Der Graf eilte den Feinden nach und stritt mit ihnen. Und Eulenspiegel wurde erneut mit seiner Speise vergessen. Der Graf kehrte zufrieden zurück: er hatte seinen Feinden einen Haufen Rindvieh wieder abgenommen. Das schlachteten und zerlegten sie, sotten und brieten. Eulenspiegel dachte auf dem Turm, wie er auch etwas von der Beute erhielte, und gab darauf acht, wann es Essenszeit sein würde. Da fing er an zu rufen und zu blasen: »Feindio, Feindio!« Der Graf lief mit den Seinen eilends von dem Tisch, auf dem schon das Essen stand. Sie legten ihre Harnische an, nahmen die Waffen in die Hände und eilten sogleich dem Tore zu, um im Felde nach den Feinden Ausschau zu halten. Dieweil lief Eulenspiegel behend und schnell von dem Turm, kam über des Grafen Tisch und nahm sich von den Tafeln Gesottenes und Gebratenes und was ihm sonst gefiel; dann ging er schnell wieder auf den Turm. Als die Reiter und das Fußvolk hinauskamen, sahen sie keine Feinde und sprachen miteinander. »Der Türmer hat das aus Schalkheit getan« und zogen wieder heim, dem Tore zu.
Der Graf rief zu Eulenspiegel hinauf: »Bist du unsinnig und toll geworden?« Eulenspiegel sprach: »Ich bin ohne Arglist. Aber Hunger und Not erdenken manche List.« Der Graf sagte: »Warum hast du ›Feindio‹ geblasen, obwohl keiner da war?« Eulenspiegel antwortete: »Weil keine Feinde da waren, mußte ich etliche heranblasen.« Da sprach der Graf: »Du krauest dich mit Schalksnägeln. Wenn Feinde da sind, willst du sie nicht anblasen, und wenn keine Feinde da sind, so bläst du sie an. Das könnte wohl Verräterei werden!« Und er setzte ihn ab und dingte an seiner Statt einen anderen Turmbläser. Eulenspiegel mußte nun als Fußknecht mit den anderen herauslaufen. Das verdroß ihn sehr, und er wäre gern von dannen gegangen, konnte aber mit Anstand nicht ohne weiteres davonkommen. Wenn sie gegen die Feinde auszogen, so blieb er stets zurück und war immer der letzte zum Tore hinaus. Wenn sie den Streit beendet hatten und wieder heimkehrten, war er immer der erste zum Tore hinein. Da fragte ihn der Graf, wie er das verstehen sollte: wenn er mit ihm gegen die Feinde auszöge, so sei er stets der letzte, und wenn man heimzöge, sei er der erste. Eulenspiegel sprach: »Ihr solltet mir darüber nicht zürnen. Denn wenn Ihr und Euer Hofgesinde schon aßet, saß ich auf dem Turm und hungerte; davon bin ich kraftlos geworden. Soll ich nun der erste an den Feinden sein, so müßte ich die Zeit wieder einholen und besonders eilen, daß ich auch der erste an der Tafel und der letzte beim Aufstehen sei, damit ich wieder stark werde. Dann will ich wohl der erste und der letzte an den Feinden sein.«
»So höre ich wohl« sprach der Graf, »daß du es nur so lange bei mir aushalten wolltest, als du auf dem Turme saßest?« Da sagte Eulenspiegel: »Was jedermanns Recht ist, das nimmt man ihm gern.« Und der Graf sprach: »Du sollst nicht länger mein Knecht sein«, und gab ihm den Laufpaß. Darüber war Eulenspiegel froh, denn er hatte nicht viel Lust, jeden Tag mit den Feinden zu fechten.
Die 22. Historie sagt, wie Eulenspiegel ein Brillenmacher wurde und in allen Landen keine Arbeit bekommen konnte.
Zornig und zwieträchtig waren die Kurfürsten untereinander, so daß kein römischer Kaiser oder König gewählt wurde. Endlich wurde der Graf von Supplinburg von allen Kurfürsten zum römischen König gekoren. Es waren aber auch andere da, die meinten, sie könnten mit Gewalt in das Reich eindringen. So mußte sich der neu gekorene König sechs Monate vor Frankfurt legen und warten, ob ihn jemand von dort hinwegschlüge.
Als er nun soviel Volk zu Roß und Fuß beieinander hatte, überlegte Eulenspiegel, was es für ihn da zu tun gäbe: Dahin kommen viele fremde Herren, die lassen mich nicht unbeschenkt; werde ich in den Kreis ihres Gefolges aufgenommen, so stehe ich mich gut. Und er machte sich auf den Weg dorthin.
