hatten. Darauf vernahm man ein klirrendes Geräusch, tief unten, als ob jemand eine schwere Kette über die Fässer in des Weinhändlers Keller zerrte. Jetzt erinnerte sich Scrooge, gehört zu haben, daß Gespenster Ketten schleppen sollten.

      Die Kellertür flog mit einem dumpfdröhnenden Krachen auf, und dann hörte er das Klirren viel lauter auf dem Hausflur unten; dann wie es die Treppe heraufkam; und dann wie es gerade auf seine Tür zukam.

      »Es ist dummes Zeug«, sagte Scrooge. »Ich glaube nicht daran.«

      Marleys Geist erscheint Scrooge.

      Aber er wechselte die Farbe, als es, ohne zu verweilen, durch die schwere Tür und in das Zimmer kam. Als es hereintrat, flammte das sterbende Feuer auf, als ob es riefe: »Ich kenne ihn, Marleys Geist!« und fiel wieder zusammen.

      Dasselbe Gesicht, ganz dasselbe. Marley mit seiner Zopfperücke, seiner gewöhnlichen Weste, den engen Beinkleidern und hohen Stiefeln, deren Quasten sträubten sich wie sein Zopf und seine Rockschöße und das Haar auf seinem Kopf. Die Kette, die er hinter sich herschleppte, war mitten um seinen Körper geschlungen. Sie war lang und wand sich wie ein Schweif und war (denn Scrooge betrachtete sie sehr genau) aus Geldkassetten, Schlüsseln, Schlössern, Hauptbüchern, Verträgen und schweren Börsen aus Stahl zusammengesetzt. Sein Leib war durchsichtig, so daß Scrooge durch die Weste hindurch die zwei Knöpfe rückwärts auf seinem Rock sehen konnte.

      Scrooge hatte oft behaupten gehört, Marley habe kein Herz im Leibe, aber er hatte es bis jetzt nicht geglaubt.

      Nein, er glaubte es auch jetzt nicht einmal. Obwohl er das Gespenst durch und durch vor sich stehen sah; obwohl er den erfrieren machenden Schauer seiner totkalten Augen fühlte und selbst den Stoff des Tuches erkannte, das um seinen Kopf und sein Kinn gebunden war, und das er früher nicht bemerkt hatte, war er doch noch ungläubig und verwahrte sich gegen die Eindrücke seiner Sinne.

      »Nun«, sagte Scrooge, barsch und kalt wie gewöhnlich, »was wollt Ihr?«

      »Viel!« Das war Marleys Stimme; kein Zweifel.

      »Wer seid Ihr?«

      »Fragt mich, wer ich war.«

      »Nun, wer waret Ihr denn?« sagte Scrooge lauter. »Ihr seid ein besonderes Exemplar für ein Gespenst.« Er wollte sagen »als Gespenst«; aber er ersetzte das »als« durch »für ein«, um auf alle Fälle sich zu sichern.

      »Als ich lebte, war ich Euer Kompagnon, Jakob Marley.«

      »Könnt Ihr auch sitzen?« fragte Scrooge und sah ihn zweifelnd an.

      »Ich kann es.«

      »Dann bitte!«

      Scrooge stellte die Fragen, weil er nicht wußte, ob ein so durchsichtiges Gespenst sich werde setzen können, und fühlte, daß er ihn recht unangenehm hätte zur Rede stellen können, wenn jener dies nicht gekonnt hätte.

      »Ihr glaubt nicht an mich?« fragte der Geist.

      »Nein«, sagte Scrooge.

      »Welchen Beweis wollt Ihr, außer dem Eurer Sinne, von meiner Wirklichkeit haben?«

      »Ich weiß nicht«, sagte Scrooge.

      »Warum glaubt Ihr Euren Sinnen nicht?«

      »Weil eine Geringfügigkeit sie stört«, sagte Scrooge. »Eine kleine Störung im Magen macht sie zu Lügnern. Ihr könnt ein unverdautes Stück Rindfleisch, ein Senfklecks, eine Käserinde, ein Stückchen schlechter Kartoffel sein. Wer Ihr auch sein mögt, Ihr seid mehr Unterleib, als Unterwelt.«

      Es war nicht eben Scrooges Art, Witze zu machen, auch fühlte er jetzt keine besondere Lust dazu. Die Wahrheit war, daß er sich bestrebte, aufgeräumt zu sein, überlegen zu erscheinen, um seine Aufmerksamkeit auf das Gespenst zu verjagen und um sein Entsetzen niederzuhalten; denn die Stimme des Geistes machte selbst das Mark in seinen Gebeinen erzittern.

      Nur einen Augenblick schweigend diesen starren, erfrorenen Augen gegenüberzusitzen, würde ihn wahnsinnig machen, das empfand Scrooge wohl. Auch war die Tatsache so grauenerregend, daß das Gespenst seine eigene höllische Atmosphäre hatte. Scrooge fühlte sie zwar nicht selbst, aber doch mußte es der Fall sein. Obwohl nämlich das Gespenst ganz regungslos dasaß, bewegten sich seine Haare, seine Rockschöße und seine Stiefelquasten wie von der erhitzten Luft eines Ofens.

      »Ihr seht diesen Zahnstocher«, sagte Scrooge und nahm aus dem eben angeführten Grund seine Attacke wieder auf, von dem Wunsch beseelt, wenn auch nur für einen Augenblick den starren, eisigen Blick des Gespenstes von sich abzuwenden.

      »Ja«, antwortete der Geist.

      »Ihr seht ihn ja nicht an«, sagte Scrooge.

      »Aber СКАЧАТЬ