Die Geheimbünde. Marco Frenschkowski
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Название: Die Geheimbünde

Автор: Marco Frenschkowski

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

Серия: marixwissen

isbn: 9783843800174

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СКАЧАТЬ nach wie vor vielfach nachgedruckte Darstellung wie die von Will-Erich Peuckert, Geheimkulte (Heidelberg 1951. Nachdruck z.B. Hildesheim u.a. 1988) sehen. Peuckert (1895-1969) – ein angesehener Volkskundler, der z.B. zur Einbeziehung der Lebenswelt von modernen Arbeitern in die volkskundlichen Arbeit Wichtiges geleistet hat, und der auch ein Erforscher der frühen Neuzeit gewesen ist – stellt ein breites Spektrum an Bünden, Vergemeinschaftungen und Gruppenbildungsphänomenen in zahlreichen Gesellschaften vor. Dabei ist sein Ansatz hermeneutisch: Gemeinsame Grundstrukturen werden in den verschiedenen Gesellschaften geringfügig variiert und können im kulturübergreifenden Blick erklärt werden. Ziel ist ein Verstehen der Phänomene des Geheimbundwesens in Kategorien unserer Kultur. Dazu werden die einzelnen Phänomene in ein evolutionistisches, diachrones Schema geordnet. »Zauberwesen« z.B. gelten »älter« als Religion. Es gibt daher ein erkennbares Vorher und Nachher der Einzelerscheinungen, der Rituale und ihrer Funktion. Dieses Vorher und Nachher ist allerdings fast immer nur spekulativ zu gewinnen; die ethnologische empirische Feldarbeit liefert ja nur Momentaufnahmen. Peuckert interessiert sich auch für nationale und kulturelle Unterschiede, z.B. notiert er, dass die in Südeuropa und Afrika immens wichtigen sexuellen Konnotationen der Initiationen Jugendlicher (welche dann zur Hochzeit legitimieren) bei nordamerikanischen Indianern völlig fehlen, wo aber extrem schmerzhafte Mutproben und überhaupt das Element des Schmerzes im Mittelpunkt stehen. Das ist vereinfacht, aber nicht falsch. Manche Völker haben kaum oder nur sehr verkümmerte Pubertätsriten, z.B. viele arktische und nord­asiatische Völker. Gewisse Geheimbünde mit ihren Initiationen erfüllen spezifische Aufgaben in ihrer Gesellschaft, z.B. waren die Arioi auf Tahiti wandernde Schausteller mit stark erotisch konnotierten Darbietungen, die intern als Geheimgesellschaft organisiert waren .

      Nun ist es unbestritten, dass es Entwicklungen gegeben hat und gibt. Ob diese sich aber in einem übergreifenden evolutionistischen Schema, das weltweit konstant und quasi naturgesetzlich wirkt, beschreiben lassen, ist fraglich geworden. Es scheint heute angemessener, die einzelnen Rituale in ihren jeweiligen Gesellschaften detailliert zu verstehen als übergreifende, pauschale Theorien zu formulieren, die im Einzelnen doch nur wenig tragfähig sind. Dennoch bleibt Peuckerts Buch eine anregende, materialreiche Lektüre, gerade zu solchen Aspekten, die hier nur stichwortartig angeschnitten werden können (z.B. zur Geschichte von Beschneidungsriten).

      Weniger diachronisch, sondern eher phänomenologisch geprägt ist dagegen der Ansatz des großen rumänischen Religionswissenschaftlers Mircea Eliade (1907-1986), der auch über wissenschaftliche Kreise hinaus weite Beachtung gefunden hat. Er sieht Initiationen als allgemeinmenschliches Phänomen: In der Gegenwart hätten sie zwar ihre ontologische Geltung verloren (sie verändern nicht mehr das menschliche Sein), werden aber weiter praktiziert und wirken auf einer psychologischen Ebene. Eliade unterscheidet zwei Grundtypen: Pubertätsriten, welche jungen Menschen Zugang zum Heiligen, zur Erkenntnis und zur Sexualität vermitteln, und andererseits spezielle Initiationen, welche Menschen auf sich nehmen, um ihre Lage, ihren Status zu verändern bzw. in Kontakt mit übernatürlichen Wesen zu kommen. Das Symbol- und Motivinventar der beiden Typen sei nun aber auffälligerweise weitgehend identisch. Eliade listet einige rekurrierende Elemente auf: a. Trennung von der Mutter, der Erde u.ä.; b. Beschneidungen u.a. Prüfungen und Torturen, die zu einem Tod mit nachfolgender Auferstehung gehören; c. Initiation als neue Geburt, die auf eine Schwangerschaft folgt; d. Rückzug in den Busch und Suche nach einem Schutzgeist; e. die »heroische Initiation«, deren Akzent auf einem »Sieg« liegt und die z.B. das Motiv der Verwandlung in ein wildes Tier kennt; f. die Schameneninitiation mit Körperzerstückelung, Seelenaufstieg und Katabasis in das Totenreich; g. paradoxe Prüfungen (oft folklorisiert und aus dem rituellen Kontext gelöst). Verschiedene Symbolismen und Initiationsszenarien können nebeneinander in einer Kultur bestehen. Viele Initiationen sind nach Eliade Wiederholungen eines kosmogonischen und anthropogonischen Urdramas, das also den Initianden in Kontakt mit einem weltbegründenden Geschehen der mythischen Zeit bringt. Ein häufiges Muster eines solchen Urdramas erzählt z.B., ein übernatürliches Wesen habe versucht, den Menschen durch Tötung radikal zu erneuern, was misslungen sei. Dann sei dieses übernatürliche Wesen selbst getötet worden: Die Initiation wiederholt Elemente dieses Szenarios. Durch Teilnahme am Tod gelingt dann doch Überwindung des Todes, wenn auch in paradoxer Weise. Die Botschaft der Initiation besteht darin, dass das wahre Menschsein auf einer Transzendierung des natürlichen Menschseins beruht. Das gilt bereits für die hochaltertümlichen Initiationen wie diejenigen der australischen Ureinwohner mit ihren Tapferkeitsritualen (Ausschlagen eines Zahnes und Beschneidung) und ihrem das »Numinose« evozierenden Schwirrholz, welches u.a. Unbefugte fernhalten soll, weil übernatürliche Wesen als bei den Ritualen anwesend gedacht werden. Eliades Theorien überschreiten die Grenze dessen, was Ethnologie und Religionswissenschaft empirisch aussagen können: Sie werden damit zu einer religionsphilosophischen Deutung der Initiation als einem menschlichen Universale.

