Название: Detektiv Asbjörn Krag: Die bekanntesten Krimis und Detektivgeschichten
Автор: Sven Elvestad
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788027212743
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Als die Schritte der Alten nicht mehr zu hören waren, wurde es dennoch nicht ganz still in dem großen Hause. Solche Häuser, die durch Jahrhunderte gelebt haben, kommen nie so recht zur Ruhe. Sie spüren jedes Wetter und jeden Wind und können nie aufhören, klagend und knirschend ihre Planken zurechtzulegen. Und weil das Haus durch das Bewohntsein der langen Jahre ein menschliches Gepräge hat, kommt auch etwas Menschliches in diese Laute, die durch die Stockwerke des Hauses gehen.
Diese Laute können menschliches Wohlbehagen ausdrücken, aber sie können auch eine andere Färbung haben, die den Menschen angstvoll aufhorchen läßt, wenn er allein ist. Denn das Leben der Menschen stirbt nie, sondern setzt sich noch lange nach dem Tode fort – in den ausgetretenen Treppenstufen und Bodenbrettern, in den Klinken der Türen, in der Rundung der Stühle, auf denen die Dahingegangenen geruht haben. Die Seele der alten Häuser kann nie ganz begriffen werden – die Lebenden ahnen nur, daß das Leben der Vergangenheit noch Wache hält, um das Gute mit Wärme und Freude zu grüßen und die bösen Gedanken mit unsäglicher Qual zu verfolgen.
XII. Ein Licht hinterm Fenster
Es war noch nicht spät. Es leuchtete hier und dort in den Fenstern, an denen Ann-Mari und Sigvard vorbeikamen. Unten von der Brücke her hörten sie Lärm und Stimmengewirr. Das waren Leute, die einen Sonntagsbesuch gemacht hatten und nun das Boot zur Heimfahrt rüsteten.
In der letzten Stunde hatte die Luft sich ein wenig getrübt, und die Sterne leuchteten nicht mehr so klar. Aber noch immer war es still und milde. Aus dem Wald erklang die Ziehharmonika, das Frühlingsfest der Jugend.
Die beiden jungen Menschen gingen ziemlich wortkarg nebeneinander her. Keines von ihnen konnte sich von dem Gedanken an Kaisa befreien. Als sie nun von ihr zu sprechen begannen, geschah es in einer ausweichenden, vorsichtigen Art, die Angst und Mitleid verriet.
»Sie kann nichts dafür, daß sie so ist,« meinte Sigvard, »das ist nun einmal ihr Los auf Erden. Manche sind zu guten Werken geboren, andere zu bösen. Das läßt sich nicht ändern.«
Bei einer Biegung des Weges, der sich sanft ansteigend zum Walde hinaufschlängelte, konnten sie unten das Fährhaus und den Fluß sehen. Das Haus lag unter dem Schatten des Bergfirstes. Es war darum unmöglich, seine Konturen zu sehen. Es lag nur wie ein großer Hügel da. Ein dunkler Grabhügel. Aber in dieser Dunkelheit glomm hie und da ein Licht auf, ein dunkel schwelendes Licht.
Die beiden jungen Leute betrachteten das Licht schweigend. Sie wußten beide, was es zu bedeuten hatte. Das war die alte Kaisa, die ihre Runde durch das Haus machte.
Das Licht verschwand, kam wieder zum Vorschein und wechselte abermals den Platz. Ann-Mari, die selbst in der tiefsten Dunkelheit jeden Teil des Hauses erkannte, konnte genau sagen, von wo das Licht kam.
»Jetzt ist sie im Saal,« sagte sie, »jetzt ist sie in dem kleinen Zimmer nebenan. Jetzt ist sie auf der Treppe. Jetzt ist sie in dem großen Gastzimmer, im Zimmer des Fremden.«
Weil das Haus nur wie eine dunkle Masse aussah, bekamen die Lichtblitze etwas Lebendiges, wie Augen, die sich in der Dunkelheit bewegen.
Noch etwas anderes erregte die Aufmerksamkeit der beiden.
Dort unten auf dem Fluß hatten die zugereisten Besucher das Boot jetzt klargemacht. Sie ruderten fort. Vom Land und aus dem Boot rief man sich Grüße zu. Ihre Angehörigen hatten die Gäste zur Brücke begleitet und kehrten jetzt wieder nach Hause zurück, den engen Weg zwischen den Seeschuppen mit ihrem Geplauder erfüllend. Das Boot war noch lange auf dem Fluß sichtbar – ein lebender, unruhiger Schatten, aus dem die feuchten, wippenden Ruder vorragten, triefend von Sternenlicht.
