Die großen Literaten der Welt. Katharina Maier
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СКАЧАТЬ Aufmerksamkeit für die Details des Alltags und die mit ihnen verwobenen Gefühlsregungen offenbart:

       Erster Winterregen!

       Auch das Äffchen ersehnt sich

      einen Regenmantel.

      Im Kreise seiner Dichterfreunde und aus seinen Erfahrungen heraus entwickelte Bashō seinen eigenen shōfū-Stil, der sich von der allzu rigiden Poetik der alten haikai-Dichtung löste und trotz strenger Vorgaben große dichterische Freiheit erlaubte. Das Ziel des shōfū, und damit des haiku, ist, wie Irmela Hijiya-Kischnereit formuliert, die »mystisch-intuitive […] Anverwandlung aller Bereiche der Erscheinungswelt«1. Das heißt, über die scharfe Beobachtung des Details und dessen poetische Verarbeitung in der festen Form des haiku soll für Dichter wie Leser ein Schritt hin zum Staunen, und so hin zur Erleuchtung, getan werden. Fugano-michi, der Weg der Eleganz, war das oberste Mittel des shōfū-Stils: eine ungewöhnliche Prägnanz der Aussage bei gleichzeitiger Geschlossenheit des Gedichtes, die doch einen Nachhall (yoin) im Leser erlaubt. Das bedeutet, das haiku soll in 17 Silben ein abgerundetes Ganzes bilden und gerade dadurch etwas anregen im Leser, das den Blick über den kleinen Ausschnitt, den das Gedicht präsentiert, hinauslenkt auf ein unbestimmtes Anderes. So soll das haiku in immer wandelbarer Gestalt (ryūkō) das Unwandelbare (fueki) offenbaren.

       Zwei Menschenleben!

       Und dazwischen ganz üppig –

      die Kirschblütenzeit.

      Ein solches haiku, das im Detail auf das Ganze verweist und damit auf die unauflösliche Verwobenheit von allem mit allem, besitzt Wahrhaftigkeit (makoto).1

      Die Kunst des haiku wurde zur Volkskunst in Japan, zum Volksspiel sozusagen, das einen scharfen Blick und das Staunen der Seele ausbilden soll. Auf die Lyrik des Westens im 20. Jahrhundert wiederum – als die Dichter am Rande der Verzweiflung nach neuen Ausdrucksformen in einer fundamentalen Sprachkrise suchten – hatte diese japanische Poesie des Sehens einen ungeheueren Einfluss.

       Wichtige Werke:

      Kai ōi (1672)

      Oku no hosomichi (Auf schmalen Pfaden durchs Hinterland, 1689)

      Sarumino (Das Affenmäntelchen, 1691)

      1 Der Begriff entstand im 19. Jahrhunderts aus der Zusammenziehung der ursprünglichen Bezeichnung haikai no hokku (= Erstgedicht in einer Kettengedichtsequenz).

      1 Besonders die Werke des ›Dichterheiligen‹ Du Fu (712–770) mit ihrer melancholisch-reflexiven Grundstimmung und die weinseligen, lebensfrohen Verse des großen Li Bai (701–762) übten Einfluss auf Bashōs eigene Lyrik aus.

      1 Irmela Hijiya-Kischnereit: »Matsuo (Munefusa) Bashō«. in: Axel Ruckaberle (Hg.): Metzler Lexikon der Weltliteratur. Stuttgart/Weimar: Metzler 2006. Band 2. S. 119–20. hier: S. 120.

      1 vergl. Gero von Wilpert (Hg.): Lexikon der Weltliteratur. Band I. Stuttgart: Körner 1988. S. 122.

      SOR JUANA INÉS DE LA CRUZ (JUANA INÉS DE ASBAJE Y RAMÍREZ DE SANTILLANA)

      (1651–1695)

       Die zehnte Muse – Der Impuls moderner Poesie

       Die Nonne Juana Inés de la Cruz war die herausragende intellektuelle Figur im Mexiko des 17. Jahrhunderts. Sie war Universalgelehrte, Proto-Feministin und weltliche wie mystizistische Liebespoetin und ist ohne Zweifel die bedeutendste Dichterin des kolonialen Amerikas. Aus ihren Versen spricht eine Modernität, die ihrer Zeit weit voraus war.