      Heinrich Schurtz, Altersklassen und Männerbünde. Berlin 1902 * Axel Michaels, Art. Rites de passage I. Religionsgeschichtlich. In: Religion in Geschichte und Gegenwart 4. Aufl. 7 (2004), 534f. * Mircea Eliade, Das Mysterium der Wiedergeburt. Versuch über einige Initiationstypen. Frankfurt a. M. u. Leipzig 1997 (zuerst franz. 1958) * Brigitte Bönisch-Bredlich, Art. Peuckert, Will-Erich. In: Enzyklopädie des Märchens 10 (2002), 827-831 * Victor Turner, The Ritual Process. London 1969 * J. Middleton, Secrecy among the Lugnara. In: Kees W. Bolle (Hrg.), Secrecy in Religions. Leiden 1987, 25-43 * Peter Gerlitz, Art. Initiation/Initiationsriten. In: Theologische Realenzyklopädie 16 (1987), 156-162 * Arnold van Gennep, Les rites de passage. Paris 1909 * Julien Ries (Hrg.), Les Rites d´Initiation. Actes du Colloque de Liège et de Louvain-la-Neuve 20-21 novembre 1984. Louvain-la-Neuve 1986 * Will-Erich Peukert, Geheimkulte. Heidelberg 1951. Nachdruck Hildesheim u.a. 1988 * Joannes A. Snoek, Initiations. A Methodological Approach to the Applications of Classification and Definition Theory to the Study of Rituals. Pijnacker 1987 * Derek Peterson, Art. Mau-Mau. In: Religion in Geschichte und Gegenwart 4. Aufl. 5 (2002), 921f. * Doris Doppler, Männerbund Management. München-Mering 2005 * Dietrich Heither, Verbündete Männer. Köln 2000 * Eva Kreisky, Das ewig Männerbündische? Zur Standardform von Staat und Politik. In: Claus Leggewie (Hrg.), Wozu Politikwissenschaft? Über das Neue in der Politik, Darmstadt 1994 * Helmut Blazek, Männerbünde. Berlin 2001 * Jürgen Reulecke, »Ich möchte einer werden, so wie die ...«. Männerbünde im 20. Jhdt.. Frankfurt u. New York 2001 * Gisela Völger, Karin v. Welck (Hrg.), Männerbande, Männerbünde: Zur Rolle des Mannes im Kulturvergleich. 2 Bände. Köln 1990 * David Gilmore, Mythos Mann. Wie Männer gemacht werden. München 1993 * David Pratten, The Man-Leopard Murders. History and Society and Colonial Nigeria. Indiana 2007 (behandelt die Zeit 1945-1948) * Wilhelm Emil Mühlmann, Arioi und Mamaia. Eine ethnologische, religionssoziologische und historische Studie über polynesische Kultbünde. Wiesbaden 1955 * Ders., Die geheime Gesellschaft der Arioi. Eine Studie über polynesische Geheimbünde, mit besonderer Berücksichtigung der Siebungs- und Auslesevorgänge in Alt-Tahiti. Leiden 1932.

      Initiationen vollziehen Zugehörigkeit und Statuswechsel. Die Zugehörigkeit kann sich auf eine Berufsgruppe, eine Altersklasse, einen religiösen Bund u.a. beziehen. Der Statuswechsel kann den Übergang in die Welt der Erwachsenen vollziehen oder eine neue Einweihungsstufe ermöglichen, etc. Wichtig ist, dass Initiationen etwas vollziehen; sie sprechen nicht nur über etwas oder symbolisieren etwas, sondern sie sind das, was in ihnen geschieht. Schamanen, Priester und anderes Homines religiosi erleben den Beginn ihrer Berufung oft als Initiation: Diese kann sich in einem Ritual unter Beteiligung anderer Menschen vollziehen, aber auch ein (durch Askese und Reinigungsriten vorbereitetes) inneres Erlebnis sein, das anderen nur im Nachhinein mitgeteilt wird. Einweihungs- und Initiationsriten können also auch einen bestimmten Berufsstatus verleihen, z.B. den eines Priesters (sehr häufig) oder eines Schmiedes, ja sogar den eines Regenmachers (bei den afrikanischen Lugnara, mit symbolischer Beerdigung). Wenn Initiation also auch ein sehr weiter Begriff ist, muss doch festgehalten werden, dass gerade Geheimbünde von der Antike bis zu den modernen Freimaurern im Regelfall über Initiationsriten verfügen. Man wird Mitglied meist nicht über eine Willenserklärung СКАЧАТЬ