Die Rückkehr der Zeitmaschine. Egon Friedell
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Название: Die Rückkehr der Zeitmaschine

Автор: Egon Friedell

Издательство: Public Domain

Жанр: Зарубежная классика

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СКАЧАТЬ von uns getrennt sind. Daß er sich aber noch immer auf der Reise befindet und inzwischen nicht ein einzigesmal wieder gelandet ist, glaube ich nicht, und zwar aus folgendem Grunde. In diesem Falle hätte nämlich Mr. Wells bloß zu sagen brauchen: es hat sich nichts Neues ereignet, der Zeitreisende ist nach wie vor verschollen. Ein Anlaß, die Auskunft zu verweigern, läge nicht vor. Andererseits gebe ich Ihnen folgendes Problem zu bedenken, über das ich oft nachgegrübelt habe: wie ist es überhaupt denkbar, daß der Zeitreisende nach Jahren zurückkehrt? Er kann doch nur sofort zurückkehren oder gar nicht. Denn wenn er sich auch ein halbes Jahrhundert lang in der Vergangenheit oder Zukunft aufhielte, so hätte er durch seine Zeitmaschine dennoch stets die Möglichkeit, wieder genau an den Zeitort zu gelangen, von dem er ausgegangen war. Für uns wäre er also gar nicht weggewesen oder doch nur die unbedeutende Zeit lang, deren er mit seiner blitzschnellen Maschine zum Durcheilen der in Frage kommenden Zeitstrecken bedurfte. Sie sehen, die Sache ist ziemlich kompliziert. Man möchte fast sagen, rätselhaft. Aber rätselhaft ist auch das Benehmen des Mr. Wells.

      An diesen kann ich mich nicht gut mehr wenden, und es wäre wohl auch aussichtslos. Also bleiben nur die anderen Freunde des Zeitreisenden. Da wäre nun am naheliegendsten Mr. Blank, der ›Herausgeber‹. Ich habe mich aber für Sie entschieden, und zwar gerade weil Sie den ganzen Abend nicht den Mund auftaten. Solche Personen sind erfahrungsgemäß schriftlich sehr mitteilsam. Zudem sind Sie Journalist: und wenn ein Journalist etwas weiß, so kann er es nicht bei sich behalten. Also wenn Sie etwas wissen, so bitte ich Sie herzlichst, es mir mitzuteilen. Meine übrigen Bemerkungen können Sie ruhig für kontinentale Vorurteile halten.

      Hochachtungsvoll 

      Egon Friedell

      Herrn Egon Friedell, Wien

      London, am 20. März 1908

      Werter Herr!

      Ihren Brief habe ich mit großer Aufmerksamkeit gelesen: er steckt in der Tat voll von Vorurteilen. Besonders über schriftstellerische Wahrheitsliebe scheint man bei Ihnen sehr sonderbare Vorstellungen zu haben. Und die Monsterbeispiele, die Sie für die Erlaubtheit der Lügenhaftigkeit anführen, finde ich nicht sehr glücklich gewählt. Den Homer haben schon seine eigenen Landsleute, die alten Griechen, nicht ernst genommen, und nicht erst Plato, sondern schon Heraklit, der ihn einen Schädling und Flausenmacher genannt hat, und Pythagoras, der lehrte, Homer müsse in der Unterwelt büßen für die leichtfertigen Fabeln, die er verbreitet habe. Am gründlichsten hat ihn bereits der Philosoph Xenophanes abgefertigt, als er sagte, wenn der Dichter der Ilias als Ochse auf die Welt gekommen wäre, so hätte er die Olympier als Ochsen geschildert; aber diese Dinge werden wahrscheinlich auf den deutschen Schulen aus ›Idealismus‹ verheimlicht. Daß die Maschine etwas Phantastisches an sich hat, will ich nicht leugnen, aber gerade dies, möchte ich sagen, beweist ihre Realität. Denn die Wirklichkeit ist viel phantastischer und phantasievoller als alle Klügeleien und Stoppeleien der Dichter. Es ist ihnen zum Beispiel noch niemals gelungen, ein Fabeltier zu ersinnen, das zugleich originell und überzeugend wäre; aber in der Natur stoßen wir immer von neuem auf Modelle sowohl vorweltlicher als noch lebender Geschöpfe von phantastischstem Einfall, die sie mühelos komponiert hat. Teleskop-Fische, Rädertiere, Seesterne, Seehunde, Flughunde, Vogelechsen, Schrecksaurier! In einer einzigen kleinen Leberblume steckt mehr Konzeption und Gestaltungskraft als in sämtlichen Künstlergehirnen der Welt. Selbst der Drache ist nicht unsere eigene Erfindung, sondern eine Reminiszenz aus der Zeit der Flugreptilien.

      Ich habe längere Zeit geschwankt, ob ich Ihren Brief beantworten soll, aber schließlich sagte ich mir, daß Ihr lebhaftes Interesse Ihnen ein Anrecht darauf gibt, die ganze Wahrheit zu erfahren. Wobei ich allerdings bemerken möchte, daß ich von dem Wert der Neugierde nicht so hoch denke wie Sie. Einer der typischsten Fälle der Weltgeschichte zum Beispiel, die Indiskretion des Kolumbus, der so lange im Atlantischen Ozean herumschnüffelte, bis er Amerika entdeckte, ist uns teuer zu stehen gekommen. Christian Science, Negerfrage, Nikotinvergiftung, Syphilis, Trustwirtschaft: das sind so die Hauptspezialitäten, mit denen dieser Erdteil uns beschenkt hat, den Amerikanismus nicht zu vergessen. Sapienti sat. Und Kartoffeln esse ich nicht.

