СКАЧАТЬ
selber nicht begegnet bin). Ich vermochte das ganze Erstaunen der Italiener über diese ihnen prähistorisch erscheinende Sitteneinfalt zu würdigen, denn ich hatte schon Kenntnis von dem italienischen Brauch, der es damals den jungen Mädchen vorschrieb, beim Betreten eines Gesellschaftsraumes vor der begleitenden Anstandsdame, und sei sie die vornehmste, den Vortritt zu nehmen, damit der Schutzgeist sich überzeugen konnte, dass nicht etwa hinter seinem Rücken zwischen dem Schützling und irgendeinem Versucher heimliche Zeichen oder Zettel gewechselt würden. – Herr Giusti zog mich bei seinen Übersetzungen zu Rat und ich ihn bei den meinigen, denn ich überzeugte mich schnell, dass auch eine ausreichende Kenntnis der fremden Sprache keinen ausreichenden Schlüssel für das Verständnis des fremden Werkes bietet, wenn nicht die Vertrautheit mit dem Land und den Lebensbedingungen der Menschen, ja mit allem, was nur dem Eingeweihten verständlich in Winken und Andeutungen lebt, noch dazukommt. Solche Besprechungen, wobei so viele geheime Untergründe und Bezüge freigelegt wurden, gehörten immer zu den anziehendsten Formen der Unterhaltung. Durch die Gefälligkeit Herrn Giustis wurde ich über mancherlei Gewohnheiten, Meinungen und Vorurteile seiner Landsleute aufgeklärt, mit denen ein Fremder lange zusammenleben kann, ohne sie kennenzulernen. Eine besonders unheimliche Anziehungskraft übte auf mich die neapolitanische Jettatura oder das Malocchio aus, worüber mein Gewährsmann genau Bescheid wusste. Es verkehrte in seinem Hause ab und zu ein anderer Neapolitaner aus vornehmer Familie, ein tief unglücklicher Mann, weil er im Rufe stand, ein Jettatore zu sein und darum von allen Seiten gemieden wurde. Freund Giusti, der sich als aufgeklärt gab, aber heimlich doch den Aberglauben nicht los wurde, versicherte, diesem Manne nur auf der Straße zu begegnen, ziehe unvermeidlich ein Missgeschick, einen Fehlschlag oder sonst etwas Unangenehmes nach sich, sodass ihm die meisten seiner Bekannten auf Straßenlänge auswichen. Dass die Begegnung noch schlimmere Folgen haben könne, ließ er ahnen, ohne es auszusprechen. Seiner weit jüngeren, mit viel Verstand und Mutterwitz begabten Frau, die als Ausländerin gegen diesen Widersinn gewappnet war, machte es Spaß, ihren Mann durch mein Weiterfragen in die Enge getrieben zu sehen, denn der Gegenstand war ihm ganz und gar nicht geheuer. Mit Mühe brachte ich ihn dahin, dass er mir von drei großen Familien in Neapel erzählte, in denen die Jettatura vorzugsweise erblich sei, und zwar in der Weise, dass jeweils nur ein Glied der Träger des furchtbaren Erbfluches werde, der selber von seiner verheerenden Wirkung solange gar keine Ahnung habe, bis er sich rings von aller Welt gemieden, und wenn seine Besuche gar ein Kindersterben oder andere schreckliche Begebenheiten nach sich zögen, einfach ganz aus der menschlichen Gemeinschaft ausgeschlossen sehe. Er erzählte davon eine Reihe wahrhaft erschütternder Fälle, die auch Frau Clara nicht leugnete, weil sie sich zum Teil unter ihren Augen begeben hatten, nur dass sie ihnen völlig andere Auslegungen gab. Auf meine Bitte nannte er mir auch zwei der so geschlagenen Familien, den Namen der dritten, allerverderblichsten, wollte er mir nicht sagen, weil ihn auch nur auszusprechen gefährlich sei, bequemte sich aber schließlich ihn auf einen Zettel zu schreiben, den er mir mit abgewandtem Gesicht überreichte, wobei er aus tiefstem Herzen seufzte: Dio ce la mandi buona! (Gott lass es gut vorübergehen!). Dass er dabei unter dem Tisch das neapolitanische Abwehrzeichen machte, verriet mir ein listiger Blick seiner Gattin.
