Название: Im Hause des Kommerzienrates
Автор: Eugenie Marlitt
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 4064066111663
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»Verzeihen Sie, Herr Doktor, daß ich Sie unterbreche!« fiel Franz ein; »gerade deshalb durfte er's nicht. Ich hab' mir's gleich gedacht, daß das die Frau Präsidentin nicht zugibt. Wer läßt sich denn auch eine solche Nachbarschaft gefallen, wenn er nicht muß? Und richtig — die Damen drüben sind furchtbar böse geworden und haben's ein für allemal nicht gelitten, daß die Bauplätze abgegeben worden sind; ‚es sollen neue Anpflanzungen gemacht werden‘, hat's geheißen, und damit war die Sache abgemacht. Nun sind sie wütend in der Fabrik und thun Schabernack und rächen sich, wo sie können.«
»Freilich eine erbärmliche Rache! — Du armes Ding!« sagte Käthe und nahm die Taube aus Franzens Hand.
»Das Beklagenswerte dabei ist, daß diese Roheit einzelner auf einen ganzen Stand strafend zurückwirkt. Man wird der Präsidentin keinen Vorwurf mehr daraus machen dürfen, daß sie solche Elemente nicht in ihrer Nähe dulden will,« sprach Doktor Bruck mit verfinstertem Gesicht.
»Das sehe ich nicht ein. Es gibt Boshafte und Rachsüchtige in allen Ständen,« versetzte das junge Mädchen rasch und lebhaft. »Ich verkehre oft in den unteren Klassen; mein Pflegevater hat viel arme Patienten, und wo außer seinen Medikamenten auch kräftige Suppen und sonstige Nachhilfe in der Pflege not thun, da unterstützt ihn meine liebe Doktorin nach Möglichkeit, und ich gehe selbstverständlich auch mit. Man stößt auf viel Undank und Rohheit, das ist wahr, oft aber auch auf brave und edle Gesinnung, Not und Elend sind aber meist so herzerschütternd —«
»Ist nicht so schlimm, wie sie denken, Fräulein — das Volk verstellt sich,« unterbrach sie Franz mit einer wegwerfenden Handbewegung.
Käthe maß ihn einen Augenblick schweigend von unten herauf mit einem sprechenden Blick. »Sieh, sieh, was für ein vornehmer Herr der Franz geworden ist!« sagte sie mit unverkennbarer Ironie. »Von wem sprechen Sie denn? Sind Sie nicht selbst aus dem Volke? Und was waren Sie denn früher in der Schloßmühle? Ein Arbeiter wie die Leute dort in der Spinnerei auch, ein Arbeiter, der schweigend manches Unrecht leiden mußte, wie ich sehr genau weiß.«
Dem Müller schoß das Blut in das bestäubte Gesicht. Er stand in sprachloser Verblüfftheit vor der jungen Dame, die ihm so kurz und bündig, so schlagend seinen Standpunkt bezeichnete. »Na, Fräulein, nichts für ungut! Es war nicht so böse gemeint,« sagte er endlich und streckte ihr in unbeholfener Verlegenheit seine breite Hand hin.
»In Wirklichkeit sind Sie auch nicht so schlimm, Sie haben Glück gehabt und kehren nun den Schloßmühlenpächter heraus, der Geld in der Tasche hat,« entgegnete sie und legte einen Augenblick ihre schmale Hand in die seine, aber die kleine Falte des Unwillens auf ihrer Stirn glättete sich nicht so rasch wieder. Sie zog ein weißes Tuch aus der Tasche, schlug es um die Taube und knüpfte die vier Enden zusammen. »Ich werde Henriette den kleinen Invaliden mitbringen,« sagte sie, das Tuch vorsichtig in die Hand nehmend — es sah aus wie ein armseliges Reisebündelchen.
Der Doktor öffnete eine kleine Seitenthür in der Hofmauer, welche direkt in den Park führte, und ließ die junge Dame voranschreiten. Draußen blieb sie wie eingewurzelt stehen. »Ich finde mich nicht zurecht,« rief sie fast bestürzt und wandte sich wie hilflos nach ihm um. »Sieht es doch fast aus, als ob Riesenhände den Park durcheinander geschüttelt hätten. Was thun die Leute dort?« Sie zeigte weit hinüber nach einer Erdvertiefung von gewaltigem Umfang, aus der die Köpfe zahlloser Arbeiter auftauchten.
