Ausgewählte Beiträge über Kunst und Literatur. Rainer Maria Rilke
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Название: Ausgewählte Beiträge über Kunst und Literatur

Автор: Rainer Maria Rilke

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788027210091

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СКАЧАТЬ großen Blätter bekannt, die bereits von einer eigentümlichen Naturauffassung Zeugnis ablegen, welche er später von Bild zu Bild bestätigt und erweitert hat. In der »Mühle«, ebenso wie in dem Blatte »Immenhof«, ist noch viel Versuchendes, aber es steht alles Versuchte auf einer gewissen gleichmäßigen Stufe des Gelingens, und deshalb hat der Gesamteindruck doch etwas Breites, Einheitliches. Neben diesen großen Drucken, in welche gewissermaßen nur Resultate eingetragen wurden, gehen die kleinen Blätter her, die ungleichmäßiger, aber auch in vieler Beziehung aufschlußgebender sind. Hier wurde vieles erprobt und geprüft, was nicht gelingen mußte, was aber gleichwohl, weil es so unbetont geschah, gelang. Sie wirken, neben die großen Radierungen gehalten, wie geschriebene Tagebuchblätter neben gedruckten Buchseiten. Sie enthalten mehr als den Inhalt: der Duft der Stunde ihres Entstehens ist an sie gebunden, und es ist als hätte, wer sie schuf, nicht an viele gedacht, vielleicht nur an eine nahe Hand, die Liebes zärtlich zu halten weiß. Ich meine vor allem das sehr schöne Blatt »Träumerei«. Eine stille geschlossene Frauengestalt geht neben Birken mit gesenktem Gesicht, tief träumend, am Wasser hin. Links beginnt ein Wald, rechts stehen Schafe, schauen und weiden nicht mehr. Es dämmert schon. Das Wasser glänzt noch einmal auf, die Birken schimmern. Man könnte an ein Blatt von Klinger denken, etwa aus der Zeit, als der Handschuh entstand. Aber es ist eine andere Melancholie, ein anderer Traum.

      Dann gibt es ein zweites Blatt. Ein Haus, hell, weit zurückgeschoben, am Rande einer Blumenwiese. Dünne Birken stehen licht davor und werfen lange Morgenschatten in das Gras. Und dann gibt es ein Bild: Blütenbäume, nichts als eine Reihe blühender Bäume in weitem, ebenem Land; eine Frau, die die Arme hebt, ein Kind: Millet klingt an, aber es ist noch mehr, wie Jacobsen es geschrieben hat: »Blütenweiß stehen, Bouquette von Schnee, Kränze von Schnee, Kuppeln, Bogen, Girlanden, eine Feenarchitektur von weißen Blüten mit einem Hintergrunde von blauestem Himmel.« Solche Momente sind köstlich: wie wenn man am Abend bei einem einsamen Landhaus vorübergeht; man hört Musik, aber, wie man stehen bleibt, um zu lauschen, ist sie verklungen. Und nun steht man und wartet. Es sind Minuten voll Nachklang, Stille und Ungewißheit. Was wird nun kommen: etwas Frohes, etwas Mächtiges oder wird man hören wie das Klavier geschlossen wird? So sind diese Blätter, so ist dieses Bild: Pausen, Intervalle voll Machklang, Stille und Ungewißheit. Sie sind selten bei Am Ende, dessen Kunst eigentlich Musik ist. Musik, ja, das ist es, womit man sie am besten vergleichen kann. Musik von Hörnern und Harfen, Steigendes, Schwellendes, Verschwendung. Die Farben seiner Landschaften setzen ein, als hätten sie auf den Wink eines unsichtbaren Taktstockes gewartet. Wenn man vor seine Bilder tritt, gibt es einen kleinen letzten Augenblick der Stille, einer lautlosen Stille wie im Theater, knapp ehe die Ouvertüre beginnt. Dann fallen sie ein, stark, vielstimmig mit brausender Breite. Ein ganzes Orchester sammelt sich im Raum des Rahmens, und es ist alles da bis zum braunen Glänzen der Geigen und dem hellen Blitzen erhobener Hörner. Hans am Ende malt Musik, und die Landschaft, in der er lebt, wirkt musikalisch auf ihn. Darum sieht er sie nicht mit der stillen, sachlichen Ruhe des Malers an und versenkt sich nicht in sie mit des Dichters lauschenden Sinnen. Er ist ergriffen von ihr, hingerissen, emporgehoben und hinabgezogen. Er malt sie, gleichsam im Kampf mit ihr; als ob einer die Welle malte, die über ihm zusammenschlägt. Darum wächst sie ihm so über alle Maße hinaus, darum haben seine Formen, obwohl sie so stark und wirklich sind, doch etwas Unabgeschlossenes: als ob sie noch weiter wachsen wollten, um, wie jede Form in der Musik, endlich an einem Punkte höchster Spannung abzubrechen, sich aufzulösen, ein neues Leben zu beginnen. Eben dieses gleitende Wesen der Musik ist es, welches der Malerei zu widersprechen scheint. Und dieser Widerspruch ist auch da und dort in Am Endes Bildern sichtbar; manchmal ist er stärker als sie, manchmal aber ist er unterworfen und gezwungen worden, dem Bilde zu dienen. Da entstehen dann sehr eigentümliche Wirkungen. Niemand als ein Maler, der in dieser Weise die Natur erlebt, konnte jene heroischen Stunden malen, Stunden des Abends oder der Dämmerung, wenn jedes Ding über seinen Kontur hinaus in einen größeren zu wachsen scheint. Die Erde dehnt sich aus, die Flüsse verbreitern sich, Himmel scheint sich auf Himmel zu türmen, und wie Ruinen dunkler Riesenmauern steigen sehr ferne Baumgruppen davor auf. In solchen Momenten kommt die Natur einem tiefen, halb vergessenen Gefühl Am Endes entgegen, sie steigert und bestärkt es und, wie aus vielen Erinnerungen, findet er jene alten Birken, die sich so oft in die Mitte seiner Bilder hineinziehen, graugrün glänzend, hintereinander gereiht, wie die letzten Marmorsäulen langvergangener Kaiserpaläste.

