Die großen Literaten der Welt. Katharina Maier
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СКАЧАТЬ die Lebensechtheit seiner Charaktere; vor allem Śakuntalā selbst beweist eine Gefühlstiefe, wie sie angesichts der altindischen Auffassung von der Unterlegenheit der Frau überraschen muss. Die Bedeutung der Śakuntalā für die indische Literatur, ja, für die Weltliteratur, kann kaum überschätzt werden; Goethe, der Elemente des altindischen Dramas in seinen Faust (1808/1828-29) integrierte, schrieb mit berechtigter Begeisterung über das Meisterwerk Kālidāsas:

      Willst du die Blüte der frühen, die Früchte der späten Jahre,

      Willst du, was reizt und entzückt, willst du, was sättigt und nährt,

      Willst du den Himmel, die Erde mit Einem Namen begreifen,

      Nenn’ ich, Sakontala, dich, und so ist alles gesagt.

       Wichtige Werke:

      Kumārasambha (Die Geburt des Kriegsgottes)

      Mālavikāgnimitra (Das Schauspiel von Malavika und Agnimitra)

      Meghadūta (Der Wolkenbote)

      Raghumvamśa (Das Raghu-Geschlecht)

      Śakuntalā (Śakuntalā oder Das Erkennungszeichen)

      Vikramorvaśīya/Urvaśī (Das Schauspiel von Vikrama und Urvshi)

      1 Kālidāsas Werke sind in ersten Linie unter ihren Sanskrit-Originaltiteln bekannt.

      2 oberste Kaste der Hindus (Priester, Dichter, Gelehrte, Politiker)

      1 Das Rāmāyana ist eines der indischen Nationalepen und wurde vermutlich von dem Dichter Valmiki in der Zeit zwischen dem 4. Jahrhundert vor und dem 2. Jahrhundert nach Christus verfasst.

      2 vergl. Klaus Mylius. Geschichte der altindischen Literatur. Die 3000-jährige Entwicklung der religiös-philosophischen, belletristischen und wissenschaftlichen Literatur Indiens von den Veden bis zur Etablierung des Islams. Scherz 1988. S. 157.

      3 Ein Beispiel ist die Dominanz der nominalen über die verbale Ausdrucksform, was im Sanskrit schließlich zu immer unüberschaubarer werdenden Kompositionen und regelrechten Wortungetümen führte.

      1 Der Meghadūta besteht hauptsächlich aus dem Monolog eines verbannten Yaksa (eines halbgöttlichen Wesens), der sich in Sehnsucht nach seiner Frau verzehrt und einer Regenwolke – vergessend, dass diese kein lebendiges Wesen ist – eine Botschaft an die Geliebte mitgibt.

      2 Das Drama gilt in der kāvya als höchste Gattung, da es Epik und Lyrik in sich vereint (es enthält sowohl Passagen in Prosa als auch in Lyrik), verschiedene Sprachen gebraucht (je nach Stand und Geschlecht der auftretenden Personen) und ein komplexes Gesamtkunstwerk aus Wort, Geste und Klang bilden muss.

      DU FU

      (712–770)

       Vollkommene Symphonie – Der Dichterheilige

       Du Fu, der Dichterheilige (Shisheng), ist zusammen mit seinem Zeitgenossen Li Bai oder Li Bo (701–762)1 der bedeutendste Poet der chinesischen Literatur. Er brachte die klassische Dichtung der Tang-Dynastie zu ihrem Höhepunkt und überschritt sie zugleich mit seinen kühnen sprachlichen und thematischen Innovationen, die ihrer Zeit oft Jahrhunderte voraus waren. Er brachte den Alltag in die chinesische Poesie und besticht doch durch seine ungeheure Gelehrsamkeit. Teilnahmsvoll dokumentiert Du Fu das Leiden seines vom Krieg gebeutelten Landes und der eigenen Familie, während er gleichzeitig in den meisten seiner Gedichte den melancholischen Gestus eines ewig Heimatlosen beibehält.

