Название: Das blaue Mal
Автор: Hugo Bettauer
Издательство: Public Domain
Жанр: Зарубежная классика
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Der Juli nahte mit sengenden Hitzwellen, unerträglich heißen Nächten, unerträglicher noch durch die Moskitoschwärme, die bei Sonnenuntergang auftauchten und den Aufenthalt im Freien unmöglich machten. Die ganze Terrasse, alle Fenster waren mit Drahtnetzen verhängt, und außerdem schwenkten, während man bei Eisgetränken auf der Terrasse in den Schaukelstühlen lag, schwarze Diener unaufhörlich ihr Räucherwerk, um etwaige blutsäugerische Eindringlinge zu vertreiben. Der Juli brachte aber auch neues Leben nach Irvington. Die Hochschulen im Osten und Westen hatten unmittelbar vor dem Unabhängigkeitstag mit den Ferien begonnen, und nun kamen alle studierenden Söhne und Neffen an, um sich im Süden bei ihren Leuten gründlich auszufaulenzen. Zur Ausübung irgend eines Sportes war es tagsüber zu heiß, daher rekelten sich die jungen Leute am Tage in den Schaukelstühlen, bevölkerten die Kneipen, knüpften ihre kleinen Flirts an, begaben sich abends aber auf den Bummel, der gewöhnlich in eine Negerhatz ausartete. Aus frischen, ungeschminkten Rasseinstinkten heraus hassen diese College-Boys den Neger, hassen ihn von ganzem Herzen – den jungen, heranwachsenden Negermädchen allerdings stellen sie nach. Die Töchter der Schwarzen sind ihnen Freiwild; doch dieses flieht gewöhnlich nicht den Jäger, sondern geht ihm willig ins Gehege. Die trostlosen Lebensbedingungen, unter denen die Neger im Süden noch mehr als im Norden vegetieren, bringen es mit sich, daß ihre sexuelle Moral auf einer recht niedrigen Stufe steht, und gewöhnlich fühlt sich die Negerin von der Annäherung eines Weißen, besonders wenn es sich um einen vornehmen Herrn handelt, sehr geschmeichelt, auch wenn sie weiß, daß sie dem Mann, der sie umarmt, nichts, aber auch gar nichts anderes ist, als die Sättigung eines sexualen Hungergefühls.
Gerne durchstreifen die jungen weißen Herren abends die Straßen der kleinen Stadt, rempeln Neger, die ihnen nicht rasch genug ausweichen, an, verprügeln sie jämmerlich unter dem Vorwande, unehrerbietige Bemerkungen aus ihrem Munde gehört zu haben, oder sie spielen gar Justiz, fahnden Diebstählen nach, die von den Schwarzen begangen wurden, und lauern auf die Gelegenheit, die Prozedur des Teerens und Federns anzuwenden.
Da kamen aus dem Hühnerhof des Obersten Whilcox eines Tages ein paar Hühner weg, die als Rassetiere größeren Wert hatten. Sofort nahm die Ferialjugend von Irvington mit einem Hund die Jagd auf. Der Foxterrier fand bald die richtige Spur und führte die Schar von etwa zwanzig Burschen nach einer Negerhütte, in der die ganze schwarze Familie eben im Begriffe war, sich einer köstlichen Hühnersuppe zu erfreuen. Rasch wurde eine Art Standgericht gebildet, das den Neger, der das Familienoberhaupt repräsentierte, zum Teeren und Federn verurteilte. Der arme Teufel mußte sich entkleiden, wurde in einer Teermasse hin und her gewälzt, dann mit Hühnerfedern und Wollflocken beklebt und so durch die Straßen gepeitscht. Professor Zeller war zufälligerweise Zeuge dieser Szene, die ihn tief empörte, obwohl er sich als Fremder nicht entschließen konnte, einzugreifen. Mit Unbehagen stellte er fest, daß die alten Neger und die Negerkinder mit den Weißen zusammen den Unglücksmenschen verhöhnten und verfolgten, aber gleich darauf stieß er auf eine Gruppe von jungen Negern, und in deren Mienen sah er nichts Gutes, sondern Haß, ohnmächtige Wut: spiegelten ihre, durch die Erregung graublau gewordenen Gesichter wider. Und er hörte, wie einer der Burschen zu den anderen sagte: »Es wird der Tag kommen, wo wir die weißen Hunde in ihrem eigenen Blute teeren werden.«
Abends war auf der Terrasse des Obersten Whilcox große Gesellschaft, fast alle Studenten waren als Gäste erschienen, und sie rühmten sich des Heldenstückchens, das sie an dem Hühnerdieb verübt hatten. Da hielt Zeller sich nicht länger zurück: mit scharfen Worten gab er seinem Unmut über diese Art von Justiz Ausdruck. Die Alten schwiegen verlegen, die Jungen protestierten, der eine sprach sogar etwas von sentimentalem deutschen Unsinn, und es fehlte nicht an verletzenden, boshaften Bemerkungen. Zeller brach schließlich das peinliche Gespräch ab, indem er sagte: »Wer Haß säet, wird Haß ernten. Und Sie alle säen ein überreiches Maß an Haß. Glauben Sie mir, so wird man mit Rassen und Völkern nicht fertig! Vertreiben und ausrotten können Sie Ihre Neger nicht, so muß ein Modus vivendi gefunden werden. Und Teer und Federn leuchtet mir als Strafe nur dann ein, wenn es in das Gesetzbuch aufgenommen und auch weißen Hühnerdieben gegenüber angewendet wird.«
