Название: Gesammelte Werke
Автор: Isolde Kurz
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962812515
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In einem Winkel des Obstgartens hatten wir aus herumliegenden Steinbrocken den großen Himmlischen einen Altar errichtet, und ich nahm dieses Spiel im stillen ernst wie alle unsere Spiele. Mama hatte in der Jugend viel von religiösen Zweifeln gelitten, bis die angeborene philosophische Richtung über den gleichfalls vorhandenen mystischen Hang den Sieg davontrug. Besonders aus Anlass der Konfirmation und der ersten Kommunion hatte sie schwere innere Kämpfe zu bestehen gehabt. Um unseren zarten Jahren ähnliche Qualen zu ersparen, war sie auf den Ausweg verfallen, uns die religiösen Begriffe gänzlich fernzuhalten, ebenso wie sie es mit dem Tode gemacht hatte. Aber die Empfindung eines Göttlichen liegt doch von Hause aus in der Seele, wenigstens lag sie in der meinigen. Also glaubte ich an die Götter Griechenlands. Ich schlich mich öfter in der Morgenstille zu unserem Steinaltar, um Opfer in Gestalt von Blumen oder Kornähren darzubringen und mich in die Betrachtung eines großen erhabenen Seins zu versenken. Natürlich nahm ich die junge Götterschar, deren Rollen wir selber spielten, nicht allzu ernsthaft, aber ihr Oberhaupt erweckte meine Ehrfurcht. Ein Weltenvater, Erschaffer und Erhalter alles Seins war mir schon von der Schichtung der Familie her eine natürliche und notwendige Vorstellung. Ihm galt meine Andacht. Meine persönlichen Angelegenheiten brachte ich nicht vor ihn, dafür stand er mir zu hoch. Diese trug ich ja nicht einmal zu meinem irdischen Vater, mit dem der Verkehr gleichfalls ein höherer, geistigerer war; sie gingen einzig und allein die Mutter an. Diese stillen Erbauungsstunden waren mein tiefstes Geheimnis, im übrigen aber war unser Götterwesen ruchbar geworden, und im Dorfe hatte sich das Gerücht verbreitet, hinter unserer Gartenmauer würde Abgötterei getrieben. Ein elfjähriges Bauernmädchen aus dem Nachbarhaus, das uns die Milch brachte, fragte mich eines Tages, ob wir denn nie etwas von unserem Herrn Christus gehört hätten. Ich verneinte voller Wißbegier. Nun lud sie uns ein, uns nachmittags auf dem Mäuerlein, das unsere Gärten trennte, einzufinden; sie werde uns einen Korb voll ihrer feinsten Birnen, Gaishirtlein genannt, mitbringen unter dem Beding, dass wir aufmerksam anhören wollten, was sie uns zu erzählen habe; unserer Josephine dürften wir nichts davon sagen, weil sie eine Heidin sei wie wir. Sehr erwartungsvoll kamen wir zur Stelle, wo unser kleiner Apostel uns nun voll rührenden Eifers, aber mit sehr unzulänglichen Kräften zunächst in die Schöpfungsgeschichte einführte. Das vertrug sich noch so ziemlich mit unserer griechischen Vorstellung. Als sie dann aber auch die Mysterien der Menschwerdung und der Welterlösung erklären wollte, versagte ihr geistliches Rüstzeug. Wir konnten uns Göttliches nur im höchsten Glanze denken. – Warum, warum ließ er sich das alles gefallen? – Geohrfeigt, gepeitscht! Ein Gott! Warum holte er keinen Blitz vom Himmel? Unmöglich! Nein, dagegen empörte sich unser Gefühl.
Der gläubige Amerikaner Ralph Waldo Trim stellt in seinem »Neubau des Lebens« die Frage auf, was wohl ein natürlicher, sonst wohlgebildeter Mensch, der, wenn solches möglich, ganz ohne Kenntnis religiöser Lehrsätze aufgewachsen wäre, bei seiner ersten Berührung mit dem Christentum empfände. Und er kommt zu dem Schluss, dass der gemarterte, geschändete Heiland ihm nur das tiefste Befremden erregen könnte. Wir waren damals in diesem schier nicht auszudenkenden Fall, und die arme Rike kam arg ins Gedränge, als sie uns das Unfassliche fasslich machen wollte. Sie schalt, wir schalten wieder, und es entspann sich eine richtige Disputation, die unser Vierjähriger durch die Frage unterbrach: Ja, weißt du denn nicht, dass wir die griechischen Götter sind? Da griff sie entsetzt nach ihrem leer gewordenen Korb und glitt die Mauer hinab, wir aber ließen uns von der anderen Seite erschöpft ins Gras fallen. Allein das Gehörte begann doch in mir zu wühlen, ich ging wie gewöhnlich zur Mutter und verlangte Rechenschaft über den gekreuzigten Gott. Sie antwortete, ich sei für solche Fragen noch zu jung, ich solle ruhig weiterspielen; wenn ich einmal älter sei, werde sie über das alles mit mir reden.
Ich möchte ja nun die Ansicht meiner Mutter über diese Erziehungsfrage nicht ohne weiteres gutheißen. Schon weil man einem Kinde das künftige Leben nicht leichter macht, wenn man es so streng von der Außenwelt absperrt, dass es nicht einmal die religiösen Vorstellungen seiner Zeitgenossen kennt. Aber ein Gutes war doch dabei: dass mir später die unbegreifliche Gestalt des Menschensohnes so ursprünglich und unberührt von Phrase und Herkommen aus den Evangelien entgegentrat, wie ihn die frühen christlichen Jahrhunderte gekannt haben.
Die Rike aber hatte sich über uns im Dorfe beklagt, und eines Tages rückte die ländliche Jugend mit Stecken und Steinen bewaffnet vor unsere Gartentür und forderte unsere Heidenschaft zum Kampf. Wir sahen von der Gartenmauer, dass sie uns an Zahl und Körpergröße sehr überlegen waren. Dafür aber waren wir Götter und Helden, sie nur Bauernjungen. Schnell wurden die Rüstungen angelegt, und als wir hinter dem Pförtchen aufgestellt waren, drückte Edgar, der den Oberbefehl hatte, auf die Klinke, wir anderen stießen mit unseren goldenen Speeren die Tür vollends auf. Die Rotte stand einen Augenblick sprachlos vor so viel Goldpapier, und wir glaubten schon Sieger zu sein. Da prasselte ein Regen von Steinen und Kastanien auf uns, ein langer Lümmel ging mit einem großen Stecken auf unseren schmächtigen aber tapferen Führer los; sowohl der dicke Ares wie Pallas Athene wollten ihm zu Hilfe kommen, da wurde letztere von hinten am Arm zurückgezogen, denn die gute Josephine war auf den Lärm herzugestürzt. Sie verscheuchte mit Drohungen die Gassenbengel und führte Götter und Helden ins Haus zurück.
Tante Berta und die Schwabenstreiche
In jenen Tagen gingen auch die guten Holden noch leibhaft auf Erden. Ich meine jenes jetzt untergegangene Geschlecht freiwilliger Helferinnen, das, als man von organisierter sozialer Arbeit noch nichts wusste, mit seiner Fürsorge jeden kinderreichen Haushalt umschwebte. Es waren СКАЧАТЬ