Название: Sternstunden der Menschheit. Vierzehn historische Miniaturen
Автор: Стефан Цвейг
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788087664643
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Die Messe der Versöhnung
Großartiges Schauspiel jenes Dezembertages: die herrliche Basilika, deren einstige Pracht von Marmor und Mosaik und schimmernden Köstlichkeiten wir in der Moschee von heute kaum mehr zu ahnen vermögen, feiert das große Fest der Versöhnung. Umringt von all den Würdenträgern seines Reichs, ist Konstantin, der Basileus, erschienen, um mit seiner kaiserlichen Krone höchster Zeuge und Bürge der ewigen Eintracht zu sein. Überfüllt ist der riesige Raum, den zahllose Kerzen erhellen; vor dem Altar zelebrieren brüderlich der Legat des römischen Stuhles Isidorus und der orthodoxe Patriarch Gregorius die Messe; zum erstenmal wird in dieser Kirche wieder der Name des Papstes ins Gebet eingeschlossen, zum erstenmal schwingt sich gleichzeitig in lateinischer und in griechischer Sprache der fromme Gesang hinauf in die Wölbungen der unvergänglichen Kathedrale, während der Leichnam des heiligen Spiridion in feierlichem Zuge von beiden befriedeten Kleriseien einhergetragen wird. Osten und Westen, der eine und andere Glaube scheinen für ewig verbunden, und endlich ist wieder einmal nach Jahren und Jahren verbrecherischen Haders die Idee Europas, der Sinn des Abendlandes erfüllt.
Aber kurz und vergänglich sind die Augenblicke der Vernunft und der Versöhnung in der Geschichte. Noch während sich in der Kirche fromm die Stimmen im gemeinsamen Gebet vermählen, eifert bereits draußen in einer Klosterzelle der gelehrte Mönch Genadios gegen die Lateiner und den Verrat des wahren Glaubens; kaum von der Vernunft geflochten, ist das Friedensband vom Fanatismus schon wieder zerrissen, und ebensowenig, wie der griechische Klerus an wirkliche Unterwerfung denkt, entsinnen sich die Freunde vom andern Ende des Mittelmeers ihrer verheißenen Hilfe. Ein paar Galeeren, ein paar hundert Soldaten werden zwar hinübergesandt, aber dann wird die Stadt ihrem Schicksal überlassen.
Der Krieg beginnt
Gewaltherrscher, wenn sie einen Krieg vorbereiten, sprechen, solange sie nicht völlig gerüstet sind, ausgiebigst vom Frieden. So empfängt auch Mahomet bei seiner Thronbesteigung gerade die Gesandten Kaiser Konstantins mit den allerfreundlichsten und beruhigendsten Worten; er beschwört öffentlich und feierlich bei Gott und seinem Propheten, bei den Engeln und dem Koran, daß er die Verträge mit dem Basileus treulichst einhalten wolle. Gleichzeitig aber schließt der Hinterhältige eine Vereinbarung auf beiderseitige Neutralität mit den Ungarn und den Serben für drei Jahre – für eben jene drei Jahre, innerhalb welcher er ungestört die Stadt in seinen Besitz bringen will. Dann erst, nachdem Mahomet genügend den Frieden versprochen und beschworen, provoziert er mit einem Rechtsbruch den Krieg.
Bisher hatte den Türken nur das asiatische Ufer des Bosporus gehört, und somit konnten die Schiffe ungehindert von Byzanz durch die Enge ins Schwarze Meer, zu ihrem Getreidespeicher. Diesen Zugang drosselt Mahomet nun ab, indem er, ohne sich auch nur um eine Rechtfertigung zu bemühen, auf dem europäischen Ufer, bei Rumili Hissar, eine Festung zu bauen befiehlt, und zwar an jener schmalsten Stelle, wo einst in den Persertagen der kühne Xerxes die Meerenge überschritten. Über Nacht setzen Tausende, Zehntausende Erdarbeiter auf das europäische Ufer, das vertragsmäßig nicht befestigt werden darf (aber was gelten Gewalttätigen Verträge?), und sie plündern zu ihrem Unterhalt die umliegenden Felder, sie reißen nicht nur die Häuser, sondern auch die altberühmte Sankt-Michaelis-Kirche nieder, um Steine für ihre Zwingburg zu gewinnen; persönlich leitet der Sultan, rastlos bei Tag und Nacht, den Festungsbau, und ohnmächtig muß Byzanz zusehen, wie man ihm den freien Zugang zum Schwarzen Meer wider Recht und Vertrag abwürgt. Schon werden die ersten Schiffe, welche das bisher freie Meer passieren wollen, mitten im Frieden beschossen, und nach dieser ersten geglückten Machtprobe ist bald jede weitere Verstellung überflüssig. Im August 1452 ruft Mahomet alle seine Agas und Paschas zusammen und erklärt ihnen offen seine Absicht, Byzanz anzugreifen und einzunehmen. Bald folgt der Ankündigung die brutale Tat; durch das ganze Türkische Reich werden Herolde ausgesandt, die Waffenfähigen zusammenzurufen, und am 5. April 1453 überschwillt wie eine plötzlich vorgebrochene Sturmflut eine unübersehbare ottomanische Armee die Ebene von Byzanz bis knapp an dessen Mauern.
