Название: Südamerika
Автор: Friedrich Gerstacker
Издательство: Public Domain
Жанр: Зарубежная классика
isbn:
isbn:
Nachdem wir uns nun über eine Woche in einem solchen Zwitterdaseyn zwischen Reisenden und Ansäßigen herumgetrieben, kam endlich die frohe Botschaft, daß wir »unter Segel gehen,« oder wenn wir keinen günstigen Wind bekämen, wenigstens mit der rückströmenden Ebbe der Mündung der Weser zutreiben sollten. Unsere Geschäfte mit dem Land waren bald abgebrochen und regulirt, und noch an demselben Abend lösten wir die Taue, die uns noch am Ufer hielten und schwammen den Fluß hinunter. Die Nacht mußten wir freilich wieder vor Anker gehen, und dasselbe Spiel trieb der Wind mit uns den nächsten Tag.
Gerüchte über neuausbrechende Feindseligkeiten mit Dänemark gaben uns dabei ziemlich gegründete Ursache, eine Unterbrechung unserer Reise fürchten zu müssen, falls wir nicht den Canal, wenigstens vor der Aufkündigung des Waffenstillstands, erreichten, denn unsere Flotte lag noch in den Windeln (ich dachte damals wahrlich nicht, daß ich sie bei der Rückkehr schon im Leichenhemde finden sollte) und dänische Kreuzer hätten uns einen bösen Strich durch die Rechnung machen können.
Der Abschied vom Vaterland ist schon immer an und für sich ein trübes niederdrückendes Gefühl, selbst wenn die Fahrt günstig und den Wünschen entsprechend ist, wie nun, wenn noch Mißmuth und Langweile über aufgehaltene, ja bedrohte Fahrt hinzukommen, und kein Wunder also, daß sich die Meisten, unserer Passagiere mürrisch und unzufrieden an Deck herumtrieben, und sicherlich mit nicht günstigen Augen das letzte Stück ihres Vaterlandes, die niederen monotonen Ufer des Weserstromes, betrachteten, als ein eigenthümlicher Zwischenfall der ganzen Sache eine andere Wendung gab.
Der größte Theil der Passagiere bestand, wie schon gesagt, aus jungen, unverheiratheten Leuten, und von diesen war Einem derselben schon an Bord, ich glaube sogar durch den Lootsen, aus Neckerei das Daguerreotyp eines nicht besonders geachteten Mädchens nachgesandt. Das schien unter den Passagieren bekannt geworden zu seyn; die Seeleute mochten es wohl ebenfalls erfahren haben, und plötzlich hieß es, das Bild gerade sey es, das den bösen Wind bringe, und wir müßten hier so herumtreiben, bis es über Bord geworfen wäre. Es dauerte auch gar nicht lange, so war schon der Beschluß gefaßt es der Tiefe zu übergeben, denn Seeleute wie Jäger sind alle ein wenig abergläubisch. Das Gerücht des beabsichtigten Opfers lief mit Windesschnelle von Mund zu Mund und unter donnerndem Hurrah flog, wenige Minuten später, das arme Bild in den stillen Weserstrom hinab.
Ob sich nun irgend ein, bei den Blasebälgen droben, angestelltes Engelein einen Spaß mit uns machen wollte, oder das Bild wirklich auf irgend eine elektromagnetische Weise mit den Geistern der Luft in Verbindung stand; kurz, so viel war gewiß, die kleine Tafel konnte kaum den Wesergrund berührt haben, als sich die Segel leise an zu heben fingen, vorn am Bug begann das Wasser zu kräuseln, die auf dem Strom schwimmenden Blasen, mit denen wir bis dahin friedlich niedergetrieben waren, blieben zurück, und in kaum einer Viertelstunde hatten wir eine zwar leichte, aber doch günstige Brise, die von Stunde an wuchs und uns endlich mit vollgeblähten Segeln, und zwar noch an demselben Abend, an den letzten Wesertonnen vorüber in die Nordsee hineinführte.
Als wir Bremerhafen gerade gegenüber waren, kam ein Boot von dort ab, zwei Leute saßen darin, ruderten aus Leibeskräften und hatten es nur ihrem zeitig genug vom Ufer fahren zu danken, daß sie uns wirklich einholten, denn das Schiff lief wenigstens fünf Knoten durchs Wasser. Die Passagiere standen fast Alle an Deck und schauten gespannt nach diesem letzten Boten vom festen Land herüber. Der Capitän glaubte, es sey eine Depesche für ihn, und die Uebrigen zerbrachen sich den Kopf, was die Sendung zu bedeuten haben könne, denn Niemand befand sich im Boot, als eben die beiden Rudernden. Und was brachten sie? – einen Brief für einen der Zwischendeckspassagiere.
