Название: Das Dekameron
Автор: Giovanni Boccaccio
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Literatur (Leinen)
isbn: 9783843804066
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Es sind noch nicht viele Jahre verflossen, dass in Bologna ein vortrefflicher und fast überall berühmter Arzt lebte – und vielleicht lebt er heute noch –, der Meister Alberto hieß, dessen Geist in einem Alter von fast siebzig Jahren noch so lebhaft war, dass er nicht vermeiden konnte, für die Flamme der Liebe noch empfänglich zu sein, obwohl seinen Leib bereits die natürliche Wärme fast gänzlich verlassen hatte. Einst erblickte er bei einem Gastmahl eine reizende Witwe, die, wie man sagt, Donna Margherita de Ghisolieri hieß und sein Greisenherz so sehr wie einen Jüngling in der Blüte seiner Jahre heiß entflammte, sodass er meinte, die Nacht nicht ruhig schlafen zu können, wenn er nicht am Tage das zarte und anmutige Gesicht der reizenden Frau gesehen hatte. Deswegen versäumte er nicht, bald zu Fuß, bald zu Pferde, wie es sich am besten fügte, vor ihrem Hause täglich vorbeizureiten oder zu gehen. Die Dame und ihre Nachbarinnen merkten bald die Ursache seiner Fensterpromenaden und hatten oft ihren Scherz darüber, dass ein an Jahren und Verstand so reifer Mann sich noch närrisch verliebt hätte, als ob sie der Meinung wären, dass die süße Leidenschaft der Liebe nur in den törichten Seelen der Jünglinge und nirgends anders Platz finden und wohnen könne. Wie nun Meister Alberto seine Fensterpromenaden zu Fuß und zu Pferde fortsetzte, fügte es sich einst an einem Feiertage, dass die besagte Dame nebst vielen anderen vor ihrer Tür saß, wo sie den Arzt von Weitem kommen sahen und sich daher sämtlich beredeten, ihn hereinzurufen und zu bewirten und ihn hernach mit seiner Liebe aufzuziehen. Sie standen demnach auf, baten ihn herein und führten ihn in einen kühlen Saal, wo sie ihn mit Konfekt und köstlichen Weinen bewirteten und ihn hernach mit feinen und artigen Worten aufzogen, ja ihn geradeheraus fragten, wie es komme, dass er sich in eine so schöne Dame verliebt hätte, von der er doch wüsste, dass viele charmante, junge Herren sich um sie bewürben. Doktor Alberto fühlte ihre feinen Stachelreden und machte gute Miene zum bösen Spiel: „Madonna, dass ich Euch liebe, darüber wird sich kein Vernünftiger wundern, weil Ihr es verdient. Wenn nun zwar den alten Männern natürlicherweise die Kräfte fehlen, die zur Ausübung der Liebe erforderlich sind, so fehlt es ihnen doch weder an gutem Willen, noch an der Erkenntnis dessen, was wirklich liebenswürdig ist; vielmehr sind sie desto bessere Kenner, je mehr Erfahrung sie vor den Jünglingen voraus haben. Nun will ich Euch auch sagen, warum ich alter Mann mir noch Hoffnung mache, obgleich Ihr von vielen Jünglingen geliebt werdet. Ich habe oft gesehen, dass die Frauenzimmer zur Vesper Lupinen und Lauch aßen, und obwohl der Lauch überhaupt kein gutes Essen ist, so ist doch sein Kopf am wenigsten widerwärtig und noch am ehesten genießbar; allein von einem verkehrten Geschmack angetrieben nehmt Ihr den Kopf in die Hand und esst nur die Blätter, die nicht allein zu nichts taugen, sondern auch übel schmecken. Was weiß ich‘s, Madonna, ob Sie mit Ihren Liebhabern nicht ähnlich verfahren? Wenn Sie so verführen, würden Sie mich zum Galan erwählen und die anderen von sich weisen.“
Die Dame und ihre Freundinnen schämten sich ein wenig; schließlich gab sie ihm zur Antwort: „Lieber Doktor, Sie haben uns sehr treffend, aber höflich unsern unpassenden Scherz verwiesen. Ihre Liebe soll mir als die Liebe eines weisen, ehrenwerten Mannes immer wert sein. Deswegen können Sie, sofern Sie Rücksicht auf meinen guten Ruf nehmen, wie über Ihr Eigentum frei über mich gebieten.“ Der Doktor und seine Begleiter standen auf, er bedankte sich bei der Dame und nahm fröhlich und vergnügt von ihr Abschied.
So ward die Dame, weil sie sich nicht vorsah, mit wem sie scherzte, besiegt, indem sie zu siegen meinte. Liebe Mädchen, wenn ihr gescheit seid, hütet ihr euch, Pfeile der Bosheit abzusenden, die ihre Spitzen gegen euch kehren könnten.
