Название: Bobbie oder die Liebe eines Knaben
Автор: Hugo Bettauer
Издательство: Public Domain
Жанр: Зарубежная классика
isbn:
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»Wie war ihre Haarfarbe?«
»Ebenfalls blond.«
Der Polizeipräsident sah düster vor sich hin.
»Kein Zweifel! Eine Bestie in Menschengestalt, ein Unhold, der es auf hübsche, blonde Mädchen abgesehen hat. Dem Schurken muß das Handwerk gelegt werden. Herr Crispin, die Sache ist ernst, sehr ernst, wir müssen das Äußerste tun!«
Inspektor Crispin nickte und wollte sich zurückziehen, aber Herr Holgerman hielt ihn zurück.
»Meine Herren, ich bitte Sie, keine Kosten zu scheuen, und ersuche Sie, eine hohe Belohnung öffentlich auszuschreiben, die derjenige bekommt, der das Kind so oder so – Herr Holgerman scheute sich, die Worte tot oder lebendig nachzusprechen – zur Stelle schafft. Ich bitte auch, durch Zusicherung von Prämien Ihre Unterbeamten anzuspornen, und erkläre, für sämtliche Kosten aufzukommen. Und nun hätte ich noch eine Frage, die ich, ohne in die erprobte Tüchtigkeit unserer Polizei die geringsten Zweifel zu setzen, doch stellen möchte. Wie wäre es, wenn wir einen erfahrenen, findigen Privatdetektiv zur Mithilfe heranzögen? Man hört doch oft, daß solche Leute Außerordentliches leisten.«
Während Herr Crispin nur leicht lächelte, lachte sein Chef laut auf.
»Verzeihen Sie, Herr Holgerman, aber es scheint, als wenn auch Sie hie und da einen Kriminalroman gelesen hätten! Ja, dann begreife ich Ihre Anregung. Also, ich kann Ihnen nur sagen, daß alles das, was unsere Herren Schriftsteller über sogenannte Privatdetektivs berichten, die, um Geld zu verdienen oder zum Vergnügen, Verbrechern nachjagen und geheimnisvolle Fälle aufdecken, der reinste Schwindel ist. Noch nie hat so ein Detektiv irgend etwas aufgedeckt, und er kann auch gar nichts aufdecken, weil ihm der Apparat der Behörden nicht zur Verfügung steht und er die großzügigen Hilfsmittel der Polizei nicht besitzt. Was Sie da von Fußspuren und vergessenen Kragenknöpfen, kunstvollen Verkleidungen und so weiter in den Büchern gelesen haben, ist phantastischer Humbug, sonst nichts. Jawohl, es gibt genug tüchtige Privatdetektivs, die ganz Gutes leisten, wenn es gilt, einem lockeren Ehemann oder einer verdächtigen Gattin nachzuschleichen oder sich nach dem Vorleben eines Buchhalters oder Bräutigams zu erkundigen. Kurz, überall dort, wo es sich um private Angelegenheiten handelt, um die sich die Polizei nicht kümmert und nicht kümmern darf, kann ein Privatdetektiv Ersprießliches leisten. Aber in Fällen, wie diesem hier, würde er nur eine komische Figur spielen, weil ihm die Schar der Hilfskräfte, die Kenntnis der Akten, der Einblick in das Verbrecheralbum, die Verbindung mit den auswärtigen Behörden und vor allem das Recht zu irgendeiner Amtshandlung fehlen.«
Herr Holgerman gab sich zufrieden und fuhr nach Hause, in der geheimen Hoffnung, daß sich das Einschreiten der Polizei doch noch als überflüssig erweisen würde. Aber zu Hause fand er nur niedergeschlagene Menschen, die miteinander im Flüstertone wie in einem Totenhause sprachen. Unerquicklich gestaltete sich auch das Abendessen, bei dem sonst Herr Holgerman, aller Geschäftssorgen ledig, gutgelaunt zu sein pflegte. Diesmal flog kaum hie und da ein abgerissenes Wort über den reichbedeckten Tisch. Bob hatte zum erstenmal in seinem jungen Leben Kopfschmerzen. Mühsam würgte er ein paar Bissen hinab, alles quälte ihn; der sorgenvolle Blick, den seine Mutter von Zeit zu Zeit auf ihn warf, die beschwichtigenden Äußerungen, die der Vater ersichtlich gegen seine Überzeugung tat, alles empfand der Knabe als Anreiz, laut hinaus zu weinen, und je krampfhafter er sich bemühte, die Tränen zurückzudrängen, um so stärker wurde der Schmerz in den Schläfen. Wie eine Erlösung empfand er es, als seine Mutter unmittelbar nach Tisch ihn an sich zog und ihm liebkosend sagte:
»Bobbie, du bist ganz blaß vor Müdigkeit und Sorge; am besten, du gehst gleich schlafen. Wer weiß, vielleicht ist morgen alles wieder gut.«
Bob ging in sein im zweiten Stockwerk gelegenes, freundliches, ganz weißes Zimmer, blieb, das Ende eines Schnürschuhbandes in der Hand, gedankenvoll auf dem Bettrande sitzen und sprach in sich hinein:
