Название: Strafrecht Allgemeiner Teil II
Автор: Sabine Tofahrn
Издательство: Bookwire
Серия: JURIQ Erfolgstraining
isbn: 9783811473539
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Schwierig und damit klausurrelevant ist die Abgrenzung zwischen strafbarem untauglichen Versuch und straflosem Wahndelikt bei einem Irrtum über die normativen Tatbestandsmerkmale. Bei diesen Tatbestandsmerkmalen muss der Täter nicht nur Sachverhaltskenntnis, sondern auch Bedeutungskenntnis haben, d.h. er muss das wertungsausfüllungsbedürftige Merkmal als juristischer Laie richtig erfasst haben.
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Damit kommen wir zur dritten möglichen Konstellation:
Spätestens jetzt sollten Sie das Kapitel „subjektiver Tatbestand“ und dort das Thema „Abgrenzung Tatbestandsirrtum – Subsumtionsirrtum“ wiederholen.
• | Umgekehrter Subsumtionsirrtum: Der Täter hat die volle Tatsachen- und Bedeutungskenntnis der objektiven Tatbestandsmerkmale, verkennt jedoch infolge falscher Auslegung den Sinngehalt der Norm und überdehnt den Anwendungsbereich zu seinen Ungunsten (normaler Subsumtionsirrtum: der Täter hat volle Tatsachen- und Bedeutungskenntnis, verengt den Tatbestand jedoch zu seinen Gunsten). |
Beispiel
A verursacht mitten in der Nacht bei -20°C einen Unfall, indem er auf ein stehendes Fahrzeug auffährt. Nachdem er die ganze Nacht am Unfallort ausgeharrt hat, entfernt er sich nach 12 Stunden und begibt sich sofort zur Polizeiwache, um seine Personalien feststellen zu lassen. Dort gibt er an, dass er sich der Unfallflucht nach § 142 strafbar gemacht habe, weil er nicht bis zum Eintreffen des Geschädigten am Unfallort gewartet habe.
Hier hat A gewusst, dass er als Unfallbeteiligter am Unfallort wartepflichtig ist. Er hat jedoch zu seinen Ungunsten die Wartepflicht zeitlich überdehnt. Durch das Entfernen vom Unfallort nach mehrstündigem Warten und das Aufsuchen der Polizeidienststelle hat A sich keinesfalls strafbar gemacht, da ihm aufgrund der Witterungsumstände schon nicht zuzumuten war, länger als eine halbe Stunde am Unfallort auszuharren. Sie würden den objektiven Tatbestand des § 142 Abs. 1 aus diesem Grund verneinen. Auch eine Strafbarkeit gem. Abs. 2 kommt nicht in Betracht, da A unverzüglich die Feststellungen nachholte.
JURIQ-Klausurtipp
Diese Abgrenzungsproblematik ist beim Tatentschluss zu diskutieren. Fraglich wird nämlich regelmäßig sein, ob der Tatentschluss auf die Verwirklichung eines objektiven Tatbestandes gerichtet war.
Beispiel
Problematischer ist folgender Fall: Arzt A hat bei der Patientin P eine Nierenzystenpunktion vorgenommen, ohne die P über das zwar geringe aber dennoch bestehende Risiko eines Organverlustes aufgeklärt zu haben. Wenig später wird P von einem anderen Arzt das Organ entnommen, weil es geschädigt ist. P verklagt daraufhin A, weil sie davon ausgeht, dass die Punktion ursächlich für die Schädigung des Organs war. A geht davon aus, zwar keinen Behandlungsfehler gemacht zu haben. Gleichwohl glaubt er aber, dass die P schon deshalb einen Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes gegen ihn habe, weil er sie nicht ordnungsgemäß aufgeklärt hat. Um sich vor einer Verurteilung im Zivilprozess zu schützen, legt er manipulierte Behandlungsunterlagen vor, aus denen sich die angebliche Aufklärung ergibt. Später stellt sich heraus, dass der Schadensersatzanspruch tatsächlich nie bestand, weil die Handlung des A nicht kausal war für die eingetretene Verletzung der P.[6]
Fraglich ist, ob A sich wegen Prozessbetruges nach § 263 strafbar gemacht hat. Durch das Einreichen der manipulierten Behandlungsunterlagen hat er eine Täuschung begangen, die wahrscheinlich auch zu einem Irrtum des Richters führte. Dieser Irrtum führte dann allerdings nicht zum klageabweisenden Urteil, da der Anspruch der P aufgrund der fehlenden Kausalität zwischen der Behandlung durch A und der eingetretenen Verletzung abgewiesen wurde. Damit bestand nie ein Anspruch der P, so dass diese durch Aberkennung des Anspruchs auch keinen Schaden erlitt.
