Sein Traum von Harmonie. Jürgen Heiducoff
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Название: Sein Traum von Harmonie

Автор: Jürgen Heiducoff

Издательство: Bookwire

Жанр: Социология

Серия:

isbn: 9783748560838

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СКАЧАТЬ der Gewerkschaft und seit 1904 der Sozialdemokratischen Partei anzugehören. Nach einem zeitweiligen Wechsel in die USPD kehrte er zurück zur SPD. Diesmal seit der Vereinigung von SPD und KPD zur SED ist eine Rückkehr ausgeschlossen. Paul mochte die Kommunisten nicht. Einige von ihnen seien in SA - und SS - Uniformen aufgetaucht und nach dem Krieg wieder in der KPD angekommen. Paul weiß, dass es gelogen ist, wenn sie behaupten, sie hätten dies im Auftrag der Partei getan.

      Auf kommunaler Ebene werden viele der vormaligen Widerstandskämpfer in führenden Positionen eingesetzt. Leider mangelt es ihnen zu oft an der erforderlichen Qualifikation. Das gilt für Betriebsleiter ebenso wie für Polizisten oder Lehrer. Lehrer werden wegen der früheren NSDAP - Mitgliedschaft aus dem Schuldienst entfernt und durch Neulehrer ersetzt. Die Qualität des Unterrichtes leidet stark darunter.

      Doch eines muss man anerkennen: ihre Überzeugungen, ihr Antifaschismus und ihre Friedensliebe waren echt. Aber leider reicht das nicht immer.

      Tiefen Eindruck haben die Vorbereitungen der Maifeiern auf den Jungen hinterlassen. Da werden oben neben dem Speicherfenster die Flaggen gehisst: die rote Arbeiterfahne und die der DDR. Haus und Hof werden mit Birkenzweigen und Fähnchen geschmückt. Am Vorabend der Maifeier findet traditionell ein Fackelumzug statt, der am großen Lagerfeuer auf dem Sportplatz endet. Am 1. Mai selbst findet in fast jedem Dorf eine Maidemonstration statt. Später, in den 1970er Jahren werden die Demos auf der Basis der Betriebe durchgeführt. Alles erfolgt dann konzentrierter. Jura nimmt gern daran teil. Ihm stehen seine Pionierkleidung mit der roten Nelke und die weißen Kniestrümpfe. Ihn begeistern die Fanfarenzüge und Trommlergruppen aus den umliegenden Betrieben.

      Seit Fritz weg ist, muss Mutter Marie von früh bis abends hart arbeiten um den Lebensunterhalt zu bestreiten. In den Ferien fährt Jura mittags mit dem Fahrrad hinüber zur Fabrik, um mit Mutter in der Kantine zu essen. Anschließend darf er sich in den Werkhallen des Reparaturwerkes umsehen.

      Die Arbeit ist hart und der Lohn von Mutter reicht nur für ein bescheidenes Leben. So gibt es statt Limo oder Cola eben nur kalten Muckefuck zu trinken. Und oft muss sich Jura mit Griebenschmalz auf dem Brot zufrieden geben. Gemüse und Obst gibt es genügend aus dem eigenen Garten. Kartoffeln werden in ausreichender Menge eingekellert. Frische Eier legen die Hühner. In der Vorweihnachtszeit wird der Stollenteig selbst hergestellt und zeitig morgens zum Bäcker gebracht. Der Stollen reichte manche Jahre bis Ostern.

      Die Versorgung mit Süßigkeiten und Schokolade übernimmt Mutters Schwester Anna, indem sie regelmäßig Westpakete schickt.

      In Haus, Hof und Garten mutiert Jura zu einer Art Pascha. Paul lässt dem Jungen freien Lauf. Seit Vater Fritz weg ist, darf Jura auch Freunde empfangen. Unter den Jungen ist es üblich, Krieg zu spielen und alle haben geschnitzte Waffen. Jura hasst diese Kriegsspiele. Sicher das Resultat des pazifistischen Einflusses von Opa Paul. Opa hat beide Weltkriege erleben müssen und versucht die Kinder immer wieder von der Sinnlosigkeit der Kriege zu überzeugen.

      Opa Paul hat immer Zeit für den Jungen. Er schnurrt ständig irgend welche Melodien vor sich hin. Spontan flucht er aber auch schon Mal unangekündigt.

      Bei alledem: die Bilder der Gasse, des Schachtgrabens, der hohen Pappeln und der Schnauder, einem Bach, den Jura mit seinen Freunden umzuleiten versuchte, werden für immer in Juras Erinnerung haften bleiben. Da sind aber auch die alte und neue Kolonie, die Mühle, das Rittergut und die alte Dorfkirche, die Jura bleibend beeindrucken. Wenn im Schlosspark Jahrmarkt ist, beeindrucken die Schaukeln und das Riesenrad den Jungen. Es sind diese alten Bilder, die Juras Erinnerung noch heute prägen.

