Название: Erste Novellen
Автор: Henri Barbusse
Издательство: Public Domain
Жанр: Зарубежная классика
isbn:
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»Wirklich?« sagte er. »Wirklich? Wieso?«
Er stand vor ihr in Verzückung: »Mich lieb haben? Ist das denn möglich? Sagen Sie, würden Sie mich lieb haben, wenn Sie frei wären?«
»Ja,« flüsterte sie. »Leben Sie wohl. Ja.«
Sie verschwand und er blieb stehen, starr, bleich und wie von innen heraus erleuchtet. Sein ganzes Wesen glänzte von dem wundervollen Widerschein eines weiblichen Wesens.
Er war damit geschmückt wie von einer wunderbaren Kostbarkeit von unbeschreiblichem Wert, wie mit einem Talisman, der ihm die Kraft und den Mut geben sollte, mit dem Leben und dem Glück zu ringen.
Sie war schattenhaft ins Wirtshaus zurückgeglitten und begrub sich in dem armseligen Zimmerchen, aus dem sie am nächsten Morgen weit fort fliehen mußte. Jetzt durfte sie den verlassenen Bruder nicht wiedersehen, dem sie statt einer wirklichen Schwester lieber der Schimmer eines wirklichen Weibes gewesen war. Die Tränen flossen über ihr Gesicht und sie weinte zugleich vor Schmerz und vor Glück.
Das Kind
»Sei schön brav,« sagte die Mutter und öffnete die Arme, aus denen das Kind schlüpfte wie ein Vögelchen.
Es nickte artig »Ja« und neigte sein kleines reines Gesichtchen. Es hüpfte; es lief durch den Garten, öffnete die Tür und ging würdevoll den Fußsteig entlang. Es drückte sorgsam seine Schultasche an sich. Eine Kappe beschattete sein zartes und reizendes Gesicht, in dem seine Augen so klar standen, wie zwei Tropfen himmelblauen Wassers. Gegen die Kälte war es durch ein Tuch geschützt, das eng und liebevoll um seine Schultern geknüpft worden war.
So trat er an diesem Morgen in das Dörfchen ein, dessen schmale rote Häuser verstreut zwischen den Feldern standen, wie eine Kuhherde. In diesem ländlichen Flecken gab es keine Schule, man mußte bis Trou-Mercey gehen.
Die Sonne wurde bei der Kreuzung so schön und warm, daß der kleine Junge die Nase hob und ein Schauer des Behagens ihn durchlief, wie wenn der Wind ein Blatt aufhebt und ihm einen Pulsschlag zu verleihen scheint.
Kiki war schon jetzt ein kleiner Träumer und ein kleiner Beobachter. Auf der Hecke saß ein besonders schönes Vögelchen; Kopf und Kehle waren goldfarben und der Schweif, den es ruckweise bewegte, war fein gespalten und hob sich wie mit Tinte gezeichnet gegen den Himmel ab.
Bei diesem Anblick war Kiki erschüttert. Er konnte nicht widerstehen. Mit fieberhafter Erregung zog er einen Bindfaden aus der Tasche; es war eine Schleuder. Er warf einen Stein nach dem Vogel. Der Stein ging so nahe an ihm vorbei, daß er aufflog. Auf diese Distanz war das nicht übel gezielt. Kikis Augen leuchteten in unendlichem Stolz und sein Schritt wurde noch majestätischer, als er in der Morgenklarheit dahintrabte.
Inzwischen überzog die Sonne alles mit ihren Silberschleiern und ihren goldenen zarten Teppichgeweben. Plötzlich flog eine Art durchsichtiges Geschoß an der Nase des Kindes vorüber. Eine Heuschrecke! Niemals hatte er eine schönere gesehen! Atemlos legte er seine Schultasche an den Rand des Weges, brach in die blühenden, betauten Wiesen ein und verfolgte das grüne Tier, das zugleich hüpfte und flog. Er streckte die Hand aus und fing es nach einigen vergeblichen Versuchen.
Er stieß einen Schrei aus. Das Tier hatte ihn gezwickt oder gebissen: es war nur ein winziger Stich, aber das Kind war empfindlich und nervös. Heftig warf er es auf die Erde und stellte seinen Schuh auf den smaragdfarbenen Körper. Dann zog er den Fuß zurück und beugte sich vor, um zu sehen. Der Ausdruck seines Gesichtchens war zugleich voll von Triumph und Ekel, als er die widerliche Masse gewahrte, die aus einem zermalmten schmutzigen Leibe und verbogenen Füßen bestand. Er entfernte sich, noch erregt zwar, aber doch beruhigt, daß er Gerechtigkeit geübt hatte, wie ein kleiner Herrgott.
