Название: Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke
Автор: Eduard von Keyserling
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962814601
isbn:
Auf dem Polster lag ein winziges rotes, faltiges Gesicht, aber unzweifelhaft ein Gesicht: Da war eine Nase, ein Mund, eine Stirn, über die sorgenvolle Furchen hinliefen, Augenlider, so durchsichtig und geädert wie bei jungen Vögeln, die Augenlider zuckten, hoben sich – und ließen zwei blanke, runde Punkte sehen. Der Mund, der wie ein winziges Tröpfchen roter Farbe unter der Nase saß, verzog sich, öffnete sich und stieß wieder den knarrenden Puppenlaut aus. Rosa erschrak: Warum weinte es? Was sollte sie tun? Ach Gott, erwachte doch die Leb! »Frau Leb, Frau Leb!« Vergebens! Rosa sank in ihre Kissen zurück und weinte auch; sie wusste sich nicht anders zu helfen.
Das Wimmern des Kindes musste doch bis zur Frau Leb gedrungen sein, denn diese erwachte plötzlich, eilte zum Kinde, sprach leise mit ihm, rückte es zurecht und gab ihm etwas zu trinken. Als sie sich aufrichtete, bemerkte sie, dass Rosa wach dalag. Sie lächelte ihr zu: »Guten Tag, Fräulein! Aber Sie weinen ja?«
»Oh, es ist nichts!« erwiderte Rosa befangen, »das – das Kleine weinte, und ich wusste nicht, was ich tun sollte.«
»Hat man so etwas gesehen?« lachte die Leb in sich hinein, »über so etwas zu weinen! Lassen Sie das Kind nur schreien, das ist ihm gesund, das ist seine Arbeit. Solch ein Wurm will auch zeigen, dass er lebt. Also – betrachtet haben Sie’s schon? Das ist gut! Ein ganz fehlerloser Bub, nicht? Ein wenig klein und leicht, aber solche kommen oft besser fort als die dicken und schweren, da kann man schon gratulieren. Bei einer ersten Niederkunft geht’s nicht immer so glatt ab. Wollen Sie das Kind nehmen?«
»Nein – ich danke«, versetzte Rosa zögernd, »schlafen möchte ich.«
»Freilich!« meinte die Leb, »ein Kind in die Welt setzen ist keine Kleinigkeit. Wenn die Männer über schwere Arbeit klagen, sag ich immer: Ihr solltet ein Kind zur Welt bringen, da würdet ihr wissen, was Arbeit heißt; das ist schwerer als Holz spalten und pflügen. Nun, schlafen Sie, mein Engelchen!«
Rosa schloss die Augen und sagte leise: »Bitte, Frau Leb, schieben Sie die Stühle näher an mein Bett«, und als die Frau Leb die Stühle mit dem Kinde näher an das Bett gerückt hatte, lächelte Rosa und meinte: »So ist es gut. danke, Frau Leb.«
Die Schwäche in allen Gliedern brachte einen wohligen Frieden über sie und einen süßen, traumlosen Schlummer. Die Leb setzte sich mit ihrem Strickstrumpf an das Fenster, und tiefe Ruhe herrschte wieder im Krankenzimmer.
