Wilhelm Meisters Wanderjahre — Band 1. Johann Wolfgang von Goethe
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Wilhelm Meisters Wanderjahre — Band 1 - Johann Wolfgang von Goethe страница 7

СКАЧАТЬ versteht nichts, als was ihm gemäß ist. Die Kinder an der Gegenwart festzuhalten, ihnen eine Benennung, eine Bezeichnung zu überliefern, ist das Beste, was man tun kann. Sie fragen ohnehin früh genug nach den Ursachen."

      "Es ist ihnen nicht zu verdenken", versetzte Wilhelm. "Die Mannigfaltigkeit der Gegenstände verwirrt jeden, und es ist bequemer, anstatt sie zu entwickeln, geschwind zu fragen: woher? und wohin?" — "Und doch kann man", sagte Jarno, "da Kinder die Gegenstände nur oberflächlich sehen, mit ihnen vom Werden und vom Zweck auch nur oberflächlich reden." — "Die meisten Menschen", erwiderte Wilhelm, "bleiben lebenslänglich in diesem Falle und erreichen nicht jene herrliche Epoche, in der uns das Faßliche gemein und albern vorkommt. " — "Man kann sie wohl herrlich nennen", versetzte Jarno, "denn es ist ein Mittelzustand zwischen Verzweiflung und Vergötterung." — "Laß uns bei dem Knaben verharren", sagte Wilhelm, "der mir nun vor allem angelegen ist. Er hat nun einmal Freude an dem Gestein gewonnen, seitdem wir auf der Reise sind. Kannst du mir nicht so viel mitteilen, daß ich ihm, wenigstens auf eine Zeit, genugtue?" — "Das geht nicht an", sagte Jarno. "In einem jeden neuen Kreise muß man zuerst wieder als Kind anfangen, leidenschaftliches Interesse auf die Sache werfen, sich erst an der Schale freuen, bis man zu dem Kerne zu gelangen das Glück hat."

      "So sage mir denn", versetzte Wilhelm, "wie bist du zu diesen Kenntnissen und Einsichten gelangt? denn es ist doch so lange noch nicht her, daß wir auseinandergingen!" — "Mein Freund", versetzte Jarno, "wir mußten uns resignieren, wo nicht für immer, doch für eine gute Zeit. Das erste, was einem tüchtigen Menschen unter solchen Umständen einfällt, ist, ein neues Leben zu beginnen. Neue Gegenstände sind ihm nicht genug: diese taugen nur zur Zerstreuung; er fordert ein neues Ganze und stellt sich gleich in dessen Mitte. " — "Warum denn aber", fiel Wilhelm ihm ein, "gerade dieses Allerseltsamste, diese einsamste aller Neigungen?" — "Eben deshalb", rief Jarno, "weil sie einsiedlerisch ist. Die Menschen wollt' ich meiden. Ihnen ist nicht zu helfen, und sie hindern uns, daß man sich selbst hilft. Sind sie glücklich, so soll man sie in ihren Albernheiten gewähren lassen; sind sie unglücklich, so soll man sie retten, ohne diese Albernheiten anzutasten; und niemand fragt jemals, ob du glücklich oder unglücklich bist." — "Es steht noch nicht so ganz schlimm mit ihnen", versetzte Wilhelm lächelnd. — "Ich will dir dein Glück nicht absprechen", sagte Jarno. "Wandre nur hin, du zweiter Diogenes! Laß dein Lämpchen am hellen Tage nicht verlöschen! Dort hinabwärts liegt eine neue Welt vor dir; aber ich will wetten, es geht darin zu wie in der alten hinter uns. Wenn du nicht kuppeln und Schulden bezahlen kannst, so bist du unter ihnen nichts nütze. " — "Unterhaltender scheinen sie mir doch", versetzte Wilhelm, "als deine starren Felsen." — "Keineswegs", versetzte Jarno, "denn diese sind wenigstens nicht zu begreifen." — "Du suchst eine Ausrede", versetzte Wilhelm, "denn es ist nicht in deiner Art, dich mit Dingen abzugeben, die keine Hoffnung übriglassen, sie zu begreifen. Sei aufrichtig und sage mir, was du an diesen kalten und starren Liebhabereien gefunden hast?" — "Das ist schwer von jeder Liebhaberei zu sagen, besonders von dieser." Dann besann er sich einen Augenblick und sprach: "Buchstaben mögen eine schöne Sache sein, und doch sind sie unzulänglich, die Töne auszudrücken; Töne können wir nicht entbehren, und doch sind sie bei weitem nicht hinreichend, den eigentlichen Sinn verlauten zu lassen; am Ende kleben wir am Buchstaben und am Ton und sind nicht besser dran, als wenn wir sie ganz entbehrten; was wir mitteilen, was uns überliefert wird, ist immer nur das Gemeinste, der Mühe gar nicht wert."

      "Du willst mir ausweichen", sagte der Freund; "denn was soll das zu diesen Felsen und Zacken?" — "Wenn ich nun aber", versetzte jener, "eben diese Spalten und Risse als Buchstaben behandelte, sie zu entziffern suchte, sie zu Worten bildete und sie fertig zu lesen lernte, hättest du etwas dagegen?" — "Nein, aber es scheint mir ein weitläufiges Alphabet." — "Enger, als du denkst; man muß es nur kennen lernen wie ein anderes auch. Die Natur hat nur eine Schrift, und ich brauche mich nicht mit so vielen Kritzeleien herumzuschleppen. Hier darf ich nicht fürchten, wie wohl geschieht, wenn ich mich lange und liebevoll mit einem Pergament abgegeben habe, daß ein scharfer Kritikus kommt und mir versichert, das alles sei nur untergeschoben. " — Lächelnd versetzte der Freund: "Und doch wird man auch hier deine Lesarten streitig machen." — "Eben deswegen", sagte jener, "red' ich mit niemanden darüber und mag auch mit dir, eben weil ich dich liebe, das schlechte Zeug von öden Worten nicht weiter wechseln und betrieglich austauschen."

