Abendliche Häuser. Eduard von Keyserling
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Название: Abendliche Häuser

Автор: Eduard von Keyserling

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783754188224

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      Der Wintertag war sehr hell geworden, die Zimmer waren voll gelben Sonnenscheins, der Baron erschien, um an Christophs Arm langsam seine Promenade durch die Zimmerflucht zu machen, er blieb vor Fastrade stehen, sah sie streng an und sagte: »Mein Kind, hast du deinen Pflichtenkreis gefunden?«

      »Ich weiß nicht, Papa«, erwiderte Fastrade und errötete.

      Der Baron dachte ein wenig nach und fragte dann: »Gehst du heute zu den Kühen?«

      »Zu den Kühen?« Fastrade wunderte sich; sie war sonst nie zu den Kühen gegangen.

      »Gut, lassen wir es zu morgen«, fuhr der Baron fort, »aber des Herrn Auge mästet das Vieh.« Als er weiterging, fügte er noch hinzu: »Übrigens essen wir um Punkt eins, der Arzt hat es so verordnet.«

      Einen Pflichtenkreis hatte Fastrade offenbar noch nicht. Sie trieb sich in den Zimmern umher, rückte an den Möbeln, als wollte sie dieselben wecken und ihnen melden, daß sie da sei. Endlich ging sie in das Kabinett, das ihr als Schreibzimmer diente, und setzte sich dort nieder. Da war ihr Schreibtisch, da standen ihre Sachen und Bücher, aber sie sagten ihr noch nichts, sie hatte noch kein Verhältnis zu ihnen. Sie war es nicht mehr gewohnt, einen Tag vor sich zu haben, über den sie selbst bestimmen konnte. Dort im Krankenhause zwang ja jede Minute zu einer bestimmten Arbeit. »Was tat ich früher um diese Zeit?« fragte sie sich. Da stieg wieder die Erinnerung jener früheren Zeit in ihr auf und mit ihr Arno Holsts hübsche, schmächtige Gestalt. Wie deutlich entsann sie sich jetzt des Abends, an dem sie zuerst gewußt hatte, daß sie Arno Holst liebte, oder sich entschlossen hatte, ihn zu lieben. Sie saß am Klavier und spielte Mendelssohn, Arno Holst stand hinter ihr und hörte zu. Als sie geendet hatte, ließ sie die Hände in den Schoß sinken, er lehnte sich an das Klavier und begann von seiner Mutter zu sprechen; sie hatte auch so schön diese Mendelssohnschen Lieder gespielt. Er erinnerte sich dessen sehr gut, obgleich er noch ein Knabe gewesen war, als sie starb, deshalb wohl waren diese Melodien für ihn der Inbegriff des Heimatlichen und Geborgenen, denn mit dem Tode seiner Mutter war er heimatlos und einsam geworden, und einsam zu sein war wohl sein Schicksal. Das hatte Fastrade ergriffen. Sie war in den Park hinausgegangen; sie erinnerte sich deutlich dieses Vorfrühlingsabends: Ein lauer Wind fuhr in die laublosen Bäume, eine ganz silberne Mondsichel hing am Himmel, die Parkwege waren naß, überall rannen und plauderten kleine Wasser, und es roch stark nach feuchter Erde. Dort nun war das Mitleid um Arno Holst ganz stark über sie gekommen, nicht ein Mitleid, das schmerzt, sondern eines, das berauscht. Nein, sie wollte nicht, daß er einsam sei, und dann war ihr eingefallen, daß das wohl Liebe sein könne, und das hatte sie beglückt. Sie hatte es plötzlich empfunden, daß dieses Mädchen, das da auf den feuchten Parkwegen gegen den Frühlingswind ankämpfte, in diesem Augenblicke etwas ganz Bedeutsames geworden war, das Schicksal und das Glück eines anderen. Sie hatte an jenen Abend lange nicht gedacht, denn ein anderes Bild hatte die Erinnerung verwischt, das Bild des armen Arno Holst, wie er im Krankenhause im Bette lag mit eingefallenen Wangen, fieberblanken Augen und todesmatt von den furchtbaren Hustenanfällen, die ihn schüttelten. Er hatte nur wenig zu ihr gesprochen, die kurzsichtigen, braunen Augen hatten sie erregt und hungrig angesehen, und wenn sie etwas für ihn tat, hatte er matt und dankbar gelächelt. Nur in einer der letzten Nächte, als sie an seinem Bette saß, hatte er plötzlich deutlich, und als sei er böse, gesagt: »Du darfst nicht so treu und so mitleidig sein, das bringt zu viel Leid.«

