Название: Erzählungen
Автор: Klabund
Издательство: Public Domain
Жанр: Зарубежная классика
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Der Graf trug die ohnmächtig gewordene Dame in das Nebenzimmer und gab den inzwischen vom Lärm herbeigerufenen Leuten Anweisung, Albert in sein Zimmer zu bringen und sofort einen Arzt zu holen.
Albert lag wie tot auf der Matratze. Vor seinen Lippen schimmerte bläulichweiß ein Anflug von Schaum, die Farbe der Hände und des Gesichts war gelblich-grau.
Der Arzt kam. Bei der Untersuchung war nur der Graf noch zugegen. Als der Arzt Albert das Hemd aufriß, wandte er sich plötzlich mit einem verwunderten und fragenden Blick an den Grafen.
»Es ist ein Mädchen«, sagte er leise.
Da schlug Albert die Augen auf, und als er den Grafen sah, lächelte er ein wehmütiges Lächeln, das um Verzeihung bat: »Der Ring …«
Es war ihr letztes Wort. Am Abend starb sie. Sie hatte den Anblick, den Geliebten leiblich in den Armen eines andern Weibes ruhen zu sehen, nicht überleben können. Für eine Woche bildete das Schicksal dieses Mädchens, von den Zeitungen phantastisch aufgeputzt, das Tagesgespräch der ganzen Welt. Der Graf aber wurde in seinem Tiefsten erschüttert und verfiel in eine Melancholie, aus der ihn kein Weib mehr zu retten vermochte. Er gab ihr den Ring mit ins Grab und mit dem Ring sein eigenes Leben.
Der braune Teufel von Adrianopel
Also, Kinder, da soll mir keiner etwas vormachen: ich habe bei Lule Burgas mitgeschlachtet und sieben moslemischen Schweinehunden und Antialkoholikern – Wasileff, schmeiß mir mal deinen Schnapsbehälter herüber – die Gedärme aus dem Leibe geholt, bin dann leicht verwundet vor Adrianopel gelegen, bis man sich bemüßigt fand, in meinen Oberschenkel ein Auge zu schießen, blaugrau, mausgrau mit einem schönen roten Streifen und einem eitergelben Rand. Weswegen sie mich denn hier ins Lazarett schleppten, weil ich nicht mehr gehen konnte, ein Haufe warmes Fleisch, sonst nichts. Jetzt fühle ich mich ja wieder wohl, kuhwohl – wenn nur dein Schnaps besser wäre, Wasileff –, aber, beim Barte meines Urahnen: ich möchte nicht noch einmal durchmachen, was ich durchgemacht habe. Wenn die Luft draußen vor Adrianopel auch ein wenig frischer, eigentlich verflucht frischer wehte als dieser dichte, kranke Lazarettstank hier: ich atme ihn wie Rosenodeur ein und fasse meine Eindrücke zusammen in den patriotischen Ruf: ›Hoch Groß-Bulgarien!‹ – aber laßt mich von jetzt ab damit zufrieden. Ich habe meine Schuldigkeit getan. Prost, Wasileff, auf daß Anita und das Vaterland wieder Kinder bekomme!
Aber ich wollte euch noch die Geschichte erzählen, wie mein Oberschenkel plötzlich ein Loch bekam, ein schönes rundliches Loch. Als ich es damals zuerst bemerkte, fiel ich nicht etwa gleich um und um. O nein, meine Brüder, so leicht fällt ein Georgeff nicht, es sei denn, er wäre besoffen. Aber ich war damals alles andere als besoffen. Nüchtern war ich, verflucht nüchtern.
Also, als ich das kleine schwarze Loch sah, dachte ich zuerst, es wäre Spaß, und klebte eine Briefmarke drüber – eine Briefmarke mit dem Bildnis unseres erlauchten Zaren. Ich hatte sie mir für einen Brief an meine Liebste aufgespart – Wasileff, grinse nicht –, nun ergab sich jedoch eine bessere Verwendung dafür. Am Abend wollte ich das Loch, das schöne, kleine, schwarze Loch gerade dem Sanitätssoldaten zeigen, als ich auch schon dalag, einfach dalag. Blutvergiftung, versteht ihr, Blutvergiftung, und es wäre beinah verteufelt abgegangen. Aber der heilige Sebastian hat nicht gewollt, daß ich, ein Georgeff, so schmählich abkratze, und hat mich noch gehalten und Fürsprach eingelegt beim lieben Tode. Und so leb ich denn noch – jenem kleinen braunen Schwein zum Trotz.
