Название: Selbstbetrachtungen
Автор: Marc Aurel
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: Kleine philosophische Reihe
isbn: 9783843800136
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3.
Hippokrates, der doch so viele Krankheiten geheilt hatte, erkrankte auch und starb. Die Chaldäer hatten vielen ihren Tod vorhergesagt, doch auch sie raffte hernach dasselbe Schicksal dahin. Nachdem Alexander, Pompejus und Cäsar so oft ganze Städte von Grund aus zerstört und viele Tausende in Schlachten gefällt hatten, mussten sie am Ende selbst aus diesem Leben scheiden. Heraklit hatte über den Weltuntergang durch Feuer so viele naturphilosphische Betrachtungen angestellt und starb zuletzt, in Rindsdünger gehüllt, an der Wassersucht. Den Demokrit brachten die Läuse ums Leben, den Sokrates Ungeziefer in Menschengestalt. Wozu diese Bemerkungen? – Auch du bist aufs Schiff gestiegen, bist abgefahren, bist in den Hafen eingelaufen. So steig nun aus! Geht’s in ein anderes Leben – so ist ja nichts ohne Götter, auch dort nicht! Geht’s aber in einen Zustand der Fühllosigkeit – nun so brauchst du doch nicht mehr Schmerzen und Freuden erdulden, noch dich von einem Behälter knechtisch einengen lassen, der umso unedler ist, je größere Vorzüge der darin Dienende besitzt. Denn dieser ist der vernünftige Geist, der Genius in dir, jener hingegen nur Erde und Verwesliches.
4.
Verschwende nicht den noch übrigen Teil deines Lebens mit müßigen Gedanken um andere, sofern sie keinen Bezug auf etwas Gemeinnütziges haben. Denn du versäumst damit ein anderes Geschäft, wenn du darüber nachsinnst, was dieser und jener tut und warum er’s tut, was er sagt, was beabsichtigt und was anstellt, und was dergleichen sonst noch dich von der Beachtung deiner herrschenden Vernunft abziehen mag. Wir müssen also das Unüberlegte und Vergebliche aus der Reihe unserer Vorstellungen zu beseitigen suchen, allermeist aber die müßige und bösartige Neugier, und uns dagegen nur an solche Vorstellungen gewöhnen, über die wir, wenn jemand uns mit der Frage überraschte: »Was denkst du im Augenblick?«, sofort mit Freimütigkeit Bescheid geben könnten: »Dies und das dachte ich«, sodass man daraus sogleich ersehen könnte, hier ist alles lauter und wohlwollend in Gedanken, wie man es von einem geselligen Wesen erwarten kann, das alle Vorstellungen der Wollust oder der Genusssucht überhaupt, desgleichen der Streitsucht, des Neides, des Argwohnes und anderes der Art sich aus dem Sinn schlägt, wovon du nur mit Schamröte gestehen könntest, dass du dich innerlich damit beschäftigt habest. Wahrlich ein solcher Mann, der es keinen Augenblick aufschiebt, sich der Zahl der Besten anzureihen, erscheint als ein Priester und Gehilfe der Götter und zieht Gewinn von dem Genius, dem sein Inneres zur Wohnung angewiesen ward. Dieser macht aus dem Menschen ein Wesen, unbefleckt von Lüsten, durch keine Unlust verletzbar, durch keine Kränkung gebeugt, gegen jegliche Bosheit unempfindlich, einen Kämpfer im größten Kampfe – von keiner Leidenschaft besiegt zu werden –, tief durchdrungen vom Geist der Gerechtigkeit und von ganzer Seele zufrieden mit dem, was ihm begegnet, was ihm beschert wird. Selten und nicht ohne dringende Not und nur in gemeinnütziger Absicht denkt er daran, was wohl ein anderer sage oder tue oder meine; denn nur was in den Kreis seiner Pflichten gehört, ist Ziel seiner Tätigkeit, und was im Gewebe des Ganzen das Schicksal ihm gesponnen hat, Gegenstand seines anhaltenden Nachdenkens. Jenen füllt er mit löblichem Eifer aus, dieses nimmt er in gutem Glauben an. Ist ja doch das jedem beschiedene Schicksal ihm zuträglich, weil es sich für ihn zuträgt. Auch dessen ist er stets eingedenk, dass alle vernünftigen Wesen miteinander in Verwandtschaft stehen und dass es der Natur des Menschen angemessen sei, alle Menschen zu lieben, man dagegen nicht nach dem Beifall aller, sondern nur derjenigen trachten solle, welche naturgemäß leben. Wie aber die, welche nicht so leben, in und außer dem Hause, bei Tag und bei Nacht, sich benehmen und mit was für Leuten sie sich gemein machen, dessen ist er immer eingedenk. Auf das Lob solcher Menschen, welche nicht einmal sich selbst genügen, legt er nicht den geringsten Wert.
5.
