"Verzeih den Scherz, Vetter, den wir uns mit Dir machten", fiel ihm Berta ins Wort, "sei vernünftig und laß Dir die Sache erklären." Sie sagte ihm, was er zu wissen brauchte, um gegen Mariens Vater zu schweigen Durch die freundlichen Blicke Bertas besänftigt, versprach er zu schweigen unter der Bedingung, setzte er schalkhaft hinzu, daß sie etwa auch einen solchen Gruß an ihn bestelle.
Kapitel 8
Ulm glich in den nächsten Tagen einem großen Lager. Statt der friedlichen Landleute, der geschäftigen Bürger, die sonst ehrbaren und ruhigen Schrittes ihrem Gewerbe nach durch die Straßen gingen, sah man überall nur wunderliche Gestalten mit Sturmhauben und Eisenhüten, mit Lanzen, Armbrüsten und schweren Büchsen. Statt der Ratsherren in ihrer einfachen schwarzen Tracht, zogen stolze Ritter mit wehenden Helmbüschen, ganz mit Stahl bedeckt, begleitet von einer großen Schar bewaffneter Dienstleute, über die Plätze und Märkte. Noch lebhafter war dies kriegerische Bild vor den Toren der Stadt; auf einem Anger an der Donau übte Sickingen seine Reiterei, auf einem großen Blachfeld gegen Söslingen hin pflegte Frondsberg sein Fußvolk zu tummeln.
An einem schönen Morgen, etwa drei bis vier Tage, nachdem Marie von Lichtenstein mit ihrem Vater Ulm verlassen hatte, sah man eine ungeheure Menge Menschen aus allen Ständen auf jener Wiese versammelt, um diesen Übungen Frondsbergs zuzusehen. Sie betrachteten diesen Mann, dem ein so großer Ruf vorangegangen war, vielleicht nicht mit geringerem Interesse als wir, wenn wir die kaiserlichen oder königlichen Söhne des Mars die Dienste eines Feldherrn verrichten sahen. Knüpft sich doch ja gerade an die Person eines ausgezeichneten Führers das Interesse, das dem ganzen Heer gilt, ja, wir meinen oft, die Schlachten, von denen uns die Sage oder die öffentlichen Blätter erzählen, um so deutlicher zu verstehen, wenn wir uns die Gestalt des Heerführers vor das Auge zurückrufen können.
So mochte es wohl auch damals den Bewohnern von Ulm zumute sein, wenn sie ihre engen Straßen verließen, um den Mann des Tages in seinem Handwerk zu sehen. Die Geschicklichkeit, mit der er sein Fußvolk, das sonst in zerstreuten Haufen gefochten hatte, zu geschlossenen Massen vereinigte; die Schnelligkeit, womit sie sich nach seinem Wink nach allen Seiten schwenkten oder in furchtbare, von Piken und Donnerbüchsen starrende Kreise zusammenzogen; seine mächtige Stimme, die selbst die Trommeln übertönte, seine erhabene, kriegerische Gestalt, dies alles gewährte ein so neues, anziehendes Bild, daß auch die bequemsten Bürger es nicht scheuten, einen langen Vormittag auf dem Anger zu stehen und dieses Schauspiel zu genießen.
Der Feldhauptmann schien an diesem Morgen noch freundlicher und fröhlicher zu sein als sonst. Mochte ihn der warme Anteil, den die guten Ulmer an ihm nahmen und der auf allen Gesichtern geschrieben stand, erfreuen; mochte ihm hier außen an dem schönen Morgen, unter seinen Waffenübungen, wohler sein als in den engen kalten Straßen der Stadt—er blickte so freundlich auf die Menge hin, daß jeder glaubte, von ihm besonders beachtet und begrüßt zu werden, und der Ausruf: "Ein wackerer Herr, ein braver Ritter!" jedem seiner Schritte folgte.
Besonders freundlich schien er immer an einer Stelle zu sein; wenn er vorübersprengte, so durfte man gewiß sein, daß er dort mit dem Schwert oder der Hand herübergrüßte und traulich nickte.
Die Hintersten stellten sich auf die Zehen, um den Gegenstand seiner freundlichen Winke zu sehen; die Näherstehenden sahen sich fragend an und verwunderten sich, denn keiner der versammelten Bürger schien dieser Auszeichnung würdig. Als Frondsberg wieder vorübersprengte und die Zeichen seiner Gnade wiederholte, gaben wohl hundert Augen recht genau acht, und es fand sich, daß die Grüße einem großen, schlanken, jungen Mann gelten mußten, der in der vordersten Reihe der Zuschauer stand. Das Wams von seinem Tuch mit Seidenschlitzen, die hohen Barettfedern, mit welchen der Morgenwind spielte, sein langes Schwert und eine Feldbinde oder Schärpe zeichneten ihn auf den ersten Blick vor seinen Nachbarn aus, die minder geschmückt als er, auch durch untersetztere Figuren und breite Gesichter sich nicht zu ihrem Vorteil von ihm unterschieden.