Ich habe, was ich damals im Hause Giusti über die Jettatura erfuhr, die im neuen Italien ausgestorben sein dürfte, später in der Novelle »Der Jettatore« in der »Stunde des Unsichtbaren« verwendet.
Das Haus Giusti war neben zwei Familien freundlicher schwäbischer Landsleute, beide Gasthofbesitzer und von Anfang an zu Edgars Klientel gehörig, unser frühster Umgang in Florenz.
Unsre nächste und für alle Zukunft bedeutsamste Begegnung war die mit Adolf Hildebrand. Der noch junge und wenig bekannte, nachmals so groß gewordene Bildhauer lebte mit seiner schönen Rubensfrau Irene, geb. Schäufelen, geschiedenen Kobell, in seinem köstlichen, selbsterworbenen Besitz, dem alten Kloster von San Francesco, das seine Gattin durch ihre reichen Mittel und ihre gesellschaftliche Kultur zu einem Sitz der Schönheit und des verfeinerten Lebensgenusses machte. Die Anknüpfung geschah nicht ohne eine gewisse kitzliche Besonderheit, die sich jedoch in Wohlgefallen auflöste. Adolf Kröner, der die schöne Lebensgenießerin aus den bacchantischen Tagen ihrer ersten Ehe kannte, hatte einmal beim Champagner, als sie sich in glückjauchzendem Übermut vermaß, dass diese Liebe ewig dauern müsse, mit ihr eine verwegene Wette auf das Gegenteil eingegangen. In einem scherzhaften Brief an meine Mutter ließ er die schöne Frau neckend an die verfallene Wette erinnern und gab seinen Anspruch auf zugunsten der von ihm empfohlenen Landsleute, die er freundlich zu empfangen und ihnen den Einstand in Florenz zu verschönern bat. Mama, die kein Arg bei der Botschaft hatte, ließ sie den Brief sehen, aber Frau Irene in ihrem neuen, so viel tieferen Glück mochte nicht gern an die Vergangenheit erinnert sein und war sichtlich von deren Wiedererweckung nicht ganz angenehm berührt. Doch mit dem Takt der großen Welt und ihrer angeborenen Verbindlichkeit antwortete sie, jene Irene sei tot und könne also für keine Wetten mehr einstehen; die neue wisse jetzt erst, was Liebe sei, aber sie freue sich über den willkommenen Besuch und bitte dem Vermittler ihren Dank zu sagen. Noch schöner und freier fiel die erste Begegnung mit ihrem Gatten aus, der wenige Minuten später mit seinen Siegfriedaugen ins Zimmer trat. Er hatte uns schon am Tor empfangen und ins Haus gewiesen, war aber von uns seines äußerst jugendlichen Aussehens und seiner bescheidenen Haltung wegen für einen Werkstattgehilfen angesehen worden. Um ihn war im Gegensatz zu seiner Gattin keine spielerische Grazie, nichts von gesellschaftlichem Glanz; er war durch und durch Natur und sagte mit jedem Wort genau was er meinte, aber was er meinte war immer etwas Besonderes und zugleich doch merkwürdig Selbstverständliches. Ich habe von dieser bedeutendsten Erscheinung unsres florentinischen Kreises schon zweimal eingehend erzählt. Zuerst in meinen »Florentinischen Erinnerungen« durch eine Festschrift zu seinem sechzigsten Geburtstag und später, zehn Jahre nach seinem Hingang, in einem ihm eigens gewidmeten kleinen Buche »Der Meister von San Francesco«, denn die Freundschaft, die sich an jenem Septemberabend in Florenz entspann, sollte ungetrübt durch vierzig Jahre bis zum Tode des Meisters und noch darüber hinaus in der Überlebenden weiterdauern. Sie wurde durch einen schnellen Gegenbesuch des Paares angebahnt, und bei dem ersten im Hause Hildebrand
СКАЧАТЬ