»Ich habe jetzt am gedeckten Tisch gesessen und hätte essen können, was ich wollte. Und nun bin ich in meinem Zimmer und werde mich in ein weiches, weißes Bett legen, um morgen früh zu einem guten Frühstück aufzustehen. Gertie ist aber irgendwo tot oder krank, oder böse Menschen tun ihr etwas, schlagen und mißhandeln sie. Vielleicht liegt sie jetzt in einem Gefängnis auf dem harten Steinboden, hat nur Wasser und schimmliges Brot – und Mäuse, vor denen sich Gertie immer so fürchtet, huschen ihr über die Beine. Und vielleicht weint und schreit sie nach ihrer Mama und nach mir. Sicher tut sie das, denn Gertie ist ja eigentlich meine Braut, weil sie doch weiß, daß ich sie, wenn ich erst groß bin, unbedingt heiraten werde, und weil sie mich so lieb hat, wie ich sie.«
Einer plötzlichen Eingebung folgend, sprang Bob auf. Er ging an das offene Fenster und sah in den Abend hinaus. Es war schon ganz dunkel draußen, aber der Himmel stand voller Sterne, es war herrlich warm und vom Park her dufteten die Tuberosen und Hyazinthen. Und Bob tat nun etwas, was er unter anderen Umständen als braver, kleiner Junge nie getan hätte. Schlich leise die Treppe hinab, nahm aus dem Garderoberaum unten in der Halle den Hausschlüssel und verließ ungesehen und verstohlen die Villa. Leer, durch wenige Laternen schlecht erhellt, lag der Park vor ihm. Aber Bob richtete sich stramm auf, um kein Angstgefühl aufkommen zu lassen, und ging hinein. Niemand war zu sehen. Nur auf den Bänken saßen fast immer zwei Leute, Mann und Frau, die sich umschlungen hielten, und Bob dachte:
»Sicher sind das arme Ehepaare, die häßliche kleine Wohnungen haben und sich nun hier erholen. Es ist sehr nett von den Leuten, daß sie sich gerne haben. Wenn ich groß bin, will ich mit Gertie auch so sitzen, aber nicht im Park, wo fremde Leute einen sehen, sondern zu Hause auf dem Sofa.«
Auf und ab wandelte Bob durch alle die vielen sichkreuzenden Wege und Alleen; über den Spielplatz ging er und pfiff von Zeit zu Zeit die drei Töne vor sich hin, die für Gertie das Signal zu sein pflegten, mit dem er sie an das Fenster lockte.
Nichts, kein Echo, keine Antwort, keine Gertie! Bob begann das Unsinnige dieses nächtlichen Ausfluges einzusehen, ging wieder heim und gelangte abermals unbemerkt in sein Zimmer, wo er sich nun rasch entkleidete und todmüde ins Bett schlüpfte.
Eine schreckliche Nacht kam für den kleinen Jungen, so entsetzlich und schmerzvoll, wie er nie gedacht hatte, daß eine Nacht sein könnte. Wüste Träume verfolgten seinen ersten Schlummer. Er sah Gertie vor sich, wie sie blutüberströmt vor ihm herlief. Er hinter ihr her, ein Messer schwingend. Endlich erreichte er sie, stieß ihr das Messer in den Rücken, worauf Gertie ihn groß ansah und lispelte: »Bobbie, daß du es bist, der mir so weh tut!« Da schrie Bob in Verzweiflung gellend auf, so daß er von diesem Schrei erwachte. Und es dauerte Sekunden, bevor es ihm klar war, daß dies nur ein Traum gewesen. Schweißgebadet lag er in seinem Bett und erinnerte sich, daß er sein Nachtgebet zu sprechen vergessen hatte. Bob kroch aus dem Bette, kniete, was er sonst nie tat, nieder und rief schluchzend seinen Herrgott an, er möge nicht dulden, daß Gertie ein Leid geschehe. »Lieber Gott,« sagte er, »allen Menschen will ich nunmehr Freude machen, bescheiden und gut will ich sein, nie jemanden kränken und ärgern, wenn du machst, daß Gertie wiederkommt.«
Plötzlich kam es ihm zum Bewußtsein, daß er auch gegen Gertie nicht immer ganz nett gewesen sei. Einmal hatte er sie angeschrien, weil sie an seinem Flaubertgewehr etwas in Unordnung gebracht hatte, sehr oft hatte er sie verspottet, wenn sie von der Gleichberechtigung der Frauen sprach und glühend behauptete, daß Mädchen ebenso klug seien wie Jungens. Und dann vor wenigen Tagen erst hatte er Gertie seine Mineraliensammlung gezeigt, in der sich ein schöner, großer Opal befand. Gertie hatte diesen lange in ihren Händen gehalten und dann seufzend gesagt: »Der ist schön, da ließe sich ein feiner Anhänger daraus machen.« Wohl hatte es in ihm gezuckt und er wollte ihr den Stein schenken, aber der kleine Teufel, diesmal der Geizteufel, der, wie der Herr Pfarrer immer zu sagen pflegte, in jedem Menschen irgendwo sein Spiel treibe, verhinderte ihn СКАЧАТЬ