In der Klausur müssten Sie nun danach fragen, ob A sich wegen versuchten Betruges gem. §§ 263 Abs. 1 und 2, 22, 23 Abs. 1 strafbar gemacht haben könnte.
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In Literatur und Rechtsprechung werden zur Abgrenzung verschiedene Lösungsansätze vertreten.
• | Die Lehre vom Umkehrschluss |
Insbesondere der BGH greift zur Abgrenzung zwischen untauglichem Versuch und Wahndelikt auf die Abgrenzung zwischen Tatbestandsirrtum und Subsumtionsirrtum zurück. Die dortigen Prinzipien werden im Wege eines Umkehrschlusses entsprechend übertragen.
Demnach soll ein strafloses Wahndelikt ein umgekehrter Subsumtions-/Verbotsirrtum sein, während der untaugliche Versuch die Kehrseite des Tatbestandsirrtums darstelle.[7]
Konkret wird also wie bei der Abgrenzung danach gefragt, ob der Täter als juristischer Laie die Norm bzw. das Tatbestandsmerkmal richtig verstanden hat. Liegt dieses Verständnis vor, wird ein untauglicher Versuch angenommen.
• | Die Lehre von der versuchsbegründenden Wirkung jedes Vorfeldirrtums |
Nach einer anderen Ansicht soll in der Regel ein untauglicher Versuch vorliegen, wenn der Täter einem Rechtsirrtum im „Vorfeld des Tatbestands“ unterlegen ist und deshalb den in Betracht kommenden Straftatbestand nicht verwirklichen kann.[8] Rechtsirrtümer im Vorfeld des Tatbestands sind insbesondere solche über „Verweisungsbegriffe“, also über Merkmale, zu deren Bestimmung außertatbestandliche Normen herangezogen werden müssen. Soweit der Täter nur solche außertatbestandlichen Normen – wie z.B. entsprechenden Vorschriften aus der StPO hinsichtlich der Zuständigkeit zur eidlichen Vernehmung – fehlerhaft auslege, begehe er einen grundsätzlich strafbaren untauglichen Versuch.
• | Die Lehre von der Straflosigkeit aller selbstbelastenden Rechtsirrtümer |
Nach einer Gegenposition führt jeder Rechtsirrtum über normative Tatbestandsmerkmale, gleichgültig, ob im Vorfeld des Tatbestands oder über die Bedeutung der Tatbestandsmerkmale selbst, zu einem straflosen Wahndelikt.[9] Normative Tatbestandsmerkmale zeichnen sich gerade dadurch aus, dass sie zu ihrer Bestimmung auf außertatbestandliche Rechtsnormen verweisen. Durch diese Verweisung wirken auch jene Normen hinsichtlich der Extension und dem Anwendungsbereich eines Straftatbestands konstitutiv. Folglich stellt sich ein Rechtsirrtum im Vorfeld der Tat nicht anders dar als jeder andere Rechtsirrtum. Der Täter verkennt hier wie dort den Anwendungsbereich des Straftatbestands und dehnt ihn zu seinen Lasten aus. Er interpretiert in ein normatives Tatbestandsmerkmal etwas hinein, was objektiv besehen nicht davon erfasst ist. In diesen Fällen muss nach dieser Lehre von einem Wahndelikt ausgegangen werden.
Beispiel
Nach der Vorstellung des A im obigen Fall sollte die Täuschungshandlung kausal einen Irrtum hervorrufen. Auf diesem Irrtum sollte kausal das klageabweisende Urteil und damit die Vermögensverfügung und der Vermögensschaden beruhen. Der Schaden hätte nach der rechtsirrigen Vorstellung des A in der Aberkennung des Anspruchs, der auf einer unterbliebenen Belehrung beruhte, bestanden. Das Ganze sollte nach der Vorstellung des A auch eine rechtswidrige Bereicherung darstellen. Dass ein Vermögensschaden auf der Seite des Opfers niemals eintreten konnte, weil das Opfer gegenüber A СКАЧАТЬ