Название: Rechts und Links
Автор: Йозеф Рот
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783750207370
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»Du brauchst es ja auch nicht zu tun –«, erwiderte Felix.
»Wer soll's denn machen? Willst du ein Vermögen dafür zahlen?«
»Ich kann überhaupt darauf verzichten.«
»Ja, und wenn's nicht da wäre, würdest du ein Gesicht machen!«
»Sieh lieber die Knöpfe an meinem Winterrock nach – heute ist mir einer heruntergefallen.«
»Gib ihn her!«, sagte darauf die Frau Bernheim erfreut. »Auf die Lisi ist ja doch kein Verlaß! Alles, alles muß man selbst machen!«
Und mit dem heiteren Seufzer, der die Arbeit schwerer erscheinen läßt, sie kostbarer macht und das Gewissen der Arbeiterin beruhigt, begann Frau Bernheim, den Knopf zu befestigen.
»Paul schreibt mir«, begann sie auf einmal, »daß du ihm zu wenig schickst!«
»Ich weiß, was ich tu'!«
»Ja, aber du kennst nicht Oxford!«
»Du kennst es nicht besser.«
»So?! Mein Vetter Fritz, war er nicht an der Sorbonne?«
»Das ist ganz was anderes, und überhaupt ist das gar nichts!«
»Aber Felix, ich bitte dich, sei nicht grob!« Und Felix überlegte, ob er vielleicht grob gewesen war. Er schwieg. Schließlich hatte Frau Bernheim alles vergessen.
»So, jetzt sitzt der Knopf ewig!«, sagte sie mit der Freude eines Kindes. Und man ging schlafen.
Von Theodor, dem jüngeren Sohn, war selten die Rede. Da er dem Vater ähnlicher war als der Mutter – wenigstens behauptete es Frau Bernheim bei jeder Gelegenheit –, schätzte man ihn im Hause nicht als »genial« wie seinen Bruder. Denn Frau Bernheim hielt ihren Mann für ein Glückskind. Sie traute ihm keine Kenntnisse zu und auch nicht die Fähigkeit, welche zu erwerben. Sie hatte die Geringschätzung für Geschäfte und Kaufleute, die manche Töchter gutbürgerlicher Familien in den neunziger Jahren zugleich mit ihrer Bildung mitbekamen, mit der Aussteuer, dem Klavierspiel und der Belletristik. Nach der Ansicht der Frau Bernheim rangierte etwa ein Staatsbeamter über einem Bankier, war ein Finanzmann unfähig, »Kultur« anzunehmen. Da ihr Vetter Rechtsanwalt gewesen war, blieb in ihren Augen ihre Ehe für ewige Zeiten eine Mesalliance. In jüngeren Jahren hatte sie noch hie und da daran gedacht, ihren Mann mit einem Akademiker oder einem Offizier zu betrügen, um durch einen Beischlaf mit einem gesellschaftlich Würdigeren eine Genugtuung für die Hingabe an einen gewöhnlichen Bankier zu erlangen. Wenn man hörte, wie Frau Bernheim, die natürlich ihre »Nerven« hatte, die Worte »Aber Felix!«, ausrief, wie sie, wenn der Wind ein Fenster oder eine Tür zuschlug, über »dieses laute Haus« jammerte, oder wenn ihr Mann zufällig einen Stuhl umwarf, ihm »Benimm dich vorsichtiger!«, sagte, so konnte man in diesen Wendungen die unermeßliche Kränkung erkennen, die das Schicksal der Frau Bernheim zugefügt hatte.
Und dennoch wußte sie oft ihrem Mann einen überraschend guten Rat zu geben, geschäftliche Gefahren vorauszusehen, böse Absichten gewisser Personen zu wittern, ein hellsichtiges Mißtrauen gegen Dienstleute, Rechnungen, Lieferanten zu hegen, Ordnung im Haus zu halten, Sommerreisen zu organisieren und in Schaffnern, Seeoffizieren und Hotelpersonal einen Respekt zu erzeugen. Sie besaß einen animalischen Haus- und Familieninstinkt, er war die Quelle ihrer Vorsicht, ihrer Klugheit und auch ihrer Güte, die allerdings ihre Grenze an dem dichten Drahtgitter des Gartens fand.