Tue nichts mit Widerwillen, nichts ohne Rücksicht aufs Gemeinwohl, nichts ohne Prüfung, nichts um Hin und Her der Leidenschaft. Schmücke deine Gedanken nicht mit schönen Redensarten; sei nicht geschwätzig, noch auch vielgeschäftig. Immer sei der Gott in dir Führer eines gediegenen, gereiften, staatsklugen Mannes, eines Herrschers, der sich selbst eine Stellung angewiesen hat, in welcher er, ohne eines Eidschwures oder eines Menschenzeugnisses zu bedürfen, fertig des Rufes wartet, der ihn aus diesem Leben abruft. Eines aber lass dir gesagt sein: Sei heiter und nicht bedürftig der Dienste, die von außen kommen, auch nicht bedürftig des Friedens, welchen andere gewähren. Aufrecht musst du stehen, ohne aufrecht gehalten zu werden.
6.
Kannst du im menschlichen Leben etwas Besseres finden als Gerechtigkeit, Einsicht, Selbstbeherrschung, Tapferkeit, mit einem Wort, als eine Gemütsverfassung, wo du in dem, was Gegenstand eines vernunftmäßigen Handelns ist, mit dir selbst, und in allem, was dir ohne dein Zutun beschieden wird, mit dem Schicksal zufrieden bist; kannst du, sage ich, etwas entdecken, das besser ist als dies, so wende dich dem mit voller Seele zu, und freue dich des aufgefundenen Besten. Erscheint dir aber nichts besser als der in dir thronende Genius, welcher die eigenen Triebe sich unterwürfig gemacht und, indem er seine Vorstellungen genau prüft, von den Vorspiegelungen der Sinne, wie Sokrates zu sagen pflegte, sich losgerissen und den Göttern untergeordnet hat und für Menschenwohl Sorge trägt – findest du, gegen dies gehalten, alles andere gering und unbedeutend, so gib keinem andern Ding Raum! Denn hast du dich einmal für ein solches Ding entschieden und ihm dich zugeneigt, so wirst du jenem Gute, das so recht dir zugehört, nicht mehr ungeteilt den Vorrang einräumen können. Denn einem Gute, welches auf das vernünftige und staatsbürgerliche Leben Bezug hat, irgendetwas Fremdartiges, wie den Beifall der Menge oder Ehrenstellen, Reichtum oder Sinnengenüsse, an die Seite setzen, wäre Unrecht; würde ja doch dies alles, wenn es dir anfangs auch nur wenig zu taugen schiene, dich mit einem Mal ganz in Beschlag nehmen und mit sich fortreißen. Du vielmehr, sage ich, wähle mit offenem und freiem Sinn das Bessere und halte an demselben fest. Das Bessere aber ist auch das Nützliche, und wenn es dir als vernünftigem Wesen nützt, so bewahre es, wenn aber nur als tierischem, so erkläre dich dagegen; nur erhalte dein Urteil frei von Vorurteilen, um mit Sicherheit eine Prüfung anstellen zu können.
7.
Erachte nie etwas als vorteilhaft für dich, was dich je einmal nötigen könnte, dein Wort zu brechen, die Scham hintan zu setzen, einen Menschen zu hassen, gegen ihn Verdacht zu hegen, ihn zu verwünschen, dich vor ihm zu verstellen, nach etwas lüstern zu werden, wobei es der Wände und Vorhänge bedürfte. Denn, wer die Vernunft und seinen Genius und den seiner Herrlichkeit geweihten Dienst allem vorzieht, der wird in keine Tragödie verwickelt werden; er wird nicht stöhnen, er wird sich weder nach Einsamkeit, noch auch nach großer Gesellschaft sehnen; er wird im erhabensten Sinne des Wortes leben, ohne das Leben zu fliehen oder ihm nachzujagen. Ob er aber seine Seele auf einen längeren oder kürzeren Zeitraum im Körper eingeschlossen haben soll, das kümmert ihn wenig. Denn, wenn er sich auch im Augenblick vom Leben trennen sollte, er scheidet so fertig aus demselben, als sollte er irgendein anderes Geschäft betreiben, das sich mit Anstand und Würde verrichten lässt. Davor nur hütet er sich sein ganzes Leben hindurch, dass sein Sinn sich einer Wandelbarkeit überlasse, die einem Menschen nicht ansteht, welcher zu einem vernünftigen und staatsbürgerlichen Leben berufen ist.
8.
Im Gemüt eines Menschen, der sich selbst der Zucht und Läuterung unterzogen hat, findet man keine Wunden oder Beflecktes, keine verborgenen Schäden. Sein Leben ist nicht unvollendet, wenn das Schicksal ihn ereilt, wie man etwa von einem Schauspieler sagen könnte, er sei von der Bühne abgetreten, ohne seine Rolle ausgespielt zu haben. Zudem ist an ihm nichts Sklavisches noch Geziertes, kein Streben, sich aufzudrängen und ebensowenig, sich abzuschließen, kein Bemühen, der Rechenschaft oder dem Licht der Öffentlichkeit sich zu entziehen.
9.
Pflege deine Urteilskraft! Denn ganz von ihr hängt es ab, zu verhüten, dass sich in dir eine Ansicht festsetze, СКАЧАТЬ