Wer aber, meine Brüder, meint ihr wohl, war jenes kleine braune Schwein? Und von wem hab ich wohl den Schuß in den Oberschenkel spendiert erhalten, meine Brüder? War es ein Türke, ein regulärer türkischer Soldat, welcher, von seinem Standpunkt im Recht, meinen geliebten Oberschenkel sich als Schießscheibe erwählt hatte? War es ein lungernder Strolch, welcher mich im Besitze von Reichtümern vermutete und sich als deren Erbe betrachtete? War es ein freundnachbarschaftlicher Serbe, meine Brüder – im Vertrauen, meine Brüder, ich traue diesen serbischen Mißgeburten alles zu und noch einiges außerdem. – Weit gefehlt, meine Brüder … ein Schwein war es, ein kleines braunes Schwein, ein Trüffelschwein sozusagen war es, welches mich in den Oberschenkel schoß. Mit meinem eigenen Gewehr. Jawohl. Und aus zehn Schritt Entfernung. Das nennt man Krieg. Und Kriegesruhm. Also, meine Brüder, um in der ordentlichen Beschreibung der Geschehnisse fortzufahren: es war ein Donnerstag, und ich stand abends auf Vorposten. Ihr mögt es glauben oder nicht, Donnerstag ist für mich immer so eine Art Unglückstag gewesen, und ich hatte schon eine Ahnung, wußte aber natürlich nichts Bestimmtes, insonderheit war mir das kleine braune Schwein noch nicht im entferntesten in den Sinn gekommen. Wunderbar sind die Wege des Schicksals, das man mit Recht den Gott der verzweifelten Menschen nennt.
Ich stand also auf Vorposten, patrouillierte vor der Erdhütte, in der unsere Korporalschaft kampierte, und es pfiff ein verflucht eisiger Wind, der nadelspitze Hagelkörner niederwehte, die sich bis zu einem veritablen Hagelsturm ausbildeten, der in der Dunkelheit – es war elf Uhr – auf mich niederprasselte, daß mir Hören und Sehen verging. Ich mache meine Ronde, entferne mich bis auf hundert, zweihundert Schritte von der Feldwacht – als ich plötzlich ein Wimmern durch den Sturm vernahm, das klägliche Wimmern einer … menschlichen Stimme? Oder war es die Stimme eines Tieres? Diese Ungewißheit machte mich verdammt nervös, und ich beschloß, der Sache auf den Grund zu gehen. Pürschte mich also vorsichtig auf das Geräusch zu. Unaufhörlich dieser bald wimmernde, nun schnaufende, jetzt kreischende Laut … Ganz nah bin ich ihm jetzt.
»Wer da?« brülle ich und spanne den Hahn.
Keine Antwort.
Immer nur das gleiche pfeifende Wimmern, wie wenn eine Lunge sich hinausstößt.
Jetzt bin ich dran und laß meine elektrische Taschenlampe spielen. Und was, meine Brüder, sah ich da? Angebunden mit Stricken an einen Baumstumpf? Eine Ziege? Einen Hammel? Nein, einen Menschen … ein Weib. Jawohl, ein Weib. Schön wie der liebe Gott, mit den Haaren eines Erzengels, aber mit den Augen des Teufels. Den sah ich leider zuerst nicht, weil mich das andere, trotz meiner elektrischen Taschenlampe, blendete. – Ein Weib, in diesem Sauwetter auf offenem Feld, festgebunden an einen Baum. Nur zwei Stunden – und sie erfriert.
Ich, sehr höflich und galant, wie es die Georgeffs von je an sich haben, verbeuge mich und frage freundlich: »Wer bist du, meine holde Taube, mein süßes Schwein?« Ich erhalte keine Antwort, nur einen entsetzten Blick aus wundervollen Augen, so daß mich der letztgenannte Kosename fast reute. »Jungfrau«, fahre ich fort, »wer sind Sie?« Und schneide sie mit dem Bajonett los.
Da wankte sie – konnte vor Kälte und Aufregung kaum stehen – an meine Brust, und nun sah ich, daß es eine Türkin war, eine leibhaftige Türkin, welche natürlich kein Wort unserer ehrenwerten bulgarischen Muttersprache verstand. Ich stützte sie also liebreich, sie erwärmte in meinen Armen merkwürdig schnell, wie ich verwundert konstatierte … und auf einmal kroch sie an mir herauf, aus ihrem kleinen Mund fuhr spitz ihre Zunge empor und küßte und leckte meinen Hals. Das war mir, der ich seit sechs Wochen kein Weib am Busen genährt hatte, nun keineswegs unangenehm. Und ich küßte sie, weil ich sehr groß bin, auf die Stirn. »Hoh«, flüsterte sie auf einmal, »hoh« und zerrte mich am Mantel.
Sie zeigte ins Dunkel.
Sollte sie eine Verräterin sein? dachte ich und folgte vorsichtig. Nach zehn, zwölf Schritten standen wir – was glaubt ihr, meine Brüder, wovor? – vor einem Wagen, einem Wagen mit Verdeck, der da im Drecke steckte. Sie sprang katzengeschwind in den Wagen und unters Verdeck und winkte mir. Ich wie ein Panther hinterher. Lehne СКАЧАТЬ