Название: In Nacht und Eis
Автор: Fridtjof Nansen
Издательство: Bookwire
Жанр: Путеводители
Серия: Edition Erdmann
isbn: 9783843802543
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Am 15. September kamen wir in gutes offenes, aber seichtes Wasser von 12–13 Meter Tiefe. Wir hörten im Osten das Getöse der Wogen; in dieser Richtung musste also offenes Wasser sein. Offenbar wirkte hier schon der Lena-Strom mit seiner mächtigen Masse warmen Wassers. Die See war bräunlich und augenscheinlich mit schlammigem Flusswasser vermischt; auch der Salzgehalt war gering.
Das Eis gibt mir hier ziemlich viel zu raten auf. Wie in aller Welt geht es zu, dass es nicht durch die Strömung, die von dieser Küste nach Norden geht, nordwärts getrieben wird? Das Eis ist so hart und dick und sieht aus, als sei es mehrere Jahre alt. Kommt es von Osten her oder treibt es sich hier rundherum in der See zwischen der nordwärts gehenden Strömung der Lena und der Taimyr-Halbinsel? Ich kann es noch nicht sagen, jedenfalls unterscheidet sich dieses Eis von dem dünnen, einjährigen Eis, das wir bis jetzt im Karischen Meer und westlich von Kap Tscheljuskin gesehen haben.
Sonnabend, 16. September. Wir halten nach dem Kompass einen nordöstlichen Kurs durch offenes Wasser ein und sind ziemlich weit nach Norden gekommen, sehen aber kein Eis. Der Himmel ist nach Norden hin dunkel. Es ist verhältnismäßig warm, fast +2°C. Wir haben die Strömung gegen uns.
Am nächsten Tag trafen wir Eis an und hielten etwas südlich, um davon freizukommen. Ich fürchtete schon, dass wir nicht so weit gelangten, wie ich gehofft hatte. Aber in meinen Aufzeichnungen für den 18. September steht:
»Ein herrlicher Tag. Richteten den Kurs nordwärts, westlich von der Bjelkoff-Insel. Offene See, schöner Wind aus Westen, guter Fortgang, Wetter klar. Nachmittags etwas Sonnenschein.«
»Nun kommt der entscheidende Augenblick. Um 12 Uhr 15 Minuten nehmen wir den Kurs missweisend Nord zu Ost. Jetzt muss sich zeigen, ob meine Theorie, auf der die ganze Expedition beruht, richtig ist: ob wir nördlich von hier eine nach Norden gerichtete Strömung finden!
Bis jetzt ist alles besser gegangen, als ich erwartet habe. Wir stehen auf 75°30’ n.Br. und haben im Norden und Westen noch offenes Wasser und dunklen Himmel.
Abends wurde voraus und über dem Steuerbordbug am Himmel der Widerschein von Eis sichtbar. Gegen 7 Uhr glaubte ich Eis zu sehen, das jedoch in so regelmäßigen Linien aufstieg, dass es mehr Ähnlichkeit mit Land hatte; es war aber zu dunkel, um genau zu unterscheiden. Es konnte die Bjelkoff-Insel sein, und ein großer, heller Fleck weiter nach Osten wäre dann der Widerschein der schneebedeckten Kotelnyj-Insel gewesen.
Gern wäre ich hier angelaufen, einmal, um etwas von dieser interessanten Insel zu sehen, zum andern, um den Proviant zu untersuchen, der, wie wir wussten, von Baron von Toll dort für uns niedergelegt war. Aber die Zeit war kostbar und nach Norden hin schien die See offen vor uns zu liegen. Die Aussichten waren glänzend und wir segelten stetig nach Norden, neugierig, was der nächste Tag uns bringen würde, Enttäuschung oder Hoffnung. Wenn alles gut ging, würden wir Sannikoff-Land erreichen, ein Gebiet, das noch kein Mensch betreten hatte.
Es war ein seltsames Gefühl, so in dunkler Nacht nach unbekannten Ländern zu fahren, über ein offenes, wogendes Meer, das noch kein Schiff, kein Boot getragen. Wir glaubten in Gewässern Hunderte von Meilen südlicher zu schwimmen, so mild war es.«
Dienstag, 19. September. Noch nie habe ich eine so herrliche Segelfahrt gemacht. Weiter geht es nach Norden, stetig nach Norden mit gutem Wind, so schnell Dampf und Segel uns führen, und auf offener See, Meile auf Meile, Wache um Wache durch diese unbekannten Gebiete. Fast könnte man sagen: Es wird freier und immer freier von Eis! Wie lange wird dies dauern? Immer, wenn man auf der Brücke auf und ab schreitet, wendet sich das Auge nach Norden, blickt es in die Zukunft. Und voraus ist stets derselbe dunkle Himmel, der offenes Wasser anzeigt.