Der Jüngling schien aber zum Ärgernis der guten Spießbürger nicht sehr erfreut über die hohe Gnade, die ihm vor ihren Augen zuteil wurde. Schon seine Stellung, das Haupt gesenkt, die Arme über die Brust gekreuzt, schien nicht anständig genug für einen feinen Junker, wenn er von einem alten Kriegshelden gegrüßt wurde. Überdies errötete er bei jedem Gruß des Feldhauptmanns, dankte nur durch ein leichtes Neigen und sah ihm mit so düsteren Blicken nach, als gälte es ein langes Scheiden, und dieser Gruß wäre der letzte eines lieben Freundes gewesen.
Die Übungen des Fußvolkes waren zu Ende gegangen, das Volk verlief sich, und auch den jungen Mann, der die unschuldige Ursache zu jenem Streit gewesen war, sah man seine Schritte der Stadt zuwenden; sein Gang war langsam und ungleich, sein Gesicht schien bleicher als sonst, seine Blicke suchten noch immer den Boden oder schweiften mit dem Ausdruck von Sehnsucht oder stillem Gram nach den fernen blauen Bergen, den Grenzmauern von Württemberg.
Noch nie hatte sich Georg von Sturmfeder so unglücklich gefühlt wie in diesen Stunden. Marie war mit ihrem Vater abgereist; sie hatte ihn noch einmal beschwören lassen, seinem Versprechen treu zu sein, und wie unglücklich machte ihn dieses Versprechen! Wohl hatte es ihn damals nicht geringen Kampf gekostet, es zu geben; aber der betäubende Schmerz des Abschiedes, der Gram des geliebten Mädchens hatten ihn überwunden. Doch jetzt, wo er mit festerem Blick seinen Umgebungen, seiner Zukunft ins Auge sah, wie traurig, wie schwierig erschien ihm seine Lage! Nichts davon zu sagen, daß alle seine goldenen Träume, alle jene kühnen Hoffnungen von Ruhm und Ehre mit einem Mal verschwanden; nichts davon zu sagen, daß auch sein Ziel, das so nahe lag, Marien durch Kriegsdienste zu verdienen, ungewiß in die Weite hinausgerückt war—er sollte auf die Gefahr hin, von Männern, deren Achtung ihm teuer war, verkannt zu werden, diese Fahnen verlassen, gerade in einem Augenblick, wo man der Entscheidung entgegenging, Von Tag zu Tag, so lange es ihm nur möglich war, verschob er diese Erklärung, wo sollte er Gründe, wo Worte hernehmen, vor dem alten, tapferen Degen Breitenstein, seinem väterlichen Freund, seinen Abzug zu rechtfertigen? Mit welcher Stirn sollte er vor den edlen Frondsberg treten? Ach, jene freundlichen Grüße, womit er den Sohn seines tapferen Waffengenossen zu freudigem Kampf aufzumuntern schien, hatten ihn mit tausend Qualen gefoltert. An seiner Seite war sein Vater gefallen, er hatte gehört, wie der Sterbende den Ruhm seines Namens und ein leuchtendes Beispiel als einziges Erbe dem unmündigen Knaben zusandte; dieser Mann war es, der ihm jetzt so liebevoll die Schranken öffnete, und auch ihm mußte er in so zweideutigem Licht erscheinen.
Er hatte sich unter diesen trüben Gedanken langsam dem Tor der Stadt genähert, als er sich plötzlich am Arm ergriffen fühlte; er sah sich um, ein Mann, dem Anschein nach ein Bauer, stand vor ihm.
"Was willst Du?", fragte Georg etwas unwillig, in seinen Gedanken unterbrochen zu werden.
"Es kommt darauf an, ob Ihr auch der Rechte seid", antwortete der Mann "Sagt einmal, was gehört zu Licht und Sturm?"
Georg wunderte sich ob der sonderbaren Frage und betrachtete jenen genauer. Er war nicht groß, aber kräftig; seine Brust war breit, seine Gestalt gedrungen. Das Gesicht, von der Sonne braun gefärbt, wäre flach und unbedeutend gewesen, wenn nicht ein eigener Zug von List und Schlauheit um den Mund und aus den grauen Augen Mut und Verwegenheit geleuchtet hätten. Sein Haar und Bart war dunkelgelb und gerollt; er trug einen langen Dolch am ledernen Gurt, in der einen Hand hielt er eine Axt, in der andern eine runde, niedere Mütze aus Leder.
Während Georg diese flüchtigen Bemerkungen machte, wurden auch seine Züge lauernd beobachtet.
"Ihr habt mich vielleicht nicht recht verstanden, Herr Ritter", fuhr jener nach kurzem Stillschweigen fort, "was paßt zu Licht und Sturm, СКАЧАТЬ