An der Spitze seiner Truppen, prächtig gewandet, reitet der Sultan, um sein Zelt gegenüber der Lykaspforte aufzuschlagen. Aber ehe er die Standarte vor seinem Hauptquartier sich im Winde bauschen läßt, befiehlt er, den Gebetteppich auf der Erde zu entrollen. Barfüßig tritt er hin, dreimal beugt er, das Antlitz gegen Mekka gewandt, die Stirne bis zum Boden, und hinter ihm – großartiges Schauspiel – sprechen die Zehntausende und aber Tausende seines Heeres mit gleicher Verneigung in gleicher Richtung, im gleichen Rhythmus das gleiche Gebet zu Allah mit, er möge ihnen Stärke und den Sieg verleihen. Dann erst erhebt sich der Sultan. Aus dem Demütigen ist wieder der Herausfordernde geworden, aus dem Diener Gottes der Herr und Soldat, und durch das ganze Lager eilen jetzt seine »tellals«, seine öffentlichen Ausrufer, um beim Trommelschlag und Fanfarenstoß weithin zu verkünden: »Die Belagerung der Stadt hat begonnen.«
Die Mauern und die Kanonen
Byzanz hat nur eine Macht und Stärke mehr, seine Mauern; nichts ist ihm von seiner einstigen weltumspannenden Vergangenheit geblieben als dieses Erbe einer größeren und glücklicheren Zeit. Mit dreifachem Panzer ist das Dreieck der Stadt gedeckt. Niederer, aber noch immer gewaltig, decken die steinernen Mauern die beiden Flanken der Stadt gegen das Marmarameer und das Goldene Horn; gigantische Maße dagegen entfaltet die Brustwehr gegen das offene Land, die sogenannte Theodosische Mauer. Schon Konstantin hatte vordem in Erkenntnis künftiger Gefährdung Byzanz mit Quadern gegürtet und Justinian diese Wälle weiter ausgebaut und befestigt; das eigentliche Bollwerk aber schaffte erst Theodosius mit der sieben Kilometer langen Mauer, von deren quaderner Kraft heute noch die efeuumschlungenen Überreste Zeugnis ablegen. Geziert mit Scharten und Zinnen, geschützt durch Wassergräben, bewacht von mächtigen quadratischen Türmen, in doppelter und dreifacher Parallelreihe errichtet und von jedem Kaiser der tausend Jahre abermals ergänzt und erneuert, gilt dieser majestätische Ringwall seiner Zeit als das vollendete Sinnbild der Uneinnehmbarkeit. Wie einst dem zügellosen Ansturm der Barbarenhorden und den Kriegsscharen der Türken, so spotten diese quadernen Blöcke auch jetzt noch aller bislang erfundenen Kriegsinstrumente, ohnmächtig prallen die Geschosse der Sturmböcke, der Widder und selbst der neuen Feldschlangen und Mörser von ihrer aufrechten Wand, keine Stadt Europas ist fester und besser geschirmt als Konstantinopel durch die Theodosische Mauer.
Mahomet nun kennt besser als irgendeiner diese Mauern und kennt ihre Stärke. In Nachtwachen und Träumen beschäftigt ihn seit Monaten und Jahren nur der eine Gedanke, wie diese uneinnehmbaren zu nehmen, diese unzertrümmerbaren zu zertrümmern wären. Auf seinem Tisch häufen sich die Zeichnungen, die Maße, die Risse der feindlichen Befestigungen, er kennt jede Hügelung vor und hinter den Mauern, jede Senke, jeden Wasserlauf, und seine Ingenieure haben mit ihm jede Einzelheit durchdacht. Aber Enttäuschung: alle haben sie errechnet, daß man mit den bisher angewandten Geschützen die Theodosische Mauer nicht zertrümmern kann.
Also stärkere Kanonen schaffen! Längere, weitertragende, schußkräftigere, als sie bisher die Kriegskunst gekannt! Und andere Geschosse aus härterem Stein formen, gewichtigere, zermalmendere, zerstörendere als alle bisher erzeugten! Eine neue Artillerie muß erfunden werden gegen diese unnahbaren Mauern, es gibt keine andere Lösung, und Mahomet erklärt sich für entschlossen, diese neuen Angriffsmittel um jeden Preis zu schaffen.
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