Er begann zu traben, um die verlorene Zeit hereinzubringen. Vor dem Hause der Mutter Jakob zog er die feinen Brauen zusammen. Das war eine alte Hexe, die ihn ohne jeden Grund haßte. Einmal, das war schon lange her, hatte sie ihn durch Stöße weggetrieben, gerade als er aus der Nähe zusehen wollte, wie man das Schwein bei Labouige abschlachtete; ein andermal hatte sie ihn laut beschimpft und mit dem Stock bedroht, weil er, natürlich nur zum Spaß, eben einen schweren Pflasterstein in das Reisigbündel des Vaters Plantad tun wollte, das dieser immer hinkend, seufzend und ächzend nach Hause schleppte.
Infolgedessen haßte Kiki sie ebenso wie er sie fürchtete. Deshalb hatte er auch neulich mit seinen Kameraden beim Spiel beschlossen, den Nußbaum, den einzigen Baum auf dem engen Erdfleckchen, in dem sie lebte, langsam zu Tode zu bringen. Sie hatten damit angefangen, unten an der Erde die Rinde des Baumes abzuschälen.
Leider hatte der kleine Junge an diesem Morgen keine Zeit, die Arbeit an der Baumrinde weiter zu besorgen. Trauer umschattete sein liebliches Gesicht, aber plötzlich erhellte es sich: die Katze!
Da hockte es gerade, das schmutzige Tier der alten Hexe ihm gegenüber auf dem Rand des Daches. Es war alt wie seine Herrin, mit schäbigem Pelz, unter dem man stellenweise die lederglänzende Haut sehen konnte. Rings um sie krochen junge Kätzchen, nicht größer als Ratten.
Kiki riß einen Nagel aus der Umfriedung, befreite ihn von seinem Draht, und nachdem er gezielt hatte, mit zusammengepreßten Lippen, ganz rot vor Eifer, schickte er ihn mittels seiner Schleuder mit aller Kraft unter das Getier der bösen Alten. Ein Aufschrei, ein Gepurzel auf die Erde herunter und die ganze Katzenbrut stob auseinander. Kiki sagte sich aufgeregt und bewegt, daß er zweifellos ein Kätzchen verwundet, vielleicht sogar getötet hatte. Sein Herz klopfte sehr stark, so glücklich war er über seine Rachetat und auch darüber, daß er ein so starker und tüchtiger Kerl war.
Artig setzte er seinen Weg fort, doch konnte er es sich nicht versagen, einen kleinen Umweg zu machen, um dem alten Trottel Mehu den täglichen Streich zu spielen. Er sprang über die Hecke und trat in das niedrige Zimmer, wo ein entsetzlich abgemagertes und zitterndes Lebewesen einsam vor seinem Suppenteller saß. Ein furchtbares Zucken des Schreckens und des Zornes ging über das Antlitz dieser menschlichen Ruine, die nur noch über ihre Gesichtsmuskeln und den linken Arm Gewalt hatte, als das Knäblein eintrat; die Augen rollten; der Adamsapfel stieg und fiel. Man sah, daß er die größten Anstrengungen machte, um dem Eindringling Schimpfworte ins Gesicht zu schleudern. Dann fing er an zu weinen und klammerte sich verzweifelt an seinen Teller. Aber das Kind entriß ihn seinen Händen leicht, mit glockenhellem Lachen, und stellte ihn auf den Kamin, wo ihn der hungrige Alte nicht erreichen konnte. Er würde also erst spät abends zu essen bekommen, wenn seine Tochter heimkam. Es war ein Jammer, daß Kiki den Anblick nicht länger genießen konnte, wie der Greis sich ächzend krümmte, wie sein Haar schmutzig braungrau aussah, als ob es Dünger wäre, wie seine Haut totenartig schien und sein Kopf wie auf einem dünnen Stengel zitterte.
Leider drängte die Zeit. Nun heißt es laufen. Zu spät! Er rennt gegen die geschlossene Tür der Schule an. Ein ungeheurer Schmerz überfällt den kleinen Jungen: durch diese Verspätung wird er diese Woche die Belobung nicht bekommen, die er doch so wohl verdient hat. Welcher Schmerz für seine Eltern! Der Lehrer öffnet streng die Türe und schluchzend erzählt das Kind ihm seine Geschichte. Es berichtet erhitzt und stockend, daß die Mutter recht krank ist, daß er sehr geweint hat und daß er sich dadurch verspäten mußte. Da er ein guter Schüler ist, glaubt man ihm. Der Lehrer heißt Herr Hardy, ist lang und dürr, trägt einen flaschengrünen Rock und ist ausnehmend schüchtern. Er klopft dem Kinde die Backen.
Die Schule beginnt. Zwanzig Augen ersehnen den Augenblick, in dem Herr Hardy merken wird, daß der Korb, den er auf den Fußboden gestellt hat und in dem sich zwei Eier für sein krankes Töchterchen befinden, СКАЧАТЬ