Italienische Reise — Band 1. Johann Wolfgang von Goethe
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СКАЧАТЬ nichts davon verstehen, es lacht aber kein Mensch, nur selten lächelt das Auditorium, das meist aus der ganz niedern Klasse besteht. Auch hat der Mann nichts Auffallendes noch Lächerliches in seiner Art, vielmehr etwas sehr Gesetztes, zugleich eine bewunderungswürdige Mannigfaltigkeit und Präzision, welche auf Kunst und Nachdenken hinwiesen, in seinen Gebärden.

Den 3. Oktober

      Den Plan in der Hand suchte ich mich durch die wunderlichsten Irrgänge bis zur Kirche der Mendicanti zu finden. Hier ist das Konservatorium, welches gegenwärtig den meisten Beifall hat. Die Frauenzimmer führten ein Oratorium hinter dem Gitter auf, die Kirche war voll Zuhörer, die Musik sehr schön, und herrliche Stimmen. Ein Alt sang den König Saul, die Hauptperson des Gedichtes. Von einer solchen Stimme hatte ich gar keinen Begriff; einige Stellen der Musik waren unendlich schön, der Text vollkommen singbar, so italienisch Latein, daß man an manchen Stellen lachen muß; die Musik aber findet hier ein weites Feld.

      Es wäre ein trefflicher Genuß gewesen, wenn nicht der vermaledeite Kapellmeister den Takt mit einer Rolle Noten wider das Gitter und so unverschämt geklappt hätte, als habe er mit Schuljungen zu tun, die er eben unterrichtete; und die Mädchen hatten das Stück oft wiederholt, sein Klatschen war ganz unnötig und zerstörte allen Eindruck, nicht anders als wenn einer, um uns eine schöne Statue begreiflich zu machen, ihr Scharlachläppchen auf die Gelenke klebte. Der fremde Schall hebt alle Harmonie auf. Das ist nun ein Musiker, und er hört es nicht, oder er will vielmehr, daß man seine Gegenwart durch eine Unschicklichkeit vernehmen soll, da es besser wäre, er ließe seinen Wert an der Vollkommenheit der Ausführung erraten. Ich weiß, die Franzosen haben es an der Art, den Italienern hätte ich es nicht zugetraut, und das Publikum scheint daran gewöhnt. Es ist nicht das einzige Mal, daß es sich einbilden läßt, das gerade gehöre zum Genuß, was den Genuß verdirbt.

Den 3. Oktober

      Gestern abend Oper zu St. Moses (denn die Theater haben ihren Namen von der Kirche, der sie am nächsten liegen); nicht recht erfreulich! Es fehlt dem Poem, der Musik, den Sängern eine innere Energie, welche allein eine solche Darstellung auf den höchsten Punkt treiben kann. Man konnte von keinem Teil sagen, er sei schlecht; aber nur die zwei Frauen ließen sich's angelegen sein, nicht sowohl gut zu agieren als sich zu produzieren und zu gefallen. Das ist denn immer etwas. Es sind zwei schöne Figuren, gute Stimmen, artige, muntere, gätliche Persönchen. Unter den Männern dagegen keine Spur von innerer Gewalt und Lust, dem Publikum etwas aufzuheben, sowie keine entschieden glänzende Stimme.

      Das Ballett, von elender Erfindung, ward im ganzen ausgepfiffen, einige treffliche Springer und Springerinnen jedoch, welche letztere sich es zur Pflicht rechneten, die Zuschauer mit jedem schönen Teil ihres Körpers bekannt zu machen, wurden weidlich beklatscht.

Den 3. Oktober

      Heute dagegen sah ich eine andere Komödie, die mich mehr gefreut hat. Im herzoglichen Palast hörte ich eine Rechtssache öffentlich verhandeln; sie war wichtig und zu meinem Glück in den Ferien vorgenommen. Der eine Advokat war alles, was ein übertriebener Buffo nur sein sollte. Figur dick, kurz, doch beweglich, ein ungeheuer vorspringendes Profil, eine Stimme wie Erz und eine Heftigkeit, als wenn es ihm aus tiefstem Grunde des Herzens Ernst wäre, was er sagte. Ich nenne dies eine Komödie, weil alles wahrscheinlich schon fertig ist, wenn diese öffentliche Darstellung geschieht; die Richter wissen, was sie sprechen sollen, und die Partei weiß, was sie zu erwarten hat. Indessen gefällt mir diese Art unendlich besser als unsere Stuben — und Kanzleihockereien. Und nun von den Umständen und wie artig, ohne Prunk, wie natürlich alles zugeht, will ich suchen einen Begriff zu geben.

      In einem geräumigen Saal des Palastes saßen an der einen Seite die Richter im Halbzirkel. Gegen ihnen über, auf einem Katheder, der mehrere Personen nebeneinander fassen konnte, die Advokaten beider Parteien, unmittelbar vor demselben, auf einer Bank, Kläger und Beklagte in eigner Person. Der Advokat des Klägers war von dem Katheder herabgestiegen, denn die heutige Sitzung war zu keiner Kontrovers bestimmt. Die sämtlichen Dokumente für und wider, obgleich schon gedruckt, sollten vorgelesen werden.