Zweites Kapitel
Im engen Giebelstübchen lagen Rosa und ihr Kind nebeneinander und warteten, dass das mächtige Band, mit dem eins an das andere geknüpft werden sollte, sich fühlbar mache. Rosas Blicke ruhten unausgesetzt auf dem weißen Paket wie auf einem Gegenstande, von dem sie eine große Wirkung auf sich erwartete. Sie ließ zwar die Leb für das Kind sorgen, beobachtete es jedoch eifersüchtig, als sei es ein Geschenk, das ihr noch nicht feierlich übergeben worden war, von dem sie aber wusste, dass es ihr gehören sollte. Erst als Frau Böhk ihr das Kind zum ersten Male an die Brust legte, empfand Rosa voll ihren Besitz. Sie nahm das Kind in ihre Arme, fühlte den Pulsschlag dieses zarten Lebens, fühlte, wie die warmen Lippen sich an ihre Brust festsogen, und ein heißes, tiefinneres Behagen durchwallte sie. Ihre Glieder bebten leicht. Am liebsten hätte sie mit all ihrer Kraft das Kind an sich gedrückt, hätte sie nicht gefürchtet, ihm Schaden zuzufügen. So hielt sie denn ganz still, das sonst so erregte, wechselvolle Mädchengesicht nahm einen Ausdruck milden Ernstes an, der ihm bisher fremd gewesen war. Dieser Augenblick hatte für Rosa soviel Feierliches, dass die Gegenwart der Hebamme sie störte. »Sie sehen, Frau Böhk«, sagte sie errötend, »nun kann ich’s schon. Unten ging die Haustüre, vielleicht hat der Briefträger mir einen Brief gebracht.«
»Gut, ich gehe schon«, sagte Frau Böhk, die doch etwas von dem wahren Sachverhalt zu ahnen schien, »in zehn Minuten bin ich wieder bei Ihnen.«
Nun war Rosa mit ihrem Kinde allein und durfte sich ganz dem Anblick des kleinen, sorgenvollen Gesichtes widmen, konnte ungestört der wonnigen Aufregung Raum geben, die in ihr zitterte. Nicht Gedanken beschäftigten sie, es war ein nie empfundenes Überwallen ihres Gefühles, das sie verklärte. Ihr ganzes Wesen versenkte und verlor sich in das junge Leben an ihrer Brust. Der Bund erwachender Mutterliebe, der dort in dem Tiglauer Giebelstübchen geschlossen ward, bestand in einem plötzlichen und vollständigen Ausliefern des eigenen Daseins an das Kind. Zum ersten Male trat Rosas Seele aus ihrer Einsamkeit heraus, um sich mit einem anderen Wesen eins zu fühlen.
Als Rosa sich ihrer Zusammengehörigkeit mit dem Kinde bewusst ward, begann sie in ruhiger Vertraulichkeit sich mit ihm zu schaffen zu machen, mit ihm leise zu sprechen: »Wie? Du willst nicht mehr trinken? Nein, lass es nur, schlafe, ich halte dich. So, lehn dich an mich. Hier darf niemand dir etwas tun. Niemand darf dich fortnehmen. Hier kannst du ruhig schlafen.«
Das Kind schien sie zu verstehen. Es weinte nicht mehr, sondern lehnte seine weiche Wange an die Brust seiner Mutter, und der kleine Körper zog sich in sich selbst zusammen, wie es Menschen tun, die sich behaglich fühlen. – Von jetzt an trug Rosa ihre Krankheit mit Ungeduld. Sie wäre gern kräftig und Herr ihrer Bewegungen gewesen, um ganz allein ihrem Kinde dienen zu dürfen. Mit misstrauischer Eifersucht betrachtete sie es, wie die Leb und Frau Böhk das Kleine umbetteten und bepflegten. Sie sehnte sich nach der Zeit, da sie allein das Kind würde berühren dürfen. Solche Ungeduld glaubte Rosa nur als ganz kleines Mädchen schon empfunden zu haben. In der Nacht, die dem Christabend folgt, pflegte sie in ihrem Bett zu liegen und vor Ungeduld mit den Füßen zu zappeln, wünschend, die Nacht wäre vorüber, und sie dürfte wieder bei den neuen, blanken Sachen sein.
Drittes Kapitel
Dürre, schwüle Julitage waren angebrochen. Den Tag über musste man die Fenster des Giebelstübchens dicht verhängen, um der Sonne und der Hitze zu wehren. Dort saß Rosa an der Wiege ihres Kindes. Sie durfte schon das Bett verlassen, sich regen und frei schaffen. Das Gesicht war noch von überzarter Blässe, zeigte jedoch einen ruhig befriedigten Ausdruck. Rosa fühlte das wohl. Das stete Ringen, das qualvoll verwickelte Grübeln, mit dem sie doch nimmer ins reine kam, waren fort, waren СКАЧАТЬ