      Die Zeit der Tang-Dynastie (618–907) sah die Blüte der klassischen chinesischen Kunst in all ihren Formen, und ihr Höhepunkt fiel in die Lebenszeit von Du Fu und seinem elf Jahre älteren Zeitgenossen Li Bai. Beide großen Dichter müssen fast in einem Atemzug genannt werden, erscheinen sie doch oft wie die zwei Seiten einer Münze: Während Li Bai für seine anarchische Weinseligkeit und seine überbordende Lebensfreude bekannt ist, verkörpert Du Fu den melancholischen Mahner und formstrengen Gelehrten. Diese beliebte (und vereinfachende) Kontrastierung2 darf aber nicht über die tiefe Verbundenheit dieser beiden bedeutendsten chinesischen Dichter hinwegtäuschen, die sich auf persönlicher Ebene durch eine, trotz nur einmaliger Begegnung3 ausgesprochen tiefe, Freundschaft niederschlug und auf künstlerischer Ebene durch eine allen Unterschieden zum Trotz sehr ähnliche poetologische Grundeinstellung. Diese äußerte sich bei Du Fu, wie Reinhard Emmerich anmerkt, etwa durch »eine in die höchste Überheblichkeit gesteigerte Auffassung über seine frühe literarische Reife und sein poetisches Schaffen, die sich mit einer Geringschätzung älterer Poeten paart oder ihn sagen ließ, wenn man (wie er) zehntausend Buchrollen zerlesen habe, führe einen gleichsam ein Geist den Schreibpinsel«1. Mit einer solchen, offensichtlich nicht unberechtigten, genialischen Einstellung brachten Li Bai und Du Fu die ausgesprochen regelstrenge klassische Poetik der Tang-Dichtung an ihre Grenzen – und darüber hinaus.

      Während die weingetränkte Lebenslust des Li Bai im Westen lange Zeit größeren Anklang fand als Du Fus herb-alltägliche Schwermut – unter anderem ersichtlich an der Vertonung von sechs Li-Bai-Gedichten durch Gustav Mahler (1860–1911) in dessen Lied von der Erde (ca. 1908–1909) –, wird Du Fu in China selbst als der bedeutendste Poet überhaupt angesehen. Sein Einfluss auf die spätere chinesische, und ab dem 17. Jahrhundert auch auf die japanische2, Literatur und Kultur war derart groß, dass Du Fu als der chinesische Shakespeare bezeichnet werden kann; seit der Song-Dynastie (960–1279) – die Zeit der Wiederbelebung der Werke des bis dahin ob seiner innovativen Radikalität fast vergessenen Du Fu – kann sich kein chinesischer Literat dem Einfluss des Dichterheiligen ganz entziehen. Mehr noch als Li Bai bereicherte Du Fu die chinesische Literatur um sprachliche, formale und thematische Neuerungen, die selbst heute noch oft unkonventionell erscheinen.

      Trotz oder gerade wegen seines Innovationsgeistes war Du Fu ein Meister jeglicher Spielart und Gattung der klassischen chinesischen Poesie. Deren Schwerpunkt lag von jeher auf der Harmonie der Form, die der Dichterheilige durch seine poetische Virtuosität zur Vollendung brachte. Seine Lyrik wird in China deswegen als jidacheng, als ›vollkommene Symphonie‹ bezeichnet, ein Begriff, mit dem auch das Werk des Konfuzius beschrieben wird. Sein Beiname Shisheng bringt Du Fu ebenfalls mit dem ›Philosophenheiligen‹ Konfuzius in Verbindung, dessen Lehre eine wichtige Rolle für die Weltsicht des großen Lyrikers spielte. Du Fus (dichterische) ›Heiligkeit‹ meint jedoch nicht eine weltabgewandte Jenseitigkeit, wie sie viele seiner vom Wunderglauben und dem Wunsch nach der Unsterblichkeit erfüllten Zeitgenossen charakterisiert, sondern vielmehr eine Hinwendung zum Hier und Jetzt, zu den kleinen und unscheinbaren Dingen und zum Alltag des Lebens und Leidens. So schreibt Du Fu in dem Gedicht Am reinen Strom:

      Großmutter malt ein Schachbrett auf Papier,

      Ein Kind klopft eine Nadel sich zur Angel.

      Für Krankheit gibt’s Tinktur und Elixier.

       Woran ist für den armen Leib noch Mangel? 1

      Somit nennt Wolfgang Kubin Du Fu zu Recht den ersten »weltlichen« Dichter Chinas2, der über das tägliche СКАЧАТЬ