Die Stimmung war verdorben, es kam keine allgemeine Unterhaltung mehr in Gang und Zeller fühlte sich an diesem Abend recht überflüssig. Trotzdem die schöne Hausfrau ihn in ein Gespräch zu verwickeln suchte und dabei ihre Hand immer wieder auf seinen Arm legte, zog sich Zeller frühzeitig zurück und suchte sein Zimmer auf. Dort war es aber heiß und dumpf, während draußen ein frischer, vom Meer kommender Ostwind die Luft kühlte. Zeller setzte seinen Panamahut auf und verließ, um nicht gesehen zu werden, durch das kleine Gartentor das Haus. Die Luft tat ihm wohl, und rasch schritt er einen Wiesenpfad entlang, der zwischen endlosen Baumwollpflanzungen unter schönen amerikanischen Eichen stadtwärts führte, ziemlich parallel mit der Fahrstraße. Silbern und stechend leuchtete der Mond am Himmel, Grillen zirpten unnatürlich laut, und Zeller überkam die Sehnsucht nach der Heimat. Er fühlte, daß er heute in den Ruf eines unmöglichen deutschen Patrons gekommen sei und auch den Unwillen seines Gastgebers erregt habe. Und damit war eigentlich hier sein Aufenthalt nicht länger ratsam. Denn wenn auch Oberst Whilcox zu chevaleresk und vornehm war, um seinem Gast auch nur das entfernteste Zeichen übler Laune merken zu lassen, wäre es nicht ein Mangel an Taktgefühl, darauf zu bauen und irgendwo zu bleiben, wo sich Disharmonien einschlichen? Und dann war da noch diese schöne Harriett Whilcox, die es ratsam erscheinen ließ, sich bald aus den Wundergärten des Obersten zu entfernen. Zeller fühlte, daß die Lockungen der Amerikanerin sein Blut immer rebellischer machten, daß bald der Moment eintreten würde, wo er das Gastrecht auf das gröbste verletzen müßte. Zeller war nicht eingebildet, aber auch nicht naiv, und er sah deutlich, daß Mrs. Whilcox bereit war, die überaus weitgezogenen Grenzen des amerikanischen Flirts zu überschreiten. Und das gerade mit ihm, weil er eben kein in tausend Vorurteilen befangener Amerikaner war, sondern ein Mann, der in solchen Dingen freier dachte und sie, auch wenn sie mit ihm die Ehe gebrochen hätte, nicht verachten würde. Das alles müßte aber entweder zu entwürdigenden Lügen und einem abscheulichen Verrat oder zu katastrophalen Dingen führen, wenn der heißblütige Oberst auch nur den geringsten Verdacht schöpfen würde. Also fort von hier, so rasch als möglich.
Der Wiesenpfad mündete in die Landstraße gerade bei dem Hause des Negers Sampson ein. Plötzlich, wie aus dem Erdboden emporgezaubert, stand das junge Negermädchen, Karola, das ihn durch seine stilvolle Schönheit bei seiner Ankunft so fasziniert hatte, vor ihm. Er begrüßte es mit einigen Worten und fragte, ob es sich nicht fürchte, allein in der Nacht auf der Straße zu sein. Karola schüttelte den Kopf, daß ihre losen Haare nach vorne flogen, und sagte mit weicher, melodischer Stimme:
»Drin ist zu heiß, und wir sind zu viel in einer Stube. Wenn ein anderer gekommen wäre, so würde Karola sich schnell ins Haus geflüchtet haben. Aber der große deutsche Professor ist ein guter Mann, vor dem sie keine Angst hat.«
Lachend strich ihr Zeller über die dichten Haare, die sich wie rauhe Seide anfühlten:
»Woher weißt du, daß ich gut bin?«
Hell und girrend lachte das Mädchen:
»Das fühlt Karola! Der deutsche Mann ist anders als die Jankees sind, er haßt und verachtet die armen schwarzen Menschen nicht.«
»Nein, Karola, das tue ich wirklich nicht. Warum sollte ich es auch? Sicher gibt es unter euch farbigen Leuten genau so gute und schlechte Menschen, wie unter den weißen, gelben und roten. Aber du, Karola, du magst wohl die Weißen nicht?«
»Oh, ich, ich möchte sie gerne lieben, die Weißen. Blond ist das Schönste, was Gott geschaffen hat! Aber sie hassen uns, und so hasse ich sie!«
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