       Inhaltsverzeichnis

      Zeichner, Radierer, Innenarchitekt, Kunstgewerbler, Buchkünstler und Dichter. Geb. 12. Dezember 1872 in Bremen. Schüler von P. Janssen und A. Kampf an der Düsseldorfer Akademie. Kam nach längeren Reisen im In-und Ausland 1894 nach Worpswede, wo sich vor allem Mackensen seiner annahm. Machte sich ansässig und erwarb den Bauernhof »Barkenhoff«. Heiratete die ortsansässige Kunstgewerblerin M. Schröder (bes. Gobelinwirkerin). Nach dem ersten Weltkrieg gründete V. eine kommunistische Arbeitsschule auf künstlerischer Grundlage. Bekannt zuerst als Zeichner und Buchdekorator. Eingehende Beschäftigung mit Möbelkunst. Gründung der von ihm geleiteten Worpsweder Werkstätte für Landhausmöbel. Silberschmiedearbeiten (darunter das Bremer Ratssilber). Einrichtung der alten Güldenkammer des Bremer Rathauses (1905). – 1923/24 Rußlandreisen nach Kardien und Zentralasien. 1925 Rückkehr nach Worpswede, Erneuerung der Wandgemälde im Barkenhoff. 1931 in Roucol, Askona, Gründung der Zeitschrift »Fontana Martina«. Erste Ausstellung im Liebknechthaus Berlin. 1931 wieder in Rußland. 1934 bis 1936 in Karelun. Über eigene Entwicklung und das eigene Werk ein Bericht in »Das Wort«, herausgegeben C. E. Erpenbeck, Bert Brecht, L. Feuchtwanger, W. Bredel. 1940 bis 1941 in Kabardina/Balkarien. 1941 aus Moskau evakuiert (als Deutscher). Starb 1942 in einem Dorf nahe Karaganda/Sibirien.

      So lange der junge Heinrich Vogeler seine kleine, abgeschlossene, eigene Welt in sich herumtrug, war sie nicht viel mehr als eine kleine Eigenheit, ein persönlicher Widerspruch gegen alles andere, zu leise und vornehm, als daß er bemerkt worden wäre und von der ganzen großen Wirklichkeit fortwährend widerlegt. Es gehen viele mit solchem Anderssein, mit einem unaufhörlichen inneren Widerspruch in der Welt herum, und sie sind deshalb nicht mehr als unzufriedene Sonderlinge, deren Seltsamkeiten kaum ernst genommen werden. Es kommt darauf an, ob so ein Protest die Kraft hat sich durchzusetzen, sich als Wirklichkeit jener anderen, allgemein anerkannten Wirklichkeit gegenüber zu stellen, ihr das Gleichgewicht, zu halten, ja womöglich in seinen Höhepunkten überzeugender zu sein als sie. Die Weltgeschichte ist erfüllt von solchen Protesten; an den Auflehnungen einzelner rankt sie sich empor. Aber auch das mönchische Dasein (wie Franciscus es gemeint hat) ist ein solcher Protest, der, ohne an die Wirklichkeit der anderen zu rühren, im Begründen einer zweiten Wirklichkeit beruht. Da haben wir ein Leben, welches sich mit Mauern umgeben und darauf verzichtet hat, sich über diese Grenzen hinaus auszudehnen. Ein Leben nach innen. Und dieses Leben verarmt nicht. Inmitten schiffbrüchiger Zeiten scheint es die Zufluchtsstätte aller Reichtümer zu sein und wie in einem kleinen zeitlosen Bilde alles zu vereinen, wonach die Tage draußen ringen und jagen. Seine Gesetzmäßigkeit wird immer klarer und sichtbarer und wie ein schimmerndes Spinnennetz scheint es sich mit hundert wohlgefügten Fäden an seinen Mauern zu halten. Innige und einfältige Arbeit ist die Wurzel dieses Lebens, und ganz von selbst kommt alles Gute und Große aus ihm heraus: Fleiß und Freude und Frömmigkeit und endlich auch, ohne daß jemand es will, eine Kunst. Eine Kunst, die man von allem anderen nicht trennen kann; weil sie nichts ist, als dieses Leben selbst, wenn es blüht.

      Wer sich nun entschließt, an Stelle einer mönchischen Gemeinschaft einen einzelnen zu setzen, einen Menschen von heute, der nach dem Willen seines Wesens, wie nach einer Ordensregel seine eigene Welt gebaut, begrenzt und verwirklicht hat, der wird am besten imstande sein, die Erscheinung Heinrich Vogelers und den Ursprung seiner Kunst zu verstehen; denn man kann von dieser Kunst nicht reden, ohne des Lebens zu gedenken, aus welchem sie wie eine fortwährende Folge fließt. Gleich der Kunst jener mittelalterlichen Mönche steigt sie aus einer engen und umhegten Welt auf, um an der Weite und Ewigkeit der Himmel leise preisend teilzunehmen.

      Heinrich Vogeler fand in Worpswede СКАЧАТЬ