Название: Aphorismen zur Lebensweisheit
Автор: Arthur Schopenhauer
Издательство: Bookwire
Жанр: Сделай Сам
isbn: 9788026826484
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Gegen dieses Alles jedoch kommt andrerseits in Betracht, daß die großen Geistesgaben, in Folge der überwiegenden Nerventhätigkeit, eine überaus gesteigerte Empfindlichkeit für den Schmerz, in jeglicher Gestalt, herbeiführen, daß ferner das sie bedingende leidenschaftliche Temperament und zugleich die von ihnen unzertrennliche größere Lebhaftigkeit und Vollkommenheit aller Vorstellungen eine ungleich größere Heftigkeit der durch diese erregten Affekte herbeiführt, während es doch überhaupt mehr peinliche, als angenehme Affekte giebt; endlich auch, daß die großen Geistesgaben ihren Besitzer den übrigen Menschen und ihrem Treiben entfremden, da, je mehr er an sich selber hat, desto weniger er an ihnen finden kann. Hundert Dinge, an welchen sie großes Genüge haben, sind ihm schaal und ungenießbar; wodurch denn das überall sich geltend machende Gesetz der Kompensation vielleicht auch hier in Kraft bleibt; ist doch sogar oft genug, und nicht ohne Schein, behauptet worden, der geistig beschränkteste Mensch sei im Grunde der glücklichste; wenn gleich Keiner ihn um dieses Glück beneiden mag. In der definitiven Entscheidung der Sache will ich um so weniger dem Leser vorgreifen, als selbst Sophokles hierüber zwei einander diametral entgegengesetzte Aussprüche gethan hat:
Πολλω το φρονειν ευδαιμονιας πρωτον υπαρχει.
(sapere longe prima felicitatis pars est.)
und wieder:
Εν τω φρονειν γαρ μηδεν ηδιστος βιος.
(nihil cogitantium jucundissima vita est.)
Eben so uneinig mit einander sind die Philosophen des A. T.
Des Narren Leben ist ärger denn der Tod!
(του γαρ μωρου υπερ θανατου ζωη πονηρα.)
und
Wo viel Weisheit ist, da ist viel Grämens.
(ο προςτιθεις γνωσιν, προςθησει αλγημα.)
Inzwischen will ich hier doch nicht unerwähnt lassen, daß der Mensch, welcher, in Folge des streng und knapp normalen Maaßes seiner intellektuellen Kräfte, keine geistige Bedürfnisse hat, es eigentlich ist, den ein der deutschen Sprache ausschließlich eigener, vom Studentenleben ausgegangener, nachmals aber in einem höheren, wiewohl dem ursprünglichen, durch den Gegensatz zum Musenlohne, immer noch analogen Sinne gebrauchter Ausdruck als den Philister bezeichnet. Dieser nämlich ist und bleibt der αμουσος ανηρ. Nun würde ich zwar, von einem höhern Standpunkt aus, die Definition der Philister so aussprechen, daß sie Leute wären, die immerfort auf das Ernstlichste beschäftigt sind mit einer Realität, die keine ist. Allein eine solche, schon transscendentale Definition, würde dem populären Standpunkt, auf welchen ich mich in dieser Abhandlung gestellt habe, nicht angemessen, daher auch vielleicht nicht durchaus jedem Leser faßlich seyn. Jene erstere hingegen läßt leichter eine specielle Erläuterung zu und bezeichnet hinreichend das Wesentliche der Sache, die Wurzel aller der Eigenschaften, die den Philister charakterisiren. Er ist demnach ein Mensch ohne geistige Bedürfnisse. Hieraus nun folgt gar mancherlei: erstlich, in Hinsicht auf ihn selbst, daß er ohne geistige Genüsse bleibt; nach dem schon erwähnten Grundsatz: il n’est de vrais plaisirs qu’avec de vrais besoins. Kein Drang nach Erkenntniß und Einsicht, um ihrer selbst Willen, belebt sein Daseyn, auch keiner nach eigentlich ästhetischen Genüssen, als welcher dem ersteren durchaus verwandt ist. Was dennoch von Genüssen solcher Art etwan Mode, oder Auktorität, ihm aufdringt, wird er als eine Art Zwangsarbeit möglichst kurz abthun. Wirkliche Genüsse für ihn sind allein die sinnlichen: durch diese hält er sich schadlos.
Demnach sind Austern und Champagner der Höhepunkt seines Daseyns, und sich Alles, was zum leiblichen Wohlseyn beiträgt, zu verschaffen, ist der Zweck seines Lebens. Glücklich genug, wenn dieser ihm viel zu schaffen macht! Denn, sind jene Güter ihm schon zum voraus oktroyirt; so fällt er unausbleiblich der Langenweile anheim; gegen welche dann alles Ersinnliche versucht wird: Ball, Theater, Gesellschaft, Kartenspiel, Hasardspiel, Pferde, Weiber, Trinken, Reisen u. s. w. Und doch reicht dies Alles gegen die Langeweile nicht aus, wo Mangel an geistigen Bedürfnissen die geistigen Genüsse unmöglich macht. Daher auch ist dem Philister ein dumpfer, trockener Ernst, der sich dem thierischen nähert, eigen und charakteristisch. Nichts freut ihn, nichts erregt ihn, nichts gewinnt ihm Antheil ab. Denn die sinnlichen Genüsse sind bald erschöpft; die Gesellschaft, aus eben solchen Philistern bestehend, wird bald langweilig; das Kartenspiel zuletzt ermüdend.
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