Название: Über die Kolyma / О Колыме. Книга для чтения на немецком языке
Автор: Варлам Шаламов
Издательство: КАРО
Жанр: Зарубежная образовательная литература
Серия: Russische moderne Prosa
isbn: 978-5-9925-1409-4
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Die Bildung hat mich trotzdem reingelegt. Ich habe Steine verkauft gegen Valuta und beim Dollarkurs danebengehauen. Gründliche ökonomische Kenntnisse besitze ich nicht.
Den Umsatz hat bei mir der Untersuchungsführer reingeschrieben: zwei Millionen im Jahr. Das war 1932. Bei der Durchsuchung haben sie mir, weißt du, zweihundertfünfzigtausend in bar abgenommen. Mir tut es darum nicht leid. Gibt es ein Leben, dann gibt es auch Geld.«
Bystrow (Vorarbeiter):
»Du, Schatalin, arbeitest schlecht. Sieh zu, ich gebe dir die Strafmahlzeit.«
Bystrow schimmert rosig vor Zufriedenheit. Zu mir hatte er bei unserer ersten Begegnung gesagt:
»Soll ich Ihnen schmutzige Arbeit geben oder saubere?«
»Ganz egal.«
»Es gibt sowieso nur schmutzige.«
Jetzt bin ich nicht beim Bau, sondern beim Bergbau, und mein Herr ist Kassajew, Gitarrenspieler. Schnell gab er seine Spitzen an Schatalin weiter.
»Du, Bystrow«, sagt Schatalin gemächlich, »gib mir doch wenigstens eine halbe Schüssel, aber dass die Schüssel groß ist wie ein Pferdeeimer.«
Kassajew läuft täglich die Schurfgräben[78] ab. In Friseur Genkas Grube ist der Schurfgraben nicht tief, einen halben Meter vielleicht. Kassajew springt hinunter in den Schurfgraben, die Gummistiefel klatschen. Genka, auf dem Rand der Grube sitzend, steht auf. Kassajew hebt Genkas Hacke hoch und schaut sie an.
»Eins kann man sagen – schonender Umgang mit dem Gerät.«
Genka schweigt und lächelt respektvoll. Plötzlich fängt Kassajew an, die Sohle zu hacken und den Schurfgraben zu verbreitern. Zehn Minuten Arbeit, und der Schurfgraben ist zugeschüttet mit Gestein. Kassajew stellt die Hacke in eine Ecke des Schurfgrabens.
»So muss man arbeiten. Ich könnte ein guter Hauer sein, nur«, sagt der Ingenieur, »wozu zum Teufel brauche ich das.«
»Ich denke auch, Valentin Iwanowitsch«, sagt Genka respektvoll, »wozu zum Teufel brauche ich das.«
Der Weg zur Arbeit – um die sieben Kilometer. Auf der Hälfte des Wegs ein Hügel, bläulich von Rentiermoos, und eine riesige umgestürzte morsche Lärche. Hier ruht man sich immer aus. Wir sind drei, Kassajew, Schatalin und ich.
Kassajew:
»Und wofür sitzt du, Schatalin?«
Mich fragt niemals jemand von den Chefs. Schatalin hebt den Kopf, und eine Art Grinsen geht über sein Gesicht.
»Ich, Valentin Iwanowitsch, habe ein Trennfutter verkauft.«
»Was?«
»Ein Trennfutter.«
»Was ist das denn, ein Oberteil?«
»Das Fell aus einem Wintermantel.«
»H-hm. Und für wie viel hast du es verkauft?«
»Für hundert Rubel.«
Man sieht, dass Kassajew sich anstrengt, etwas zu begreifen.
»Und … gekauft hast du es für wie viel?«
»Für vierzig«, sagt Schatalin bescheiden.
»Für vierzig? Aber das ist ja Spekulation«, schreit Kassajew.
»Das haben sie vor Gericht auch gesagt, Valentin Iwanowitsch: Spekulation.«
»M-hm … Und wie viel haben sie dir gegeben?«
»Erschießung mit Ersetzung durch zehn Jahre.«
»Erschießung? Für Trennfutter?«
»Ja, Valentin Iwanowitsch.«
»Na, wir müssen los«, ärgerlich steht der Geologe auf.