      Christoph kam und meldete das Mittagessen. Der Baron saß schon in einem Sessel bei Tisch; er hatte sich von Christoph in seinen schwarzen Rock einknöpfen lassen, anders hätte ihm das Essen nicht geschmeckt. Auch Couchon saß an ihrem Platz und beugte den Kopf mit der grauen Samthaube tief auf ihren Teller nieder. Die Baronesse legte die Suppe vor. Während des Essens wurde von der Nachbarschaft gesprochen. »Bei Ports«, meinte die Baronesse, »ist es auch nicht recht gemütlich, die Gertrud muß ihre Singschule aufgeben und nach Hause kommen, und der Vater brummt, weil sie fortgegangen ist, und brummt, weil sie wieder kommt, er wird in letzter Zeit überhaupt recht schwierig. Nun und die Egloffs, die alte Baronin wird mit jedem Tag vornehmer, sie spricht nur noch von den Zeiten, da sie Palastdame war, und ihr Enkel, der Dietz, wird mit jedem Tage wilder, tobt herum, ladet allerhand fremde Leute ein, gibt Gesellschaften, Jagden, Schlittenpartien, und des Nachts sitzt er am grünen Tisch und spielt und spielt, es ist recht schade um das schöne Gut und das schöne Vermögen. Und dann, ich weiß es ja nicht, aber die Leute erzählen, er soll jetzt viel bei Dachhausens sein und der kleinen Frau ganz den Kopf verdrehen. Das würde mir für den guten Dachhausen leid tun. Nun, von ihr will ich nichts Schlechtes denken, aber bei diesen Damen, die nicht von Familie sind, weiß man ja nie. Ach ja, es ist recht traurig, so ein junger Mensch, der kein Gewissen hat.«

      Fastrade lehnte sich in ihren Stuhl zurück, als machte das Essen ihr keine Freude mehr, und sagte: »Also etwas gemütlich und glücklich zu sein, das versteht hier keiner.«

      »Liebes Kind«, meinte die Baronesse, »es hat eben jeder seine Sorgen.« Da legte der Baron die Gabel fort, richtete sich auf und sagte streng und ein wenig mühsam. »Es genügt nicht, als Edelmann geboren zu sein, man muß auch Edelmann sein wollen.«

      »Du hast sehr recht, lieber Bruder«, unterbrach ihn die Baronesse, die fürchtete, daß er sich aufrege. Couchon beugte ihren Kopf tief auf den Teller nieder und murmelte: »Un bel homme tout de même!«

      Am Nachmittage, wenn der Baron und die Baronesse sich in ihre Zimmer zurückgezogen hatten, war von jeher eine schläfrige Stille über das Haus gekommen. Fastrade mußte an den armen Bolko denken, der als Knabe stets gesagt hatte: »Um diese Stunde zieht es einen in allen Gliedern, man muß, muß etwas Unerlaubtes tun.« Sie liebte auch nicht diese Zeit des grellen Nachmittagssonnenscheins und der niedergelassenen Fenstervorhänge. Wenn das Licht rötlich zu werden begann und die Sonne tief über dem Walde stand, dann wich etwas wie ein Druck von dem Hause, und auch Fastrade fühlte neue Unternehmungslust. Sie ging hinaus in den Wald, es war hübsch, so bei Sonnenuntergang durch eine ganz rosa Welt zu gehen, die Wege glänzten wie buntes Glas, die ganze Luft war voll Farbe, alles in ihr bekam eine gefühlvolle Zartheit, selbst die grauen Gestalten der Arbeiter und die grauen Häuschen, zu denen sie langsam und müde heimgingen. Aber in diesem Lichte sah nichts traurig aus, und Fastrade meinte, sie seien in diesem einen farbigen Augenblicke so getröstet wie sie selbst. Als sie in den Wald gelangte, war die Sonne untergegangen, alles stand wieder still und weiß um sie her, der frische Schnee lag wie Polster unter den Stämmen, auf großen gespreizten Händen wurde er vorsichtig von den Tannenzweigen gehalten, und unheimlich still war es hier, wo die großen ruhigen Baumgestalten einträchtig nebeneinander standen in ihrer schweigenden Schönheit, einschüchternd fast, meinte Fastrade, in ihrer Vornehmheit. Ein leiser Ton erwachte, als huschten Schritte über Wolle, und ein Hase setzte über den Weg, tauchte in die weißen Schneepolster unter und wieder auf, es mußte gut tun, dachte Fastrade. Ja, sie hätte gern auch wie einer dieser Bäume regungslos in der Dämmerung gestanden, eingehüllt in all dies kühle Weiß, und teilgenommen an diesem geheimnisvollen Schweigen und Träumen. Aber wenn sie tiefer zu ihnen hinein wollte, ließen die Tannen ihre Schneelast fallen, im Wipfel einer Föhre erwachte ein Rabe und flog mit lautem Flügelschlage auf. Es kam Unordnung hinein, sie fühlte sofort, daß sie ein Eindringling sei. Sie war eine Waldschneide entlanggegangen, jetzt kam sie an einen Bestand alter Föhren, auf hohen ganz geraden Stämmen hoben die Bäume ihre beschneiten Schöpfe zu den Sternen auf. Hier konnte Fastrade ungehindert zwischen ihnen hingehen, hier war es so feierlich, so heilig, daß ein kleiner Eindringling wie sie nicht stören konnte. Sie lehnte sich an einen der kalten Stämme und schaute empor, in einem der hohen regungslosen Föhrenschöpfe schien die Mondsichel zu hängen. Wie oft hatte Fastrade sie dort hängen gesehen, wie gut kannte sie diese Bäume, in allen Jahreszeiten und Tageszeiten war sie bei ihnen gewesen, im Frühling, wenn der Wind in die alten Schöpfe fuhr, daß sie tief und metallig rauschten, als ob sie plötzlich miteinander stritten, oder an heißen Mittagsstunden, wenn es hier so stark nach den besonnten Nadeln duftete und über den Wipfeln der Falke revierte, ein bewegliches Stück Silber im grellblauen Himmel. Fastrade drückte ihre Wange gegen den Stamm, jetzt erst fühlte sie ganz deutlich, СКАЧАТЬ