Handbuch des Strafrechts. Bernd Heinrich
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Handbuch des Strafrechts - Bernd Heinrich страница 30

Название: Handbuch des Strafrechts

Автор: Bernd Heinrich

Издательство: Bookwire

Жанр:

Серия:

isbn: 9783811456655

isbn:

СКАЧАТЬ § 135a Abs. 3 S. 1 SGB V204

       Ausgewählte Literatur

A. Vorbemerkung

      1

      Ärztliches Handeln entzog sich angesichts des besonderen Vertrauensverhältnisses zwischen Arzt und Patienten zunächst dem objektivierenden Zugriff des Rechts. Infolge einer zunehmend naturwissenschaftlich-rational ausgerichteten Medizin geriet dieser ursprünglich tabuisierte Bereich in den Fokus staatlicher Reaktionen, nicht zuletzt durch die bekannte Entscheidung des Reichsgerichts in Strafsachen vom 31. Mai 1894, in der ärztliche Heileingriffe als tatbestandsmäßige Körperverletzung im Sinne des Strafgesetzbuches gewertet wurden.[1] Diese rechtliche Umgrenzung ärztlicher Tätigkeit wird vom Ansatz her nicht mehr bestritten, folgt sie doch im Rechtsstaat des Grundgesetzes aus den von der Verfassung vorgegebenen staatlichen Schutzpflichten für die Grundrechtsgüter Menschenwürde, Leben, körperliche Unversehrtheit und freie Entfaltung der Persönlichkeit.[2] Somit ist auch die heilbehandelnde ärztliche Tätigkeit einer nichtärztlichen Außenkontrolle zu unterwerfen.[3] Wenn staatlich gesetztes Recht ein wesentliches Mittel zur Reduktion sozialer Komplexität darstellt, kann es – in richtiger Dosierung – auf dem Gebiet der Heilbehandlung das für die Arzt-Patienten-Beziehung unerlässliche Vertrauen stabilisieren.[4] Positiv ist auch die – in den allgemein zu konstatierenden Schwund absoluter, unangreifbarer Autoritäten einzuordnende – Entmystifizierung der ärztlichen Profession einzuschätzen. Ob allerdings auf dem Gebiet der strafrechtlichen Erfassung ärztlicher Heilbehandlung nicht eine letztlich patientenschädliche Überdosierung (straf)rechtliche Regulation vorliegt,[5] ist eine noch offene Frage.

      2

      Gründe für die zunehmende Verrechtlichung (primär im zivilrechtlichen Haftungsrecht, dann aber hieran anschließend auch im Strafrecht) sind sicherlich die durch Fortschritte der Medizin nicht nur gesteigerten Heilungschancen, sondern auch die hiermit einhergehenden gesteigerten Handlungsrisiken einer aggressiven, technikunterstützten Heilbehandlung.[6] Des Weiteren birgt die vom medizinischen Fortschritt erzwungene Arbeitsteilung und Spezialisierung, die dem behandelnden Arzt einen nur sektoralen Blickwinkel eröffnet, die Gefahr patientenschädlicher Kommunikationsstörungen. Wird der naturwissenschaftliche Ansatz der Medizin bei der Behandlung überbetont, so gerät die personale Dimension des Arzt-Patienten-Verhältnisses ins Hintertreffen. Der Patient wird nicht mehr als notleidender Mensch in Behandlung, sondern eher als bloße Informationsquelle für sachgerechtes ärztliches Verhalten missverstanden. Die personale Dimension im Arzt-Patienten-Verhältnis ist aber nicht nur durch etwa übersteigerte Machbarkeitsvorstellungen des Arztes, sondern auch durch hiermit einhergehende Erwartungen seines Patienten bedroht: Sieht dieser die Wiederherstellung seiner Gesundheit als käufliches (und von ihm teuer bezahltes) Gut an, so liegt es nahe, beim Verfehlen des angestrebten Behandlungserfolges statt von einem Unglück von Unrecht zu sprechen.[7]