Kassajew:
»Und dann habe ich noch in Sibirien in der Forstwirtschaft gearbeitet.Eine große Forstwirtschaft, staatliche Pferde. Den Pferden waren allen die Mäuler zugebunden. Dort sind die Pferde krank. Das Futter ist gut, und das für die Menschen auch – der Löffel bleibt stecken, so einen Borschtsch kochen sie. Und sie zahlen gut. Mit einem Wort – eine ›Potz Wirtschaft‹.«
»Rotz-Wirtschaft? Die Pferde haben den Rotz.«
»Nicht Rotz, sondern Potz, ich rede Russisch mit dir.«
Bei Tomtor Ojmjakonskij, wo man im Herbst 1958 einen gigantischen Seenfisch fand, wo die jakutischen Kühe wie Ziegen über die Felsen springen und man die Pferde, kaum größer als Rentiere, im Winter nicht füttert – die Herde wandert im Schneesturm durch die Wälder und »scharrt« den Schnee, wie die Rentiere. Für unseren Traktor haben wir Winterwege angelegt mit einem Dreimeter-Schneerand. Ich bin über zehn Kilometer zu Fuß gelaufen, zweimal vielleicht hat mich eine Herde überholt. Und beim dritten Mal blieb von der Herde etwas liegen. Ich ging näher ran – ein totes neugeborenes Fohlen[79], noch warm, das schon Reif ansetzte[80].
Der freie Zimmerhäuer Gnesdilow wurde im Frühjahr aus dem Bergwerk entlassen, begann mit der Produktion von Preiselbeereis und machte über den Sommer Zehntausende Rubel. In der Siedlung Arkagala-Kohle leben dreihundert Mann, und im Lager tausend.
In der chirurgischen Abteilung ein frischer Fall: Autounfall. Brüche beider Ober- und Unterschenkel, Rippenbruch[81]. Kopfverletzung. Der Barackendienst aus der Nachbarsiedlung fuhr in der Nacht nach Debin, war auf die »Trasse« getreten und hatte, als er ein Auto kommen sah, die Hand gehoben. Weiter erinnert er sich an nichts. Das Auto wurde ermittelt. Zum Unglück des Barackendienstes saß in der Kabine der Kassierer, er fuhr Geld auf die Bank. Das Gericht sprach den Fahrer frei, der nachts mit voller Geschwindigkeit einen Menschen überfahren hat.
Kadyktschan. Ich habe auf dem Pfad Rübenschalen gesehen, noch nicht gefroren, nur mit einer Eishaut bedeckt. Nur ein Freier kann einen solchen Schatz wegwerfen. Ich sammelte alle auf und aß sie.
Im »Vitaminkombinat« kocht man einen Krummholz-Extrakt aus den Nadeln der Zirbel. Vorbereitet werden die Nadeln an sogenannten »Vitaminaußenstellen«, wo es eine Hungerration gibt, wo »dochodjagi« die Nadeln »zupfen« und in Säcke stopfen und die Geschickteren Steine in den Sack stecken für das Gewicht. Hunderte hungriger Sammler, die den Plan erfüllen oder nicht erfüllen. Das Scheußlichste ist, man wird überall mit Gewalt genötigt, das Krummholz, eine äußerst bittere widerwärtige Flüssigkeit, zu trinken, und Vitamin C ist in dem Extrakt überhaupt nicht enthalten. Jahrzehntelang quälte man die Leute, in den Kantinen war es verboten, das Mittagessen auszugeben, bevor die »gesundheitsfördernde« Dosis getrunken war – um später zu sagen, das war keine Arznei. Die Therapie selbst wurde in eine Folter verwandelt. Die klügeren, gewissenhafteren Ärzte verstanden das.
Als Kind spielte er Pistonkornett, und das führte zu seiner Karriere als Militär.
Es schüttete im Sommer 1938. Platzregen СКАЧАТЬ
78
der Schurfgraben – разведочная траншея
79
das Fohlen – жеребенок
80
… das schon Reif ansetzte – начинающий индеветь
81
Brüche beider Ober- und Unterschenkel, Rippenbruch – переломы обоих бедер, голеней, ребра