      Das Dorf ist von seiner ihr eigenen Harmonie geprägt. Da ist eine gewachsene Infrastruktur. Es gibt ein Konsumgeschäft, eine HO (Handelsorganisation), einen Bäcker, ein Fisch- und Gemüsegeschäft, zwei Fleischerläden, einen weiteren Tante – Emma – Laden und diverse Handwerker wie Tischler, Stellmacher und Sattler. Nebenher betreibt dieser oder jene ein Fuhrgeschäft und die Rolle für das Glätten der Bettwäsche.

      Die Bauern sind in einer LPG (Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft) zusammen geschlossen.

      Die meisten der kleinen Handwerker und Händler können später in den 1990er Jahren der Konkurrenz der Supermärkte und Dienstleistungsbetriebe in den nahen Städten nicht mehr widerstehen. Die über Jahrhunderte gewachsenen dörflichen Strukturen werden unwiderruflich zerstört.

      Für die Einhaltung von Recht, Gesetzen und Ordnung sorgen zwei Polizisten, sogenannte Abschnittsbevollmächtigte (ABV).

      Im Gemeindeamt herrscht der Bürgermeister. Da befindet sich auch die Dorfbibliothek.

      Jura radelt zu gern in die nahe gelegene Stadt Lucka, um dort für einen Groschen Eis zu essen. Lucka gehört bereits zu Thüringen. An heißen Sommertagen geht es mit dem Fahrrad zum Tagebausee. Jura hat trotz des fehlenden Vaters eine glückliche Kindheit. Das lehrt ihn, dass Glück und Zufriedenheit nicht unbedingt finanziellen Überfluss voraussetzt. Eigentlich hat er alles, was man von einer Kindheit erwarten kann. Und dennoch bleibt er ein Träumer.

      Der Traum vom Land der Harmonie

      Es ist nicht die von Staatswegen verordnete Vision von Frieden und Sozialismus, die Jura nachhaltig beeindruckt, sondern der Traum von einem nicht definierten Land der Gerechtigkeit und Harmonie. Zweifel an der Existenz eines solches Phantasielandes unterdrückt er. Er liest gern utopische Romane, in denen ferne, unerreichbare Phantasiewelten beschrieben sind.

      Oft steigt Jura auf das Dach des Hauses, sitzt am Schornstein und träumt. Er starrt auf den Horizont und will hinaus in die Welt. Vielleicht vermutet er in der Ferne das Land der Harmonie, das Land seiner Träume. Ist es ein Zufall, dass sich beim Blick vom Dach der Horizont im Osten am weitesten öffnet? Das fällt Jura erst viel später auf.

      Bisher ist er mit seinem Fahrrad nur die knapp 25 Kilometer bis Leipzig gekommen. Traurig ist Jura, wenn die Nachbarn ihre Autos auf der Gasse in Marschordnung aufreihen und Ausflüge unternehmen. Jura muss immer zurück bleiben.

      Stattdessen plant er an Wanderkarten Fahrradtouren durch das schöne Sachsenland. Burgen und Heimatmuseen sind zunächst bevorzugte Ziele. Die befahrenen Routen werden auf der Karte markiert. Allmählich füllt sich das Straßennetz mit den Markierungen. Es gilt nun über Sachsen hinaus zu planen. Thüringen bietet sehr lohnenswerte Ziele.

      Doch bald darf er mit Mutter an einer längeren Bahnreise teilnehmen. Es geht ins Ausland - in die Heimat, erklärt sie, ins Egertal nach Karlsbad, Komotau und Kaaden. Die Formalitäten und Grenzkontrollen waren aufwändig und belastend.

      Im Egerland leben die Mama von Juras Mutter und ihr großer Sohn, die wie durch ein Wunder von der Vertreibung der Sudetendeutschen verschont blieben.

      Juras kleines Weltbild wird erweitert und er begeistert sich für die wunderschöne Landschaft im Egerland. Er wandert gern durch die Berge. Interessant findet er die Spuren der deutschen Kultur an Gebäuden der Altstadt, in Kirchen, Kapellen und auf Friedhöfen. Für die Tschechen sind diese nicht von Bedeutung. Sie lassen sie verfallen, was Jura nicht versteht.

      Er darf an den Touren seines großen Bruders mit dem Betriebsauto des Volksgutes, in dem er arbeitet, teilnehmen. Es geht durch weite Teile Böhmens und Mährens. An den Wochenenden geht es in die Berge des Erzgebirges zum Schwarzbeeren sammeln. Unvergessen bleibt der Schwarzbeerkuchen der Großmutter. Wir verschlingen ihn blechweise.

      Jura hört gern die alten Geschichten der Oma. Sie sei Zeit ihres Lebens nur bis zur Kreisstadt gekommen, sonst nirgends hin. Sie weigert sich, Tschechisch zu lernen. Beim Einkaufen muss sie mit Zeichensprache zurecht kommen. Und sie traut keinem Slowaken. Die seien falsch.

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