Название: Gesammelte Werke
Автор: Isolde Kurz
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962812515
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Dafür leben Sie das Menschenleben hundertfach, sagte ich, und lassen in guten Stunden Ihre Freunde daran teilnehmen. Wer möchte so kleinlich sein, mit Ihnen um Äußerlichkeiten zu rechten? Ich habe kein Talent als das zur Freundschaft, lassen Sie mich es ausüben in guten und bösen Stunden.
Oh, Sie kennen mich noch nicht ganz. Diese Äußerlichkeiten sind das geringste. Wenn Sie in mein Inneres blicken könnten, so würden Sie mit Entsetzen sehen, wie nutzlos Sie Ihre schöne Freundschaft verschwenden. In den Augenblicken, wo ich am meisten ich selber bin, d. h. wo Er mich ganz hat – denn ich bin nur, was ich sein soll, wenn ich mich völlig an ihn verliere –, da gibt es für mich gar keine menschlichen Bande. Ich würde alles, was andern heilig ist, Freunde, Eltern, Geliebte, Vaterland, unbedenklich dem Fürchterlichen opfern. Ich sähe mit Freuden meine Liebsten im Sarge liegen, wenn der Schmerz um sie mich meinem Ziel nur um eine Stufe näher brächte. Ich bin ein Unmensch, ich weiß es selber, und wenn Sie mir nach diesem Geständnis Ihre Freundschaft entziehen wollen, so darf ich Sie nicht tadeln. Aber glauben Sie mir, dass keiner in der Kunst etwas Großes erreichen wird, der nicht von dieser tödlichen Leidenschaft für sie besessen ist.
Du Märtyrer, dachte ich zwischen Bewunderung und Grauen. Aber wenn mir auch bei seinen Worten ein Kartenhaus zusammenbrach, wie hätte ich ihm dafür gram sein können! Was wäre das für eine armselige Freundschaft, die täglich wie ein Kaufmann ihr Soll und Haben buchen wollte! Ja, und auch so wären wir noch immer als die Gewinnenden erfunden worden. Von ihm ging ja aller Reichtum aus, womit wir anderen unser Schatzkästlein füllten.
Ich bin kein Freund von großen Worten, sagte ich, aber ich glaube an Sie, wenn ich auch noch keine Zeile von Ihnen gelesen habe: ich bin gewiss, wenn ein Geist, wie der Ihre, der Welt etwas geben will, so kann es nur das Außerordentliche sein.
Wir saßen in Gustavs Zimmer auf dem durchgedrückten Kanapee, das schon dem irren Dichter zur Benützung gedient hatte, und es ergriff mich mit einem Schauer, dass in diesem Raum ein Großer in die Nacht hinabgestiegen war und vielleicht jetzt eben ein anderer Großer hier seinen einsamen Gang zur Höhe antreten sollte. Ob nicht an den Wänden oder an der rauchgeschwärzten Decke vielleicht noch etwas Geistiges haftete, das nach einem neuen Sinneswerkzeug verlangte, um zu den Menschen zu reden?
Ich selber habe schon mitunter Ähnliches gedacht, besonders zur Nachtzeit, wenn es mir plötzlich wie verwehte Rhythmen in die Ohren tönt, entgegnete der Freund auf meine Bemerkung hin. Am tiefsten empfand es Olaf, als er zum ersten Mal hier eintrat: Hier also wohnte der Eine, der mit nichts Irdischem verwandt war; und er wohnt noch immer hier! sagte er mit einer Miene und einem Ton, die ich nie vergesse. Und hernach konnte er kein weiteres Wort mehr in dem Raume sprechen.
Warum sind Sie so unmitteilsam, fragte ich nach einer längeren Stille.
Ach, lieber Harry, sagte er, bei der Erziehung büßen wir alle ein Stück unseres natürlichen Wesens ein. In meinem Elternhause musste ich mein Talent wie einen Aussatz verheimlichen. Das hat mich in mich selbst zurückgeschreckt, dass ich jetzt wie hinter einer Mauer lebe. Aber haben Sie Geduld, Sie werden vielleicht noch mehr von meinen Arbeiten hören müssen, als Ihnen lieb ist. Mit meinen Gedichten werde ich niemand mehr behelligen. Seit ich Olaf Hansen kenne, weiß ich erst, woran es mir fehlt. Dagegen habe ich jetzt ein fertiges Lustspiel druckreif im Pult, um das ich mit einer Bühne in Verhandlung stehe.
Der Ton, womit er dies sagte, klang aber so obenhin, fast geringschätzig, dass ich gleich fühlte, mit dem Besten hielt er noch zurück; sein Ziel, das er mir aus der Ferne andeutete, musste ein viel höheres, musste die Tragödie großen Stiles sein.
Er gab zu, dass ein gewaltiger vaterländischer Stoff ihn ganz ausfülle.
Was für ein Stoff? wagte ich zu fragen.
Er nahm einen schweren Gegenstand, der einen Stoß beschriebener Blätter zusammenhielt, vom Tisch und reichte ihn mir:
Wofür halten Sie dieses Ding?
Es war ein gebogenes, abgebrochenes Stück Eisen von rauer Oberfläche, stark verwittert.
Für ein Hufeisen des Pegasus, antwortete ich scherzend, das seinem Finder Glück bringen möge, wie sich’s für ein Hufeisen gehört.
Er nahm es mir gleich wieder ab und wog es mit einem Ausdruck von Ehrfurcht in der Hand.
Wohl ist es ein Hufeisen, und zwei Menschenschicksale sind damit verknüpft. Das eine ist an dem Fund zugrunde gegangen. Welches Glück es dem andern bringen wird, muss die Zukunft zeigen. Ich war als grüner Junge mit dabei, wie man dieses Eisen mit vielen andern aus der Erde grub. Das geschah beim Bau einer Wasserleitung im Detmoldischen, als ich eben bei mütterlichen Verwandten dort zu Gaste war. Man fand ihrer so viele, dass sie in ganzen Karrenladungen beiseitegeschafft und als altes Eisen nach auswärts verkauft wurden. Von meinem Onkel Paul habe ich Ihnen schon erzählt, der ein feuriger Altertumsforscher war. Ich benachrichtigte ihn von dem Fund, und er kam zwei Tage später aus Paderborn herüber, um die Hufeisen zu sehen. Er war sehr erregt, denn er hatte schon vor Jahren einen ähnlichen Fund in dieser Gegend vorausgesagt. Es waren nur noch wenige im Ort zu finden, und ich musste ihm alle von mir gesammelten überlassen, bis auf dieses hier. Er sprach die Hufeisen für römische an und die Auffindungsstelle СКАЧАТЬ