Da sie höher standen, konnten die beiden deutlich alle Einzelheiten dort unten sehen. Sie bemerkten eine Gestalt, die sich bewegte. Ein Mann, der hinter den Packhäusern versteckt gestanden hatte. Nun ging er auf die Brücke vor und wanderte langsam über sie hin.
Sie erkannten ihn am Mantel und am Hut, es war der Fremde. Sie waren erstaunt über sein Erscheinen, und so lange sie ihn sehen konnten, schwiegen sie beide. Erst als die Erscheinung wieder in dem Dunkel hinter den Häusern verschwunden war, sprachen sie miteinander.
»Er ist auf dem Wege zum Fährhaus«, sagte Ann-Mari.
»Ja, vielleicht,« bemerkte Sigvard, »aber vielleicht geht er auch nur spazieren. Er wandert schon den ganzen Abend so herum. Er spricht mit niemand, er sieht weg, wenn er jemand begegnet. Er ist sicherlich sehr menschenscheu. Weißt du, Ann-Mari, es war so merkwürdig, als wir ihn am anderen Ufer abholten. Er stand sicher schon lange da und wartete.«
»Warum?«
»Weil er mit seinen Sachen ganz allein dastand, als wir hinkamen. Er kann doch unmöglich den Weg zu Fuß gegangen sein. Ich horchte, ob ich einen Wagen hören konnte, und es schien mir wohl, daß ich ganz weit weg fortrollende Wagenräder hörte, aber ganz bestimmt könnte ich es nicht sagen.«
»Jetzt hat er der Familie zugesehen, die sich verabschiedete und fortfuhr«, sagte Ann-Mari. »Vielleicht hat es ihn bewegt, das Beisammensein der Verwandten zu betrachten. Er ist so einsam und rastlos. Wo mag er herkommen?«
»Ja woher?« wiederholte Sigvard, »aus der großen Welt dort draußen –«
Sigvard wandte sich dem Meere zu, der großen Welt. Draußen war alles Dunkelheit, nur vereinzelte Sternpünktchen und der bleiche Widerschein auf dem Meere, jener ganz farblose Lichtflor, der dem Horizont zutrieb, wie von Windstößen bewegt, der Zauber der Nacht und der Ewigkeit, der im Menschen stets so unerklärliche Angst und Todesahnungen auslöst.
»Und wo fährt er jetzt hin?« fragte Ann-Mari, indem sie in die Dunkelheit hinabstarrte, in der der Fremde verschwunden war.
Sie bekam keine Antwort.
Sigvard führte sie in den Wald. Von dort hörte man das fröhliche Spiel der Jugend. Je tiefer sie in den Wald kamen, desto stärker spürten sie den Duft der Bäume, den Frühlingsduft, der in den Nächten nach der Schneeschmelze so besonders stark ist.
Etwas später nachts verließ der Lotsenälteste sein Haus. Er war sonst nicht der Mann, der abends spät aufblieb, aber an diesem Abend hatten Vorübergehende bemerkt, daß das Licht Stunde um Stunde hinter seiner blauen Gardine brannte. Und an dem Schatten auf der Gardine konnten sie sehen, wie der Lotsenälteste dort drinnen im Zimmer auf und ab spazierte. Die Leute, die ihn kannten, wunderten sich: ob er wohl jemanden erwartet? Wer sollte das sein?
Aber nun ging er also aus seinem Hause, nachdem er die Lampe gelöscht hatte. Auf der Schwelle blieb er ein wenig stehen, nicht um sich zu orientieren, denn er konnte blind über die bekannten Wege gehen, sondern um zu lauschen, ob jemand in der Nähe war. Er hörte nichts, und so stapfte er vorsichtig zwischen den Häusern weiter.
Es war unverkennbar, daß er einem bestimmten Ziele zustrebte und daß er nicht gesehen zu werden wünschte. Bei jeder Wegbiegung blieb er stehen und horchte, bevor er weiterging, er war auf heimlichen Wegen. Er ging durch das ganze kleine Dorf durch, vorbei an Gärten und Feldern, vorbei an der alten Werft, bis hinunter zur See.
Hier lag ein ziemlich großes Haus, doch nicht so groß wie das Fährhaus. Es schien gleichzeitig СКАЧАТЬ