»He – Schulze – Schulze – ein Brief für Dich!« rief es aus einer Anzahl Kehlen, als das heranschießende Boot von einem zugeworfenen Tau gehalten, mit dem Talisman fortgezogen wurde, und Einer der Bootsleute an Bord gesprungen war.
»Ein Brief für mich?« sagte der Angeredete, der sich jetzt hinzudrängte, anscheinend ganz erstaunt, ja fast erschreckt, »ich gehe nicht wieder zurück.«
Während noch einige der Uebrigen lachten, erbrach er den Brief und frug zugleich den Bootsmann, was er als Botenlohn zu beanspruchen habe.
»Einen Dollar,« lautete die tröstliche Antwort, die den armen Teufel von Passagier nicht wenig erschreckte – »einen Dollar,« wiederholte er ganz verblüfft und las dabei zugleich den Inhalt des Briefes halblaut vor sich hin – lieber Bruder, ich rufe Dir nochmals ein Lebewohl aus der Ferne zu – ich wünsche Dir eine recht glückliche Reise und gute Gesundheit – und das kostet einen Dollar – und laß recht bald etwas recht Gutes von Dir hören – es grüßt und küßt Dich tausendmal Dein getreuer Bruder Franz – und dafür will ich mein ganzes Leben lang nichts weiter thun, als Briefe transportiren – wie können Sie denn dafür einen Dollar fordern?«
»Das ist Taxe,« betheuerte der Mann, »und es war wahrhaftig keine Kleinigkeit, das Schiff mit solchem Fortgang noch einzuholen – seyen Sie froh, daß wir noch zur rechten Zeit gekommen sind.«
»Ich?« – sagte der Passagier ganz erstaunt – »für einen Thaler zehn Silbergroschen das Stück wünsch ich den Leuten das ganze Jahr hindurch eine »glückliche Reise« – ich wollte Sie wären eine halbe Stunde später gekommen.«
Der Mann mußte jedoch seinen Dollar bekommen, und Herr Schulze fügte sich endlich seufzend darein, nachdem er dem Bootsmann noch vorher den, wenn auch vergeblichen Vorschlag gemacht hatte, ihm den Brief für das halbe Porto wieder abzunehmen.
Aus der Weser erst hinaus wurde der Wind immer schärfer und besser, wir mußten aufbrassen und liefen vor günstigster Brise wohl sieben bis acht Meilen.
Dem nicht nautischen Leser hier übrigens gleich im Anfang wenigstens einen Begriff der nautischen Rechnungsart zu geben, werden ein paar Worte genügen. Der Lauf des Schiffes wird nach dem Log gemessen – (jedes Conversationslexikon gibt darüber Auskunft) – und wenn es heißt, das Schiff läuft z. B. acht Knoten in der Stunde (nach den Merkmalen in der Loglinie) – so sind damit englische Meilen gemeint; heißt es acht Meilen in der Wacht, so sind das geographische oder vielmehr nautische. Vier englische gehen aber auf eine nautische, und vier Stunden auf eine Wacht, so daß acht Knoten oder Meilen (engl.) die Stunde – auch dasselbe ist, was acht Meilen die Wacht bedeutet, denn wenn man von der Wacht spricht, rechnet man nur nach nautischen Meilen.
Donnerstag Abend um sieben Uhr liefen wir also in die Nordsee ein – am Freitag Abend mit Dunkelwerden sahen wir schon die Leuchtfeuer von Dover – etwas später auch die von Calais und Sonntag Morgens, am 25. erreichten wir die Mündung des englischen Canals.
»With the blue above and the blue below
And silence reigns wherever we go«
So lagen denn all die gefährlichen Dünen und Sandbänke der Nordsee – all die grünen Untiefen des Canals glücklich hinter uns – mit diesen allen aber auch die Heimath, und es war ein wahrlich nicht zu beschreibendes Gefühl das mich ergriff, als ich endlich einmal wieder auf dem blauen, so wundervoll blauen Ocean, aber auch so fern von den Meinen schaukelte, nun auf’s Neue einem wilden tollen Leben in die Arme gesprungen.
Die Gefühle meiner Mitpassagiere schienen größtentheils anderer Art; mit nur sehr geringen Ausnahmen wurden die meisten seekrank, und wen nicht das grimme Seeleid, den jagte gewiß die nichtswürdige Kälte unter die Decken, so daß das Verdeck die ersten Tage ziemlich verödet lag. Von günstigem Wind getrieben schossen wir aber rasch dahin, und mit dem freudigen Bewußtseyn einen ziemlich fatalen Theil der Reise überstanden zu haben, mischte sich jetzt auch noch das beruhigende Gefühl jeder Gefahr eines, durch die dänische Blokade möglichen Aufenthalts glücklich entgangen СКАЧАТЬ