»Sie graben einen Teich; die Frau Präsidentin liebt die Schwäne auf breitem Wasserspiegel.«
»Und was baut man da drüben nach Süden hin?«
»Ein Palmenhaus.«
Sie sah nachdenklich vor sich hin. »Moritz muß sehr reich sein.«
»Man sagt es.« Das klang so kühl und objektiv, als vermeide er absichtlich, seinen Antworten auch nur den leisesten Mitklang eines eigenen Urteils zu geben ... Er war ein auffallender Mann, dieser Doktor Bruck; das sah sie jetzt so recht, wie er im rotflutenden Abendlichte neben ihr stand. Es lag etwas von militärischer Strenge und Straffheit in seiner Haltung, während sein schönes, luftgebräuntes Gesicht mit dem weichgelockten Vollbarte nur die Züge sanftgemilderten Ernstes zeigte. Von Gedrücktsein oder Niedergeschlagenheit, die ein Mißgeschick wie das über ihn verhängte meist zur Folge hat, war in der ganzen Erscheinung nicht eine Spur zu finden. »Ich werde Sie führen,« sagte er, als sie unschlüssig ihre Augen über das total veränderte Terrain schweifen ließ. Er reichte ihr seinen Arm und sie legte unbedenklich ihre Hand darauf. So schritt Schwester Flora neben ihm ... wunderlich! Erst jetzt fiel ihr der Gedanke, daß sie in wenigen Minuten der ihr geistig so weit überlegenen Schwester gegenübertreten sollte, unbeschreiblich bang und schwer auf das Herz.
Sie blieb stehen und sagte nach einem tiefen Atemholen befangen lächelnd: »O ich Hasenfuß! Ich glaube gar, ich fürchte mich. — Ob ich wohl Flora gleich beim Eintreten begegnen werde?«
Sie sah, wie ihm das Blut jäh und dunkel in das Gesicht stieg. »Soviel ich weiß, ist sie ausgefahren,« antwortete er mit bedeckter Stimme, und gleich darauf setzte er, jeder neuen Frage vorbeugend, hinzu: »Sie werden das ganze Haus heute noch in einer gewissen Aufregung finden — der Fürst hat Moritz vor wenigen Tagen den Adel verliehen.«
Und das sagte er jetzt erst. »Wofür denn?« stieß sie überrascht heraus.
»Nun, er hat bedeutende Verdienste um die Hebung der Industrie im Lande,« versetzte er so rasch und ernstlich, als gelte es, ein ungünstiges Urteil abzuwenden. »Dabei ist Moritz ein Mensch von großer Herzensgüte — er thut sehr viel für die Armen.«
Käthe schüttelte den Kopf. »Sein Glück macht mir angst.«
»Sein Glück?« wiederholte er betonend. »Es kommt darauf an, wie er selbst diese Wechselfälle ansieht.«
»O, ganz gewiß als etwas Beseligendes,« antwortete sie entschieden. »Ich weiß aus seinen Briefen, daß ihm die Erwerbung weltlicher Güter Hauptlebenszweck ist. Seine letzte Zuschrift z. B. war eine geradezu verzückte, weil — mein Erbe sich über alles Erwarten reich herausgestellt hat.«
Er ging schweigend neben ihr her; dann fragte er mit einem Seitenblicke: »Und Sie — bleiben denn Sie kalt, diesem Reichtume gegenüber?«
Käthe bog den Kopf mit graziösem Mutwillen vor und sah ihm unter das Gesicht. »Sie erwarten wahrscheinlich eine sehr gesetzte Antwort von mir großem Mädchen, so ein recht ernstes Ja, aber das kann ich mit dem besten Willen nicht herausbringen. Ich finde es nämlich über die Maßen hübsch, reich zu sein.«
Er lachte leise in sich hinein und fragte nicht weiter. Sie gingen rasch vorwärts und erreichten bald die Lindenallee. Sie war verschont geblieben; man hatte die lange Bahn bereits mit frischem Kies bestreut. »Ach, dort die liebe, altmodische Bekannte steht auch noch,« rief das junge Mädchen, nach einer fernen Holzbrücke zeigend, die ihren schmucklosen morschen Bogen über den Fluß schlug.
»Sie führt zu dem Grundstücke am jenseitigen Ufer —«
»Ja, nach dem Gras- und Obstgarten. Ein hübsches altes Haus steht drin. Es hat als Wirtschaftsgebäude zu dem ehemaligen Schlosse gehört, ist ganz von Wein umsponnen und hat breite Steinstufen vor der Thür ... СКАЧАТЬ