      Ein hagerer Schreiber in schwarzem, kümmerlichem Rocke, ein dickes Heft in der Hand, bereitete sich, die Pflicht des Lesenden zu erfüllen.

      Von Zuschauern und Zuhörern war übrigens der Saal gedrängt voll.

      Die Rechtsfrage selbst sowie die Personen, welche sie betraf, mußten den Venezianern höchst bedeutend scheinen.

      Fideikommisse haben in diesem Staat die entschiedenste Gunst, ein Besitztum, welchem einmal dieser Charakter aufgeprägt ist, behält ihn für ewige Zeiten, es mag durch irgend eine Wendung oder Umstand vor mehrern hundert Jahren veräußert worden, durch viele Hände gegangen sein, zuletzt, wenn die Sache zur Sprache kommt, behalten die Nachkommen der ersten Familie recht, und die Güter müssen herausgegeben werden.

      Diesmal war der Streit höchst wichtig, denn die Klage ging gegen den Doge selbst, oder vielmehr gegen seine Gemahlin, welche denn auch in Person auf dem Bänkchen, vom Kläger nur durch einen kleinen Zwischenraum getrennt, in ihren Zendal gehüllt, dasaß. Eine Dame von gewissem Alter, edlem Körperbau, wohlgebildetem Gesicht, auf welchem ernste, ja, wenn man will, etwas verdrießliche Züge zu sehen waren. Die Venezianer bildeten sich viel darauf ein, daß die Fürstin in ihrem eignen Palast vor dem Gericht und ihnen erscheinen müsse.

      Der Schreiber fing zu lesen an, und nun ward mir erst deutlich, was ein im Angesicht der Richter unfern des Katheders der Advokaten hinter einem kleinen Tische auf einem niedern Schemel sitzendes Männchen, besonders aber die Sanduhr bedeute, die er vor sich niedergelegt hatte. Solange nämlich der Schreiber liest, so lange läuft die Zeit nicht, dem Advokaten aber, wenn er dabei sprechen will, ist nur im ganzen eine gewisse Frist gegönnt. Der Schreiber liest, die Uhr liegt, das Männchen hat die Hand daran. Tut der Advokat den Mund auf, so steht auch die Uhr schon in der Höhe, die sich sogleich niedersenkt, sobald er schweigt. Hier ist nun die große Kunst, in den Fluß der Vorlesung hineinzureden, flüchtige Bemerkungen zu machen, Aufmerksamkeit zu erregen und zu fordern. Nun kommt der kleine Saturn in die größte Verlegenheit. Er ist genötigt, den horizontalen und vertikalen Stand der Uhr jeden Augenblick zu verändern, er befindet sich im Fall der bösen Geister im Puppenspiel, die auf das schnell wechselnde "Berlickel Berlockel" des mutwilligen Hanswursts nicht wissen, wie sie gehen oder kommen sollen.

      Wer in Kanzleien hat kollationieren hören, kann sich eine Vorstellung von dieser Vorlesung machen, schnell, eintönig, aber doch artikuliert und deutlich genug. Der kunstreiche Advokat weiß nun durch Scherze die Langeweile zu unterbrechen, und das Publikum ergötzt sich an seinen Späßen in ganz unmäßigem Gelächter. Eines Scherzes muß ich gedenken, des auffallendsten unter denen, die ich verstand. Der Vorleser rezitierte soeben ein Dokument, wodurch einer jener unrechtmäßig geachteten Besitzer über die fraglichen Güter disponierte. Der Advokat hieß ihn langsamer lesen, und als er die Worte deutlich aussprach: "Ich schenke, ich vermache!", fuhr der Redner heftig auf den Schreiber los und rief: "Was willst du schenken? Was vermachen? Du armer ausgehungerter Teufel! gehört dir doch gar nichts in der Welt an. Doch", fuhr er fort, indem er sich zu besinnen schien, "war doch jener erlauchte Besitzer in eben dem Fall, er wollte schenken, wollte vermachen, was ihm so wenig gehörte als dir." Ein unendlich Gelächter schlug auf, doch sogleich nahm die Sanduhr die horizontale Lage wieder ein. Der Vorleser summte fort, machte dem Advokaten ein flämisch Gesicht; doch das sind alles verabredete Späße.

Den 4. Oktober

      Gestern war ich in der Komödie, Theater St. Lukas, die mir viel Freude gemacht hat; ich sah ein extemporiertes Stück in Masken, mit viel Naturell, Energie und Bravour aufgeführt. Freilich sind sie nicht alle gleich; der Pantalon sehr brav, die eine Frau, stark und wohlgebaut, keine außerordentliche Schauspielerin, spricht exzellent und weiß sich zu betragen. Ein tolles Sujet, demjenigen ähnlich, das bei uns unter dem Titel "Der Verschlag" behandelt ist. Mit unglaublicher Abwechslung unterhielt es mehr als drei Stunden. Doch ist auch hier das Volk wieder die Base, worauf dies alles ruht, die Zuschauer spielen mit, und die Menge verschmilzt mit СКАЧАТЬ