       Ich und nur ich allein muss

      mir Familie und Stammbaum sein.

      Was kann sich schon messen mit dem Wissen,

       dass ich von niemandem abhängig bin?

      Ich wähle den Tod, um mich selbst zu gebären,

      wann immer mir danach der Sinn steht.

       […]

      Mein Tintenfass ist der schlichte Scheiterhaufen,

       auf dem ich mich selbst in Flammen setze…

      Die Poesie von Sor Juana Inés de la Cruz trage den Impuls der Moderne in sich, schrieb der mexikanische Dichtergigant und Nobelpreisträger Octavio Paz (1914–1998) in seiner monumentalen Studie/Roman Sor Juana Inés de la Cruz oder die Tücken des Glaubens (Sor Juana Inés de la Cruz o la trampa de la fe, 1982). Das obige Gedicht ist eindrucksvoller Beweis dafür, dass sich in der Dichtung der mexikanischen Nonne ein modernes, und dazu weibliches, Ich eine Stimme kreiert, wie sie zu ihrer Zeit noch nie gehört worden war – und, das zeigt das tragische Verstummen der Dichterin, aller Sprachgewalt zum Trotz auch noch nicht bereit war, gehört zu werden.

      Sor Juana war in der Tat eine singuläre Erscheinung. Sie wurde unter dem Namen Juana Inés de Asbaje y Ramírez de Santillana als illegitime Tochter einer Kreolin geboren, jedoch im Haushalt ihres Großvaters erzogen, wo das hochintelligente Mädchen eine ungewöhnlich umfassende Ausbildung erhielt. Schon mit drei Jahren, so heißt es, konnte Juana lesen und verschlang von da an jedes Werk, das sie aus der Bibliothek ihres Großvaters in die Finger bekam. Besonders gern beschäftigte sie sich mit Poesie, Philosophie, Astronomie und Medizin. Im Alter von 15 Jahren galt das Mädchen als die gebildetste Frau Mexikos und wurde an den Hof des Vizekönigs geholt und in den Stand einer Hofdame der Vizekönigin erhoben. Ihre Schönheit, ihre scharfe Zunge, ihr wacher Verstand, ihr ungeheures Wissen, ihre zarte Poesie – all dies sicherte ihr die Bewunderung des gesamten Hofes. Und doch entschied sich Juana im Alter von zwanzig Jahren, den Schleier zu nehmen. Die Spekulationen über ihre Motive gehen auseinander; während manche Quellen nahelegen, dass die junge Hofdame verheiratet gewesen war und nach dem Tod ihres über alles geliebten Mannes nur noch ein Leben als Braut Christi in Betracht ziehen konnte, gehen die meisten Forscher davon aus, dass trotz des Mäzenats des Vizekönigs letztendlich das Kloster der einzige Ort war, an dem eine unverheiratete Frau sich der Gelehrsamkeit hingeben konnte. Und lange Zeit schien Sor Juana auch genau das zu gelingen: Sie verwandelte das Kloster San Geranium in einen Ort intellektueller Begegnung, schuf dort eine Bibliothek mit über 4.000 Büchern und verfasste philosophische wie theologische Abhandlungen – und natürlich Poesie. Letztere bestand nicht nur aus Auftragsarbeiten von Kirche und Königshof (darunter Vokalmusik und Dramen), sondern auch aus mystizistischen und weltlichen Liebesgedichten. Letzteres erregte nicht selten den Unmut der kirchlichen Obrigkeit. Der Bischof von Puebla rügte die Nonne mehrmals öffentlich wegen ihrer weltlichen Gelehrsamkeit und unangemessenen Verse, was Sor Juana mit scharfzüngigen offenen Briefen beantwortete. Diese – z. B. die berühmte Antwort an Schwester Philothea (La Requesta de la poetisa a la muy ilustre Sor Philotea de la Cruz, um 1690)1 – können als frühe feministische Manifeste gelesen werden, in denen Sor Juana das Recht der Frauen auf Bildung verteidigt, wie sie es etwa auch in dem folgenden zu Ehren der Heiligen Katharina von Alexandria verfassten Gedicht tut2:

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