      Aber um ehrlich zu sein: der obige Grund war für mich nicht der entscheidende. Hinzu kam als wichtigstes Motiv die Rücksicht auf meinen Freund, den Zeitreisenden. Ich finde nämlich, daß Mr. Wells eine verfehlte Taktik beobachtet. Die übergroße Schroffheit seiner Ablehnung ist in der Tat geeignet, Verdacht zu erwecken. Er hätte sich zumindest dazu nicht der Miss Hamilton bedienen dürfen, denn nach der Ansicht aller, die sie kennen, ist dieser Rotkopf ein Blaustrumpf, und ein naseweiser dazu. Sie hat die Gelegenheit benützt, um allerhand Halbkenntnisse auszukramen, und sich entschieden im Ton vergriffen. Der Ausfall gegen Mr. Shaw war höchst überflüssig: was kann er denn dafür, daß er wirtschaftlich gezwungen ist, Melodramen zu schreiben (siehe Shakespeare)? Unter diesen Umständen haben Sie vollkommen recht, wenn Sie das Schweigen des Mr. Wells als das versteckte Bekenntnis einer Schuld des Zeitreisenden auslegen. Und um Ihnen zu beweisen, daß Sie unrecht haben, will ich Ihnen alles enthüllen.

      Denn von einer Schuld kann hier keineswegs die Rede sein. Eher von Pech. Oder von Zerstreutheit. Schließlich kann man nicht an alles denken, das werden Sie doch verstehen. Das heißt: bis jetzt verstehen Sie noch gar nichts. Aber die Sache war im Grunde sehr einfach – so einfach, wie eben nur die Wahrheit sein kann.

      Der beigebogene Bericht hat den Vorteil, daß er sich fast durchwegs aus Aufzeichnungen zusammensetzt, die sogleich nach jedem Ereignis niedergeschrieben wurden. Dies verbürgt bis zu einem fast vollkommenen Grade sowohl ihre Treue wie ihre Lückenlosigkeit. Wo der Zeitreisende spricht, habe ich mich bemüht, möglichst wörtlich zu reproduzieren, und auch dies dürfte mir in hohem Maße gelungen sein, da ich ein sehr gutes Gedächtnis besitze und außerdem als Interviewer in der Wiedergabe mündlicher Äußerungen durch ein jahrelanges Training geschult bin. Im übrigen habe ich natürlich weder das Talent noch den Ehrgeiz, ein Erzähler zu sein, aber auch der Zeitreisende ist, wie Sie bemerken werden, kein guter Erzähler: das pflegen hervorragende Naturforscher höchst selten zu sein. Newton hat zwar bekanntlich große theologische Abhandlungen verfaßt; aber die Erzählungskunst, die er in diesen entwickelt, hätte wohl kaum seinen Weltruf begründet. Mir sind nur zwei Naturforscher von Weltruf bekannt, die zugleich große Darsteller waren: der Franzose Buffon und der deutsche Professor Helmholtz. Aber auch diese beiden Ausnahmen lassen sich erklären: Buffons Gebiet war die beschreibende Naturwissenschaft, die mit Recht Naturgeschichte heißt und daher, wenn sie wahrhaft gemeistert werden will, einen großartigen Erzähler verlangt; und was Herrn Helmholtz anlangt, so war seine Krondomäne die Theorie: es sind ihm zwar einige bewunderungswürdige Erfindungen zu verdanken, zum Beispiel der Augenspiegel, aber in seiner Haupteigenschaft war er spekulativer Physiker, ich möchte sagen: Philosoph. Und der Philosoph stellt dar, der Forscher hingegen, zumal der praktische, stellt fest. Nun aber ist der Zeitreisende so durch und durch Praktiker, daß er nichts als Praktiker ist: ihn interessiert nur die Anwendung, niemals die Theorie. Und von Naturgeschichte versteht er ungefähr so viel, daß ich nicht sicher bin, ob er eine Linde von einer Eiche unterscheiden kann und ob er die Wölfe zum Geschlecht der Hunde oder der Katzen rechnet.

      Da ich aus dem miserablen Englisch Ihrer beiden Briefe schließen muß, daß Sie diese Sprache nicht sonderlich beherrschen, so habe ich den Bericht durch meine Gattin Laura, geborene Müller, die selber eine Deutsche ist, übersetzen lassen. Ich setze selbstverständlich voraus, daß Sie die Mitteilungen, da sie zum Teil kompromittierendes Material enthalten, als streng vertraulich behandeln und nicht herumzeigen oder gar der Öffentlichkeit übergeben. Ich hoffe, Sie werden den Eindruck gewinnen, daß ich kein Dummkopf bin, wie Mr. Wells anzunehmen beliebt. Ich habe den ganzen Abend lang weder »aus Dummheit« noch »vielsagend« geschwiegen, sondern weil man mich nichts gefragt hat. Wir Engländer reden nämlich nur, wenn wir gefragt werden. Sie haben gefragt: hier ist die Antwort.

      Anthony Transic

      Vorerinnerung

Kurze Belehrung für Nichtswisser und Besserwisser

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