Название: Maximen und Reflexionen
Автор: Иоганн Вольфганг фон Гёте
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Klassiker der Weltliteratur
isbn: 9783843802963
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ERSTEN BANDES DRITTES HEFT (1818)
Naivität und Humor
Die Kunst ist ein ernsthaftes Geschäft, am ernsthaftesten, wenn sie sich mit edlen, heiligen Gegenständen beschäftigt; der Künstler aber steht über der Kunst und dem Gegenstande: über jener, da er sie zu seinen Zwecken braucht, über diesem, weil er ihn nach eigner Weise behandelt.
Die bildende Kunst ist auf das Sichtbare angewiesen, auf die äußere Erscheinung des Natürlichen. Das rein Natürliche, insofern es sittlich gefällig ist, nennen wir naiv. Naive Gegenstände sind also das Gebiet der Kunst, die ein sittlicher Ausdruck des Natürlichen sein soll. Gegenstände, die nach beiden Seiten hinweisen, sind die günstigsten.
Das Naive als natürlich ist mit dem Wirklichen verschwistert. Das Wirkliche ohne sittlichen Bezug nennen wir gemein.
Die Kunst an und für sich selbst ist edel; deshalb fürchtet sich der Künstler nicht vor dem Gemeinen. Ja indem er es aufnimmt, ist es schon geadelt, und so sehen wir die größten Künstler mit Kühnheit ihr Majestätsrecht ausüben.
In jedem Künstler liegt ein Keim von Verwegenheit, ohne den kein Talent denkbar ist, und dieser wird besonders rege, wenn man den Fähigen einschränken und zu einseitigen Zwecken dingen und brauchen will.
Raffael ist unter den neuern Künstlern auch hier wohl der reinste. Er ist durchaus naiv, das Wirkliche kommt bei ihm nicht zum Streit mit dem Sittlichen oder gar Heiligen. Der Teppich, worauf die Anbetung der Könige abgebildet ist, eine überschwänglich herrliche Komposition, zeigt von dem ältesten anbetenden Fürsten bis zu den Mohren und Affen, die sich auf den Kamelen mit Äpfeln ergötzen, eine ganze Welt. Hier durfte der heilige Joseph auch ganz naiv charakterisiert werden als Pflegevater, der sich über die eingekommenen Geschenke freut.
Auf den heiligen Joseph überhaupt haben es die Künstler abgesehen. Die Byzantiner, denen man nicht nachsagen kann, dass sie überflüssigen Humor anbrächten, stellen doch bei der Geburt den Heiligen immer verdrießlich vor. Das Kind liegt in der Krippe, die Tiere schauen hinein, verwundert, statt ihres trockenen Futters ein lebendiges, himmlisch-anmutiges Geschöpf zu finden. Engel verehren den Ankömmling, die Mutter sitzt still dabei; Sankt Joseph aber sitzt abgewendet und kehrt unmutig den Kopf nach der sonderbaren Szene.
Der Humor ist eins der Elemente des Genies, aber sobald er vorwaltet, nur ein Surrogat desselben; er begleitet die abnehmende Kunst, zerstört, vernichtet sie zuletzt.
Hierüber kann eine Arbeit anmutig aufklären, die wir vorbereiten: sämtliche Künstler nämlich, die uns schon von so manchen Seiten bekannt sind, ausschließlich von der ethischen zu betrachten, aus den Gegenständen und der Behandlung ihrer Werke zu entwickeln, was Zeit und Ort, Nation und Lehrmeister, was eigne unzerstörliche Individualität beigetragen, sie zu dem zu bilden, was sie wurden, sie bei dem zu erhalten, was sie waren.
ZWEITEN BANDES DRITTES HEFT (1820)
Bedenklichstes
Gar oft im Laufe des Lebens, mitten in der größten Sicherheit des Wandels bemerken wir auf einmal, dass wir in einem Irrtum befangen sind, dass wir uns für Personen, für Gegenstände einnehmen ließen, ein Verhältnis zu ihnen erträumten, das dem erwachten Auge sogleich verschwindet; und doch können wir uns nicht losreißen, eine Macht hält uns fest, die uns unbegreiflich scheint. Manchmal jedoch kommen wir zum völligen Bewusstsein und begreifen, dass ein Irrtum so gut als ein Wahres zur Tätigkeit bewegen und antreiben kann. Weil nun die Tat überall entscheidend ist, so kann aus einem tätigen Irrtum etwas Treffliches entstehen, weil die Wirkung jedes Getanen ins Unendliche reicht. So ist das Hervorbringen freilich immer das Beste, aber auch das Zerstören ist nicht ohne glückliche Folge.
Der wunderbarste Irrtum aber ist derjenige, der sich auf uns selbst und unsere Kräfte bezieht: dass wir uns einem würdigen Geschäft, einem ehrsamen Unternehmen widmen, dem wir nicht gewachsen sind, dass wir nach einem Ziel streben, das wir nie erreichen können. Die daraus entspringende tantalisch-sisyphische Qual empfindet jeder nur um desto bitterer, je redlicher er es meinte. Und doch sehr oft, wenn wir uns von dem Beabsichtigten für ewig getrennt sehen, haben wir schon auf unserm Wege irgendein anderes Wünschenswerte[s] gefunden, etwas uns Gemäßes, mit dem uns zu begnügen wir eigentlich geboren sind.
DRITTEN BANDES ERSTES HEFT (1821)
Eigenes und Angeeignetes in Sprüchen
Wenn der Mensch alles leisten soll, was man von ihm fordert, so muss er sich für mehr halten, als er ist.
Solange das nicht ins Absurde geht, erträgt man‘s auch gern.
Die Arbeit macht den Gesellen.
Gewisse Bücher scheinen geschrieben zu sein, nicht damit man daraus lerne, sondern damit man wisse, dass der Verfasser etwas gewusst hat.
Sie peitschen den Quark, ob nicht etwa Creme daraus werden wolle.
Es ist weit eher möglich, sich in den Zustand eines Gehirns zu versetzen, das im entschiedensten Irrtum befangen ist, als eines, das Halbwahrheiten sich vorspiegelt.
Die Lust der Deutschen am Unsichern in den Künsten kommt aus der Pfuscherei her; denn wer pfuscht, darf das Rechte nicht gelten lassen, sonst wäre er gar nichts.
Es ist traurig anzusehen, wie ein außerordentlicher Mensch sich gar oft mit sich selbst, seinen СКАЧАТЬ