Die Sonne neigte sich schon zum Untergange, und die Hitze hatte sich ziemlich gelegt, als die Erzählungen der jungen Damen und der drei Kavaliere zu Ende waren. Darum sagte die Königin voller Anmut: „Jetzt, meine lieben Gespielinnen, bleibt mir als Regentin für den heutigen Tag nichts mehr übrig, als euch eine neue Königin zu geben, die nach ihrem Belieben für den morgigen Tag alles so anordnet, dass sie und wir alle uns wieder auf eine geziemende Weise vergnügen; und obwohl uns, wie es scheint, bis zum Schlafengehen noch ziemlich viel Zeit bleibt, so denke ich doch, wer sich nicht mit Muße vorbereitet, der kann nicht alles mit Bequemlichkeit für den folgenden Tag beschicken; damit nun alles, was die neue Königin für den morgigen Tag für nötig erachtet, zu rechter Zeit angeschafft werden könne, so sollten wir (deucht mich) in der Folge beständig um diese Zeit unsere neue Tagesordnung anfangen. Demnach soll zur Ehre dessen, durch den alles lebt, was ist, und zu unserem gemeinschaftlichen Besten die verständige Filomena am kommenden zweiten Tage als unsere Königin das Regiment führen.“
Mit diesen Worten stand sie auf, nahm den Lorbeerkranz von ihrem Kopfe und setzte ihn Filomenen mit Ehrerbietung auf, indem sie zuerst, und hernach alle übrigen Mädchen und Jünglinge, sie als Königin begrüßten und sich ihrer Herrschaft fröhlich unterwarfen. Filomena errötete anfänglich ein wenig über ihre königliche Bekrönung, erinnerte sich aber an die Worte, die Pampinea erst kürzlich geredet hatte, und um nicht einfältig zu erscheinen, fasste sie sich wieder, bestätigte zuerst jedermann in den Ämtern, die ihnen Pampinea angewiesen hatte, verordnete demnächst alles, was zum morgigen Mittag- und Abendessen an demselben Orte, wo sie sich befanden, zugerichtet werden sollte und hielt alsdann folgende Anrede:
„Liebste Gespielinnen, obwohl Pampinea mich zu eurer Königin ernannt hat, mehr aus Artigkeit, als wegen meiner Verdienste, so bin ich nicht willens, in der Wahl unseres Zeitvertreibs bloß meinem eigenen Urteil zu folgen, sondern mich mit euch allen zu beraten. Und damit ihr meine Meinung wisset und nach eurem Belieben das Eurige hinzusetzen oder verändern könnt, so will ich euch in wenigen Worten meinen Entwurf mitteilen: Wenn ich von Pampineas heutigen Einrichtungen recht urteile, so habe ich sie in allen Stücken löblich und angenehm gefunden, und deswegen wünsche ich auch nichts daran zu ändern, solange ihre Fortsetzung uns nicht durch die lange Dauer, oder sonst aus einem anderen Grunde, Langeweile macht. Sobald wir demnach alles Angefangene völlig angeordnet haben, wollen wir uns auf eine kurze Zeit von hier entfernen, um uns die Zeit zu verkürzen, und gegen Sonnenuntergang essen wir hier zu Nacht. Wenn wir nach der Tafel einige Lieder gesungen und uns sonst belustigt haben, wird es Zeit sein, schlafen zu gehen. Morgen stehen wir dann zeitig auf und wählen uns einen Ort, wo wir uns, ein jeder nach seinem Belieben, ergötzen können. Um die gewöhnliche Stunde kehren wir, wie heute, zurück zum Mittagessen; nach dem Tanz und der Mittagsruhe versammeln wir uns hier wieder zum Erzählen, das meiner Meinung nach das meiste Vergnügen und zugleich Nutzen gewährt. Eine Einrichtung wünsche ich noch dabei zu machen, an die Pampinea nicht Zeit hatte zu denken, weil sie erst spät zur Regierung erwählt ward, nämlich unseren Erzählungen einen gewissen Zweck zu geben und euch ihr Thema vorher aufzugeben, damit ein jeder sich anschicken könne, eine dem Gegenstande angemessene hübsche Geschichte zu erzählen. Da nun die Menschen von Anbeginn der Welt her mancherlei Glückswechseln unterworfen gewesen sind und bis ans Ende der Welt unterworfen sein werden, so soll morgen ein jeder eine Geschichte von solchen Personen erzählen, die von mancherlei Unglücksfällen angefochten worden und wider alle Hoffnung glücklich durchgekommen sind.“ Die Damen und Herren bezeigten ihre Zufriedenheit mit dieser Einrichtung und versprachen, ihr Folge zu leisten. Dioneo allein sagte, wie alle anderen bereits schwiegen: „Madonna, ich finde so wie alle Übrigen die Einrichtung ganz gut und angenehm, die Ihr getroffen habt; allein ich muss Euch bitten, mir aus besonderer Gefälligkeit eine Erlaubnis zu geben, die sich auf die ganze Zeit unserer gesellschaftlichen Vereinigung erstreckt, nämlich, dass ich dem Gesetze nicht mit unterworfen sei, mich an den aufgegebenen Gegenstand zu binden, wenn es mir nicht selbst gefällt, sondern zu erzählen, was ich will. Und damit niemand glaube, dass ich um diese Nachsicht bitte, weil es mir etwa an Geschichten gebräche, so bin ich zufrieden, künftig immer der Letzte im Erzählen zu sein.“
Die Königin, welche ihn als einen munteren СКАЧАТЬ