      3

      Mit dieser zunehmenden Verrechtlichung der Arzt-Patienten-Beziehung ist aber die Gefahr verbunden, dass der Arzt in einer aus seiner Sicht nur noch von Rechtsvorgaben beherrschten Welt die ihn ursprünglich allein verpflichtende Kraft außerrechtlicher arztethischer Maßgaben und die hierdurch konstituierte individuelle Verantwortung völlig hintanstellt und sich nur noch auf den ethischen Minimalkonsens des formalen Rechts zurückzieht.[8] Aus einer im Übermaß verrechtlichten Medizin droht dann rasch eine defensive Medizin zu werden,[9] in der entweder zur Aussparung von Risiken zu wenig getan würde oder umgekehrt im Versuch, alle potentiellen Risiken abzuklären, Diagnostik im Übermaß stattfände.[10] Beides ginge letztlich zu Lasten des Patienten, denn was er durch (straf)rechtliche Einhegung auf der einen Seite gewönne, würde sich dann gegen ihn kehren, wenn überzogene (straf)rechtliche Anforderungen dem Arzt nahelegten, sich primär an seinen ja durchaus legitimen Bedürfnissen der Sicherheit vor (auch straf)rechtlicher Verfolgung zu orientieren. Hiermit wäre ein Verblassen der Regulierungskraft arztethischer Vorgaben verbunden. Das Recht ist aber auf diese ethische Unterstützung angewiesen, und nicht nur deshalb, weil vernünftig gesetztes Recht auch hier eine Freiheitssphäre schafft, in der sittliche Entscheidungen überhaupt erst getroffen werden können. Gerade das Strafrecht bedarf einer entsprechenden moralisch-ethischen Unterstützung, um überhaupt Wirksamkeit entfalten zu können. Auch würde die Rechtsordnung sich selbst überfordern, wollte sie für alle denkbaren Einzelfälle mit ihren je verschiedenen Entscheidungssituationen konkrete Handlungsvorgaben vorsehen. So hat Schreiber zurecht darauf hingewiesen, dass „Konflikte und Aporien ärztlicher Tätigkeit … der Jurist ohne Rückgriff auf den Sinn des ärztlichen Berufs und dessen Ethos nicht entscheiden (kann).“[11] Ohne diese vom Arzt verinnerlichte ethische Fundierung rechtlicher Vorgaben wäre sein Handeln eher als eine mehr oder weniger widerstrebend praktizierte Anpassung an einen ihm fremd erscheinenden Normbefehl zur Abwendung von Sanktionsgefahren zu begreifen. Für den Schutz der hochwertigen Rechtsgüter des Patienten ist aber eine positive Respektierung seiner schutzbedürftigen Belange allemal wirkmächtiger.

      4

      Bei der ärztlichen Heilbehandlung überschneiden sich Ethik und Recht,[12] da das Verhältnis zwischen Arzt und Patienten weit mehr ist als eine juristische Vertragsbeziehung.[13] Auch das Bundesverfassungsgericht[14] betont in seiner Entscheidung aus dem Jahr 1979 die gemeinsame Schnittmenge der zwei sich schneidenden Kreise von Recht und Ethik. Auch soll nicht die unentbehrliche Ergänzungsfunktion medizinischer Ethik bestritten werden, ohne die letztlich das Recht seine steuernde Wirkung nicht oder zumindest nur eingeschränkt entfalten könnte. Aber es ist originäre Funktion der Rechtsordnung als der für alle Bürger gemeinsamen Friedensordnung, die Grenzen zulässigen Verhaltens zu bestimmen, sofern Rechte Dritter betroffen sind. Folglich ist auch im Arzt-Patienten-Verhältnis staatlich gesetztes und angewandtes Recht unerlässlich. Auch dann, wenn man angesichts des Rückgriffs des (Straf-)rechts auf ethisch bedeutsame Sachgehalte wie die Rechtsgüter Leben und Gesundheit ein beziehungsloses Nebeneinander von Recht und Ethik ablehnt, so bildet doch nur das staatlich gesetzte Recht angesichts der Pluralität der Lebensverhältnisse und der höchstpersönlichen Entwürfe eines guten Lebens einzig die noch allen Bürgern gemeinsame Handlungsanleitung.[15] Wenn auch die Basis rechtsgüterschützenden Strafrechts im ethisch-moralischen Bereich anzusiedeln ist (Verbrechen als sozialethisch unerträgliche Tat, die Tadel verdient), so handelt es sich bei der Strafrechtsanwendung vorliegend eben nicht um die Umsetzung arztethischer Vorgaben, sondern um die Anwendung von der Gemeinschaft positiv gesetzten Rechts. Werden ethische Regeln in die Rechtsordnung übernommen, so verlieren ethische Postulate durch diese Einkleidung in die Form des Rechts zwar nicht ihre ethische Rückbezüglichkeit. Sie werden aber zu Teilen der Rechtsordnung,[16] die als für alle Bürger gemeinsame Friedensordnung dann aus sich heraus auszulegen ist.[17] Abschließend sei bemerkt, dass allgemein gesprochen doch eher davon ausgegangen werden kann, dass letztlich die medizinische Steuerung des Rechts (etwa durch dessen unerlässliches Anknüpfen im haftungsrechtlichen Rekurs auf ärztliche Leitlinien) größer ist als umgekehrt die rechtliche Feinsteuerung ärztlicher Praxis.

      5

      In diesem Zusammenhang darf auch eine bei der Heilbehandlung zutage tretende unterschiedliche Sichtweise nicht außer Betracht gelassen werden:[18] Der Mediziner knüpft an den hilfsbedürftigen Patienten an und richtet seinen Blick in die Zukunft; zu ihrer positiven СКАЧАТЬ