Название: Pieśń Lodu i Ognia.
Автор: George R.r. Martin
Издательство: PDW
Жанр: Попаданцы
isbn: 9788377850596
isbn:
Mina biss sich auf die Lippen. Sie hätte nicht auf Marie hören sollen. Die behauptete, dass sie aus Frankreich gekommen war, um ihre biologischen Eltern zu suchen, aber in Wirklichkeit ihre Zeit hier in Tajpur verbrachte, um mit Mina, den anderen Mädchen und den Bauern, lauter Unbekannten, zu diskutieren und ihnen Ideen in den Kopf zu setzen, sie gegen die Regierung aufzubringen. Mina erschrak: Und wenn alles nur eine Lüge war? Eine Verschwörung? Wenn dieses seltsame Mädchen nur hierher gekommen war, um die Leute gegeneinander aufzubringen, um im Dorf Unfrieden zu stiften? Sie war nicht in Kalkutta geblieben, in der Nähe der Mission, die das Waisenhaus unterhielt. Am ersten Tag, erinnerte sich Mina, hatte sie in einer Teebude mit der Hand auf den Tisch geschlagen, die seit Jahren verstorbene Mutter Oberin verflucht und den Betrügern den Krieg erklärt, die bettelarmen Eltern ihre Babys abkauften, um sie teuer an Familien aus Europa zu verkaufen. Die Leute an den Nebentischen hatten verwundert und belustigt zu ihnen herübergeschaut. Marie sah Mina und ihren Freundinnen aus dem Dorf ähnlich, ihre lehmfarbene Haut, ihr großzügiger Körper mit breiten Schultern und Hüften, ihr schönes, unauffälliges Gesicht. Niemand konnte glauben, dass sie einen fremden Namen trug, einen Namen von Weißen, von Reichen. Sie trug den Namen ihrer Adoptiveltern.
An jenem Tag hatte sich Mina in der Stadt auf die Suche nach Sam gemacht. Seit einem Monat hatte sie einen Verdacht, als ob ihr Instinkt, bevor ihr Körper reagierte, eine Vorahnung von diesem Kind hatte. Dann hatte sich ihre Sorge verfestigt und begonnen, in ihr zu atmen. Am Anfang hatte sie Lust gehabt, es sich mit der Handsichel aus dem Bauch zu reißen.
Sie hatte Sam nicht gefunden. Als sie vor dem Großen Bahnhof von Kalkutta, wo Sam angeblich arbeitete, langsam die Hoffnung verlor, hatte Marie sie angesprochen. Sie beherrschte die Sprache schlecht, was Mina verwirrt hatte. Aber sie war erschöpft, in Panik vor allem, Sam nicht zu finden und keinen Ort für die Nacht zu haben, allein auf der Straße zu stranden, weil der letzte Zug nach Tajpur schon vor über einer Stunde abgefahren war. Schließlich hatte sich Mina mit dieser Marie mit dem Lehmkörper in die Teebude gesetzt. Sie hatten den Verkäufer und seine Frau angebettelt und die Erlaubnis erhalten, in ihrer Küche zu bleiben, der noch rot glühende Ziegelofen wärmte sie. Als sie Maries Geschichte gehört hatte, hatte Mina ihr vorgeschlagen, mit ins Dorf zu kommen und so lange wie nötig bei ihr unterzukommen. Marie hatte ihr ihrerseits geraten, nicht aufzugeben und weiter nach Sam zu suchen, um mit ihm zu reden. Ihn nicht anzuflehen, nicht vor ihm zu weinen, ihn bloß daran zu erinnern, dass Mina wenn nötig mit Sams Eltern reden würde. »Lass dir das nicht gefallen. Wenn du mich brauchst, bin ich da, den knöpfe ich mir persönlich vor.«
Sie sucht Streit! Sie ist hier, um Ärger zu machen, hatte Mina gedacht.
Jetzt, wo Sam ihr eine Chance gab, nahm sich Mina vor, nicht mehr auf Maries Ratschläge zu hören, weder beim Kämpfen noch beim Lieben. Sie war müde vom Streiten, Schreien und Fordern. Sie hatte Lust, die Fahnen und Spruchbänder zusammenzufalten, sich an Sam zu kuscheln, wie früher, als sie Kinder waren, nackt, zusammen unter einem Laken.
Wodka-Litschi
So war es nicht immer gewesen. Sie rief sich oft die Nachmittage in Erinnerung, die Seine, die nicht grau, sondern grün war, durchsichtig vom Licht und der Sonne, die Brücken, die Brüstungen aus Stein, das langsame Aufheizen des Steins, die Geländer mit den Gittern, an denen Verliebte Schlösser angebracht hatten, ein Bild, das ihr später als Motiv auf dem Mantel einer romantischen Designerin wiederbegegnen würde. Es war doch wirklich merkwürdig, die Liebe mit Einschluss gleichzusetzen, dachte sie.