Da zogen die Herren aus allen Landen heran. Und es begab sich in der Wetterau bei Friedberg, daß der Bischof von Trier mit seinem Gefolge Eulenspiegel auf dem Weg nach Frankfurt begegnete. Weil er seltsam gekleidet war, fragte ihn der Bischof, was er für ein Geselle sei. Eulenspiegel antwortete und sagte: »Gnädiger Herr, ich bin ein Brillenmacher und komme aus Brabant. Aber da ist nichts für mich zu tun; darum wandere ich nach Arbeit. Mit unserm Handwerk steht es schlecht.« Der Bischof sprach: »Ich glaubte, mit deinem Handwerk müßte es von Tag zu Tag besser werden. Die Leute werden doch von Tag zu Tag kränker und können schlechter sehen, weshalb man vieler Brillen bedarf.«
Eulenspiegel antwortete dem Bischof und sagte: »ja, gnädiger Herr, Euer Gnaden sprechen wahr, aber eine Sache verdirbt unser Handwerk.« Der Bischof fragte: »Was ist das?« Eulenspiegel sprach: »Darf ich das sagen, ohne daß Euer Gnaden mir deshalb zürnen?« »Ja«, sagte der Bischof, »wir sind das wohl gewohnt von dir und deinesgleichen. Sag‘s nur frei heraus und scheue nichts!« »Gnädiger Herr, das verdirbt das Brillenmacherhandwerk, und es ist zu befürchten, daß es noch ausstirbt: daß Ihr und andere große Herren, Papst, Kardinal, Bischof, Kaiser, König, Fürst, Rat, Regierer und Richter der Städte und Länder (Gott erbarm‘s!) zu dieser Zeit durch die Finger sehen, was recht ist, und das nur um des Geldes und der Gaben willen. Aber man findet geschrieben, daß vor alten Zeiten die Herren und Fürsten, soviel es ihrer gab, in den Rechtsbüchern zu lesen und zu studieren pflegten, auf daß niemandem Unrecht geschehe. Dazu brauchten sie viele Brillen, und da ging‘s unserm Handwerk gut. Auch studierten die Pfaffen damals mehr als jetzt; so gingen die Brillen hinweg. Jetzt sind sie so gelehrt geworden von den Büchern, die sie kaufen, daß sie das auswendig können, was sie für ihre Verhältnisse brauchen. Ihre Bücher aber schlagen sie in vier Wochen nicht mehr als einmal auf. Deshalb ist unser Handwerk verdorben, und ich laufe aus einem Land in das andere und kann nirgends Arbeit finden. Der Niedergang ist so weit verbreitet, daß dies die Bauern auf dem Land auch schon zu tun pflegen und durch die Finger sehen.« Der Bischof verstand den Text ohne Glosse und sprach zu Eulenspiegel: »Folge uns nach Frankfurt, wir wollen dir unser Wappen und unsere Kleidung geben.« Das tat Eulenspiegel und blieb bei dem Herrn so lange, bis der Graf als Kaiser bestätigt war. Dann zog er wieder nach Sachsen.
Die 23. Historie sagt, wie Eulenspiegel seinem Pferd goldene Hufeisen aufschlagen ließ, die der König von Dänemark bezahlen mußte.
Eulenspiegel war ein solcher Hofmann geworden, daß der Ruf seiner Trefflichkeit vor manchen Fürsten und Herren kam und daß man vieles von ihm zu erzählen wußte. Das mochten die Herren und Fürsten wohl leiden und gaben ihm Kleider, Pferde, Geld und Kost. So kam er auch zu dem König von Dänemark. Der hatte ihn sehr gern und bat ihn, etwas Abenteuerliches zu tun, er wolle ihm auch sein Pferd mit dem allerbesten Hufbeschlag beschlagen lassen. Eulenspiegel fragte den König, ob er seinen Worten glauben könne. Der König bejahte das, wenn er nach seinen Worten täte.
Da ritt Eulenspiegel mit seinem Pferde zum Goldschmied und ließ es mit goldenen Hufeisen und silbernen Nägeln beschlagen. Dann ging er zum König und bat, daß er ihm den Hufbeschlag bezahlte. Der König sagte ja und wies den Schreiber an, den Beschlag zu bezahlen. Nun meinte der Schreiber, es sei ein schlichter Hufschmied zu bezahlen. Aber Eulenspiegel brachte ihn zu dem Goldschmied, und der Goldschmied wollte hundert dänische Mark haben. Der Schreiber wollte das nicht bezahlen, ging hin und sagte das dem König,
Der König ließ Eulenspiegel holen und sprach zu ihm: »Eulenspiegel, was für einen teuren Hufbeschlag ließest du machen? Wenn ich alle meine Pferde so beschlagen ließe, müßte ich bald Land und Leute verkaufen. Das war nicht meine Meinung, daß man das Pferd mit Gold beschlagen ließe.« Eulenspiegel sagte: »Gnädiger König, Ihr sagtet, es sollte der beste Hufbeschlag sein, und ich sollte Euern Worten nachkommen. Nun dünkt mich, es gebe keinen besseren Beschlag als von Silber und Gold.« Da sprach der König: »Du bist mir mein liebster Hofmann, du tust, was ich dich heiße.« Und fing an zu lachen und bezahlte die hundert Mark für den Hufbeschlag.
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