Mein Plan bestand die Probe. Seit dem 6. September war uns das Glück zur Seite. Wir sahen »nichts als reines Wasser«, wie Hendriksen mir jedes Mal aus der Tonne antwortete, wenn ich ihn anrief. Als er später am Ruder stand und ich auf der Brücke, sagte er plötzlich: »Zu Haus in Norwegen glauben sie jetzt kaum, dass wir in freiem Wasser gerade auf den Pol lossegeln!«
Und ich würde es selbst nicht geglaubt haben, wenn mir jemand das noch vor vierzehn Tagen gesagt hätte. Alle meine Erwägungen über die Frage des offenen Sibirischen Meeres wurden bestätigt und das machte mich glücklich; denn nur selten erweisen sich die Eingebungen der Menschen als so richtig.
Nach keiner Richtung hin stand der Widerschein von Eis am Himmel, nicht einmal jetzt am Abend! Wir sahen den Tag über kein Land, aber wir hatten den ganzen Vormittag Nebel und dickes Wetter, sodass wir mit halber Kraft fuhren, weil wir irgendwo aufzustoßen fürchteten. Wir waren jetzt beinahe auf 77° n.Br. Wie lange wird das so weitergehen? Ich würde mich freuen, wenn wir 78° erreichten; allein Sverdrup ist weniger leicht befriedigt, er sagt: über 80°, vielleicht 84° oder 85°. Er spricht sogar ernsthaft von dem offenen Polarmeer, von dem er einmal gelesen hat, und kommt immer wieder darauf zurück, obwohl ich ihn auslache.
Fast muss ich mich fragen, ob ich nicht träume. Man muss gegen den Strom gekämpft haben, um zu wissen, was es bedeutet, mit dem Strom zu fahren.
Lebendiges ist hier kaum zu sehen. Heute beobachtete ich in der Ferne einen Alk und später eine Seemöwe. Als ich abends einen Eimer Wasser aufzog, um das Deck abzuspülen, phosphoreszierte das Wasser stark. Man könnte meinen, im Süden zu sein.
Mittwoch, 20. September. Fast 78° sind erreicht. Aber rau wurde ich aus meinem Traum geweckt! Als ich 11 Uhr vormittags in die Karte blickte und daran dachte, dass mein Kelch wohl bald voll sein würde, luvte das Schiff plötzlich an und ich stürzte hinaus. Vor uns schimmerte die Eiskante durch den Nebel, lang und fest. Ostwärts schien das Eis weiter nach Süden zu reichen. Wahrscheinlich würden wir eine höhere Breite gewinnen, wenn wir westlich hielten; also steuerten wir in dieser Richtung. Die Sonne kam einen Augenblick durch und wir nahmen eine Beobachtung, die 77°44’ n.Br. ergab.
Wir steuerten jetzt nordwestlich am Rande des Eises entlang. Vögel verschiedener Art, die wir beobachteten, deuteten auf Landnähe. Ein Zug Schnepfen oder Stelzvögel begegnete uns, folgte uns eine Zeit lang und flog dann nach Süden davon. Sicherlich kamen die Vögel von einem Land im Norden. Wir sahen nichts. Hartnäckig lagerte der Nebel über dem Eis. Am nächsten Tag war es klarer, doch immer noch kein Land in Sicht. Wir standen jetzt eine gute Strecke nördlich von der Stelle, auf die Baron von Toll auf der Karte die Südküste von Sannikoff-Land verlegt hat. Wahrscheinlich ist jenes Land also nur eine kleine Insel und jedenfalls kann es sich nicht weit nach Norden ausdehnen.
Am 21. September hatten wir dichten Nebel. Wir segelten nordwärts bis zum oberen Ende einer Bai im Eis, kamen nicht weiter und beschlossen, hier klares Wetter abzuwarten. Nach meiner Berechnung waren wir jetzt auf etwa 78°30’ n.Br. Im Laufe des Tages loteten wir mehrmals, erreichten aber mit 400 Meter Leine den Grund nicht!
Heute entdecke ich, dass Wanzen an Bord sind. Sehr angenehm! Wir müssen den Kampf gegen sie aufnehmen.
Freitag, 22. September. Wieder heller Sonnenschein und glänzend weißes Eis voraus. Zuerst lagen wir im Nebel still, weil wir keinen Weg sahen; jetzt ist es klar, aber wir sind nicht klüger geworden. Es sieht aus, als ob wir uns an der nördlichen Grenze des offenen Wassers befinden. Nach Westen scheint das Eis sich wieder südwärts auszudehnen. Nach Norden ist es fest und weiß und zeigt nur hier und dort kleine, offene Rinnen oder einen Teich und der Himmel ist überall am Horizont bläulich weiß.
Wir sind von Osten her gekommen, haben dort aber nur wenig gesehen; da wir nichts Besseres zu tun haben, werden СКАЧАТЬ