Esha hatte Lust, mit dem Mann darüber zu reden, der sie eingeladen hatte, um ihren Antrag auf Einbürgerung zu prüfen. Das erste Mal hatte er sie in einem Raum aus unverputztem Beton im Keller des Ministeriums empfangen, wo die Mauern jedes ihrer Worte verschluckten, der Teppich einen Geruch von Socken und Schweiß verströmte, aber an diesem Tag trafen sie sich im Four Seasons. Riesige Blumensträuße standen in den vier Ecken der Halle, auf dem Marmorboden hallte das Klackern der spitzen Absätze der Frauen nach, die in der Begleitung von Männern und Einkaufstüten den Raum durchquerten, die Sessel und Sofas schwammen im gedämpften Licht der Bar, die Körper sanken mit der Zeit und dem Alkohol in sich zusammen, die weißen Waden der Bedienungen streiften die zunehmende Dunkelheit, verschwanden hinter dem roten Vorhang, tauchten wieder auf.
Er bestellte ihr einen Wodka-Litschi. Er war so blass wie der Cocktail, mit seinem blonden Lächeln. Schwitzend in seinem schwarzen Jackett, die Hände auf der dunklen Serviette, erinnerte er eher an einen Versicherungsmakler als an einen hohen Beamten. Er verwendete einen falschen Namen, war nie über seine Handynummer erreichbar, Esha fiel unweigerlich in ein Loch des Schweigens. Aber er kam immer wieder, rief sie zurück.
In der Bar des Four Seasons strengte er sich sehr an, höflich, glatt und unauffällig zu wirken. Die Papiere, Fotos, Fotokopien, Briefe und Urkunden interessierten ihn nicht, er wusste, dass es darum nicht ging, dass die Dinge sich in den Alkoven, unter dem Tisch, zwischen den Zeilen abspielten.
»Monsieur Richard …«
»Nennen Sie mich Christophe.« Der Mann nannte sich Christophe Richard, er hatte ihr sogar eine Visitenkarte auf diesen Namen gegeben. Dann fügte er hinzu: »Gefällt Ihnen Ihre Arbeit als Lehrerin? Ist das nicht zu schwierig?«
»Ich unterrichte gerne. Ich finde wirklich, dass es ein ehrbarer Beruf ist«, sagte Esha mit Nachdruck, aus Sorge, das kleinste Anzeichen von Schwäche könnte ihr, ihrem Antrag Nachteile bringen. Sie war überzeugt, ihren stählernen Willen zeigen und beweisen zu müssen, dass sie glücklich war und entschlossen, es zu sein, dass sie über ausreichende Mittel verfügte und ihre Ziele ohne Zögern verfolgte. Denn wenn sie ihr Leben nicht im Griff hatte, würde man sie hier nicht brauchen. Sie musste immer und überall strahlen, als hätte sie einen Preis, eine Medaille, eine Trophäe gewonnen, sie durfte ihre Zweifel und ihre Ängste nicht zeigen, weil sie beim kleinsten Anzeichen von Schwäche niedergemacht und abgelehnt würde.
Esha wagte es nicht, dem Mann etwas aus ihrem Alltag anzuvertrauen. Das Gymnasium und die Banlieue schienen in diesem gedämpften Ambiente in weiter Ferne. Sie trank den Cocktail, der ihren Mund kühlte und in ihrer Kehle brannte. Diskret musterte sie Christophe Richard, lächelte ihn an, beschloss, ihm von ihren ersten Jahren in diesem Land zu erzählen, von ihrem Tausendundeine Nacht. Sie schilderte ihm, wie sie in der Nähe des Campus herumgestromert war, wie sie die Fontaine Saint-Michel umkreist hatte, auf dem Boulevard auf- und abgelaufen war, durch den Jardin du Luxembourg gestreift und vor den Fotos am Zaun stehen geblieben war, in den alten und neuen Büchern geblättert und die Programme der kleinen Kinos studiert hatte, wo die Sitze wie rote Tulpen aus der Dunkelheit auftauchten, Kaffee getrunken und den Löffel mit dem Schaum abgeleckt hatte, wie sie sich mit den Obern, Ladeninhabern, Ticketverkäufern, Buchhändlern, Bettlern und ausländischen Studenten angefreundet hatte. Sie beschrieb ihm diese Stadt, die sie so sehr liebte, ihre Durchgänge mit dem holprigen Pflaster, ihre Galerien mit den bewachsenen Hinterhöfen, ihren welligen Boden, ihre Hügel und Treppen, ihre endlosen Straßen und Gassen, die sich in regelmäßigen Abständen zu Plätzen weiten, wie die Pirouetten einer Tänzerin, und von denen manchmal der Geruch von Käse und Gemüse aufsteigt, von Fisch und Meeresfrüchten, und die Rufe der Marktschreier, die sie an das Summen der Fliegen in ihrem Land erinnern, feucht und klebrig.
Richard betrachtete sie. »Ich liebe es, Ihnen zuzuhören! Sie lieben unser Land!«
»Man hat mir beigebracht, es zu lieben, das Leben zu lieben, das gute Essen und den guten Wein Ihres Landes.«
Christophe Richard lachte laut auf.
Esha seufzte erleichtert und trank ihren Cocktail. Dann sprach sie über die Seminare ihres Professors, der den Hörsaal in einen antiken Tempel verwandelt hatte, in dem Philosophen die Welt erörterten, über das Café, aus dem sie СКАЧАТЬ