      Viertes Kapitel

      Beide Freunde waren, nicht ohne Sorgfalt und Mühe, herabgestiegen, um die Kinder zu erreichen, die sich unten an einem schattigen Orte gelagert hatten. Fast eifriger als der Mundvorrat wurden die gesammelten Steinmuster von Montan und Felix ausgepackt. Der letztere hatte viel zu fragen, der erstere viel zu benennen. Felix freute sich, daß jener die Namen von allen wisse, und behielt sie schnell im Gedächtnis. Endlich brachte er noch einen hervor und fragte: "Wie heißt denn dieser?" Montan betrachtete ihn mit Verwunderung und sagte: "Wo habt ihr den her?" Fitz antwortete schnell: "Ich habe ihn gefunden, er ist aus diesem Lande." — "Er ist nicht aus dieser Gegend", versetzte Montan. Fitz freute sich, den überlegenen Mann in einigem Zweifel zu sehen. — "Du sollst einen Dukaten haben", sagte Montan, "wenn du mich an die Stelle bringst, wo er ansteht." — "Der ist leicht zu verdienen", versetzte Fitz, "aber nicht gleich." — "So bezeichne mir den Ort genau, daß ich ihn gewiß finden kann. Das ist aber unmöglich: denn es ist ein Kreuzstein, der von St. Jakob in Compostell kommt und den ein Fremder verloren hat, wenn du ihn nicht gar entwendet hast, da er so wunderbar aussieht." — "Gebt Euren Dukaten", sagte Fitz, "dem Reisegefährten in Verwahrung, und ich will aufrichtig bekennen, wo ich den Stein her habe. In der verfallenen Kirche zu St. Joseph befindet sich ein gleichfalls verfallener Altar. Unter den auseinandergebrochenen obern Steinen desselben entdeckt' ich eine Schicht von diesem Gestein, das jenen zur Grundlage diente, und schlug davon so viel herunter, als ich habhaft werden konnte. Wälzte man die obern Steine weg, so würde gewiß noch viel davon zu finden sein."

      "Nimm dein Goldstück", versetzte Montan, "du verdienst es für diese Entdeckung. Sie ist artig genug. Man freut sich mit Recht, wenn die leblose Natur ein Gleichnis dessen, was wir lieben und verehren, hervorbringt. Sie erscheint uns in Gestalt einer Sibylle, die ein Zeugnis dessen, was von der Ewigkeit her beschlossen ist und erst in der Zeit wirklich werden soll, zum voraus niederlegt. Hierauf als auf eine wundervolle, heilige Schicht hatten die Priester ihren Altar gegründet."

      Wilhelm, der eine Zeitlang zugehört und bemerkt hatte, daß manche Benennung, manche Bezeichnung wiederkam, wiederholte seinen schon früher geäußerten Wunsch, daß Montan ihm so viel mitteilen möge, als er zum ersten Unterricht des Knaben nötig hätte. — "Gib das auf", versetzte Montan. "Es ist nichts schrecklicher als ein Lehrer, der nicht mehr weiß, als die Schüler allenfalls wissen sollen. Wer andere lehren will, kann wohl oft das Beste verschweigen, was er weiß, aber er darf nicht halbwissend sein." "Wo sind denn aber so vollkommene Lehrer zu finden?" — "Die triffst du sehr leicht", versetzte Montan. "Wo denn?" sagte Wilhelm mit einigem Unglauben. — "Da, wo die Sache zu Hause ist, die du lernen willst", versetzte Montan. "Den besten Unterricht zieht man aus vollständiger Umgebung. Lernst du nicht fremde Sprachen in den Ländern am besten, wo sie zu Hause sind? wo nur diese und keine andere weiter dein Ohr berührt?" — "Und so wärst du", fragte Wilhelm, "zwischen den Gebirgen zur Kenntnis der Gebirge gelangt?" "Das versteht sich." — "Ohne mit Menschen umzugehen?" fragte Wilhelm. — "Wenigstens nur mit Menschen", versetzte jener, "die bergartig waren. Da, wo Pygmäen, angereizt durch Metalladern, den Fels durchwühlen, das Innere der Erde zugänglich machen und auf alle Weise die schwersten Aufgaben zu lösen suchen, da ist der Ort, wo der wißbegierige Denkende seinen Platz nehmen soll. Er sieht handeln, tun, läßt geschehen und erfreut sich des Geglückten und Mißglückten. Was nützt, ist nur ein Teil des Bedeutenden. Um einen Gegenstand ganz zu besitzen, zu beherrschen, muß man ihn um sein selbst willen studieren. Indem ich aber vom Höchsten und Letzten spreche, wozu man sich erst spät durch vieles und reiches Gewahrwerden emporhebt, seh' ich die Knaben vor uns, bei denen klingt es ganz anders. Jede Art von Tätigkeit möchte das Kind ergreifen, weil alles leicht aussieht, was vortrefflich ausgeübt wird. Aller Anfang ist schwer! Das mag in einem gewissen Sinne wahr sein; allgemeiner aber kann man sagen: aller Anfang ist leicht, und die СКАЧАТЬ