Nicht der Mörder, der Ermordete ist schuldig: Eine Novelle. Franz Werfel
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СКАЧАТЬ Examen; zerrüttenden Blick des Vorgesetzten ewig in der Seele; das Vaterhaus, andern ein Asyl, mir war es nur die schärfere Wiederholung des Instituts und der Kaserne gewesen. Niemals eine freie Stunde und wenn ich mir endlich eine – unter Demütigungen, Meldungen, Bitten, Vorschriften, die Legion waren, – wenn ich mir endlich eine freie Stunde erkämpft hatte, so wußten meine zerstörten Nerven mit ihr nichts anzufangen, und ich litt unter der kleinen Freiheit noch mehr als in der Tretmühle. Nein! Ich war nicht zum Soldaten geboren! Jedes Kommandowort empfand ich wie einen Messerstich, jede Ausstellung wie eine Mißhandlung, jedes militärische Gespräch, jede dienstliche Handlung lähmte mich – so war ich viel zu elend und unglücklich, um auch nur Erbarmen mit mir selbst haben zu können. —

      Einsam wie keiner.

      Wenn ich nur einen meiner Kameraden ansah, ergriff mich Langeweile und Gleichgültigkeit wie eine Pest und ich brachte kein Wort heraus.

      Mich an eine Frau oder an ein Mädchen heranzutrauen, dieser Mut schien mir eine Gnade zu sein, die mir nicht gegeben war. Fünfzehn Jahre Einschüchterung und Angst hatten meine Seele gebrochen, die nicht so widerstandsfähig war, wie die der andern. Wenn die polnischen Gräfinnen Sonntags zur Kirche fuhren, schwärmte ich sie von Ferne an, die Düsterkeit meiner Träume genießend, in denen ich den Herrn der Welt spielte. Die jüngeren Herrn unseres Offizierkorps hatten längst schon die Bekanntschaft einer oder der anderen Schloßbewohnerin gemacht, es geschah sogar, daß sie mitunter zum Diner, ja sogar zur Jagd eingeladen wurden.

      Mich kannte niemand; – niemand lud mich ein.

      In aller Frühe trat ich alltäglich den Dienst an. Die starke Sonne der Steppe machte mich krank und schlaff. Wir exerzierten, bildeten Schwarmlinien, hielten Gefechtsübungen ab, – ich redete und tat nur das Notwendigste und das unvollkommen, lässig. Ich vermied jedes Kommandieren, jedes Scheltwort, jeden scharfen Ton, aber die mir zugeteilte Menschenherde, diese Sklaven, nahmen mir die Feinfühligkeit übel und ich spürte, daß sie sich über mich lustig machten.

      Ja – der Leutnant Ruzič, der Oberleutnant Cibulka, der Hauptmann Pfahlhammer, diese Kujone, die die Langgedienten anspuckten und die Rekruten während des Menagierens mit Ohrfeigen traktierten, die waren beliebt. Woher das kam, fragte ich mich oft! Doch nur zu bald lernte ich begreifen, was die körperliche Schönheit und Wohlbildung im Leben bedeuten.

      Diese Offiziere waren fesche Herren. Sie trugen des Abends oder Sonntags, wenn sie über den Ringplatz flanierten, ihre schlanken langen Beine in ausgezeichnet gemachten, scharfgebügelten schwarzen Hosen, ihre kleinen Lackstiefel blitzten nicht minder als die meines Vaters, ihre Waffenröcke waren sehr in die Taille gearbeitet und persönlich geschnitten. Ihre Gesichter waren blond, jung, brutal und von jener frischen Dummheit, die in der Welt so angenehm berührt.

      Und ich? – Ich war klein, mager – unansehnlich. Mein Gesicht verlitten und früh gealtert. Ich mußte bei meiner Kurzsichtigkeit eine Brille tragen, denn ich war ungeschickt und hätte ein anderes Augenglas viel zu oft zerbrochen.

      Einmal befahl mich der Oberst zu einem privaten Rapport.

      „Herr Leutnant,“ begann er scharf, „das geht nicht so weiter. Es ist vom Oberstbrigadier nun zum zweiten Mal ein Dienstzettel gekommen, in dem er Ihre Adjustierung beanstandet. Man muß Sie ja nur ansehen und es wird einem übel. Rasieren Sie sich besser und öfter!“

      „Jeder Gefreite sieht adretter aus als Sie. Wollen Sie dem Herrn Feldmarschallleutnant (er meinte meinen Vater) Schande machen?“

      „Lieber Duschek,“ fuhr der Kommandant begütigend und außerdienstlich fort, – „Du mußt mehr auf Dich halten. Geh zum Schneider! Equipier’ Dich! Herrgott, wenn ich noch einmal so jung sein könnte!“

      Solche Reden machten trotz der gehässigen Nervosität, die ich immer angesichts eines Vorgesetzten empfand, wenig Eindruck auf mich.

      Unter guten Figuren – eine gute Figur zu sein, das war mein Ehrgeiz nicht. Was aber war mein Ehrgeiz?

      Ich wohnte in der Wirtschaft einer Frau Koppelmann, über deren Höhleneingang auf einer Tafel das viel verheißende Wort „Restauracya“ geschrieben stand. Ich vermied es am Abend, den Gelagen in der Offiziersmesse beizuwohnen. Nach dem Dienst um fünf Uhr setzte ich mich in die „Herrenstube“ der Frau Koppelmann. Selbst hier, unter hustenden und spuckenden polnischen Fuhrleuten, unter den die Heiligen beschwörenden ruthenischen Bauern, unter schreienden und haareraufenden Juden fühlte ich mich glücklicher, als unter den Kameraden. Bei dem grünen Pfefferminzschnaps der Wirtin starrte ich, der Herr Offizier, um dessen Tisch die Bauern und Juden mit „ai“ und „oi“ und tausend Bücklingen dienerten, – ja ich starrte in erregter Beobachtung auf diese freien vielbewegten Gestalten und fühlte mit einem gewissen Triumph in der Seele: Hierher, zu diesen da gehörst du! Um sieben Uhr leerte sich die Stube und ich blieb allein mit den surrenden Völkern der galizischen Fliegenplage. —

      Das kleine schmutzige Fenster bräunte sich in der Abendröte. Draußen schnatterten die Gänse, und die Schritte der barfüßigen Bäuerinnen patschten in dem ewigen Sumpf der Straße. Nun kam meine Stunde. Ich setzte mich an das zerbrochene Klavier der Frau Koppelmann und siehe, es waren dennoch Töne, dennoch Akkorde, Verzückungen der schwingenden Luft, die meine Hand griff. Wenn nichts meine renitente Gleichgültigkeit lösen konnte, jetzt stürzten nie gefundene Tränen aus meinen Augen, Boten und Herolde einer Heimat, die ich nicht kannte, meine Seele dehnte sich, als empfänge sie Liebe und Mütterlichkeit. Der Zustand steigerte sich fast zur Epilepsie, denn die verhemmte Leidenschaft pochte an alle Tore meiner Verschlossenheit. Damals wußte ich noch nicht, daß mein natürlicher Beruf die Musik sei!

      Wie hätte ich das auch wissen sollen, ich, der Sprößling einer ärarischen Familie, Sohn eines Generals, Enkel eines Oberstleutnants, Urenkel eines Stabsprofosen, ich, dem die Scheu vor Anmut und Geist schon seit dem sechsten Lebensjahr eingeprügelt worden war.

      Mit meinem Vater wechselte ich jedes halbe Jahr einen Brief. Meine Mutter war schon lange gestorben. Ihr dumpfes und kleines Licht, vor der Zeit war es zugrunde gegangen. In ihren letzten Jahren soll sie recht seltsam gewesen sein. Sie wurde von zwei krankhaften Trieben beherrscht. Der eine war ein Reinlichkeitstrieb ohnegleichen. Sie schmierte und putzte die Türklinken bis tief in die Nacht, sie wusch die Fenster zwei und dreimal des Tages, sie lag immer auf dem Boden und scheuerte die Dielen, die vom vorigen Tage noch blank waren. Immer spähte sie nach Flecken und Schmutzspuren, auf die sie sich stürzen konnte. Ihre zweite Krankheit war eine Art Beichtfieber. Sie ging täglich in drei Kirchen zur Beichte und wird gewiß schreckliche Sünden erfunden haben, die Arme, um ja ihr Leben nur mit etwas auszufüllen.

      Oft dachte ich an jene Nacht, wo meine Mutter mit offenem Haar, die Kerze in der Hand, wie aus schwerem Schlaf erwacht, weinend an mein Bett getreten war und mich leidenschaftlich umarmt hatte. Damals und niemals mehr, ist sie mir als Frau erschienen. Heute verzeihe ich ihr, der Unerweckten, alle Härte. Sie hat gelitten, ohne zu wissen, daß sie leidet.

      Die Briefe, die ich an meinen Vater richtete, begannen mit der Anrede „Lieber Vater“, enthielten einen trockenen Abriß über Dienstverhältnisse, Veränderungen, Avancements, taktische Aufgaben, die mir gestellt worden waren, und schlossen mit der Floskel: „Verehrungsvoll grüßt Dich Dein dankbarer Sohn Karl.“

      Diese Briefe zu schreiben war eine Qual, die mir regelmäßig Kopfschmerzen machte. Hingegen mochte es geschehen, daß, wenn ein Brief meines Vaters fällig war, ich in Unruhe und erwartungsvolle Aufregung geraten konnte; kam dann dieser Brief, so wirkte er wie ein kalter Guß. Auch er brachte nur trockene Daten, aber aus seinem Ton spürte ich eine ärgerliche Mißachtung. Alles, was der Vater schrieb, jede harmlose Aussage, klang wie ein Befehl. Die Briefe waren in die Schreibmaschine diktiert und trugen nur die eigenhändige Unterschrift: „Dein Vater Karl Duschek, Edler von Sporentritt, Feldmarschallleutnant“.

      Der СКАЧАТЬ