Außerhalb des Gitters begann ihre Härte, ihre Unerbittlichkeit, ihre Blindheit und ihre Taubheit. Sie unterschied zwischen Armen, die auf irgendeine Weise einen Zutritt in ihr Haus bekamen, und den Bettlern, die sich nur in den Straßen aufhielten. Und sie verstand ihre Wohltätigkeit dermaßen zu organisieren, daß ihr Herz nur an bestimmten Stunden bestimmter Tage zu funktionieren brauchte. Dermaßen und in regelmäßigen Abständen Gutes zu tun war ihr ein Bedürfnis. Erzählte man ihr aber zum Beispiel von einem Unglück, das eine fremde Familie betroffen hatte, so galt ihr Interesse den näheren Umständen, unter denen sich jenes Unglück zugetragen hatte, ob es zum Beispiel ein Mittwoch gewesen war oder ein Donnerstag, Nacht oder Tag, die Straße oder das Zimmer. Dennoch hätte sie trotz ihrer Neugier, die Details zu erfahren, sich um keinen Preis in die Nähe des Unheils begeben. Denn sie mied Unglück und Krankheit, Friedhöfe und Kondolenzpflichten. Sie vermutete überall Ansteckungsgefahren. Wenn ihr der Mann einmal sagte: »Der Lang oder der Stauffer oder die Frau Wagram ist krank«, so erwiderte sie regelmäßig: »Geh nur nicht hin, Felix!« Jeder Fanatismus macht grausam. Auch der des Wohlergehens ...
Sie sehnte sich nach ihrem Sohn Paul. Sie las seine strammen Briefe einigemal, wußte niemals, was sie enthielten, und bemühte sich, zwischen den Zeilen zu erkennen, ob »ihr Kind« gesund war oder ob er eine Krankheit verheimlichte. Denn sie hielt ihn für einen »edlen Buben«, den Leid stumm macht. Sie schrieb ihm zweimal in der Woche – keine Antworten, auch keine Mitteilungen, sondern nur Worte, Buchstaben, die Küsse und Berührungen ersetzten und eine körperliche Beziehung herstellten. Paul überflog diese Briefe und verbrannte sie. Er war mit seiner Mutter unzufrieden. Er hätte sich eine »echte Lady« als Mutter gewünscht. Zu einer solchen dichtete er sie um, wenn er in die Lage geriet, Fremden von ihr zu erzählen. Manchmal träumte er davon, sie noch einmal zu erziehen. Er stellte sich vor, daß er mit ihr auf einem englischen Landsitz wohnen würde. Sie sollte weißes Haar haben, Hardy lesen und die Ehrfurcht des Adels genießen. In seinen Erzählungen nahm sie die Formen, die Umrisse, den Charakter und die Bedeutung an, die sie sich selbst beizumessen liebte. Sprach er von seinem Vater, so karikierte er ihn leicht nach den Tendenzen seiner Mutter. Aber er sprach selten von seiner Heimat und von seinem Haus, weil er die Wahrheit nicht erzählen konnte und im Lügen unsicher war. Er sollte noch mindestens anderthalb Jahre in England bleiben. Aber eines Tages erhielt er ein Telegramm, das ihn nach Hause rief.
Der alte Herr Bernheim hatte sich vor einer Woche auf eine weite Reise begeben. Er wollte sich nach Ägypten einschiffen, der Gicht wegen. Aber er starb, als er in Marseille den Dampfer betrat. Er befand sich in Gesellschaft einer jungen Dame, die er für seine Tochter ausgegeben hatte und die vielleicht – wer kann es wissen – die mittelbare Ursache seines unerwarteten Todes war. Man fand, als man seine Leiche holen kam, kein Geld mehr bei ihm. Einige wollten wissen, daß jenes junge Mädchen die Akrobatin gewesen war. Aber die Menschen sind leicht geneigt, die einfachsten Ereignisse romanhaft auszulegen. Wahrscheinlicher ist, daß die Neigung des alternden Mannes für junge Mädchen im allgemeinen groß war und seine Treue zu einem bestimmten und übrigens nicht leicht zu eruierenden eine Erfindung. Immerhin war sein Tod an Bord eines Schiffes, an der Schwelle des Meeres und im Arm eines hoffentlich hübschen Kindes freier und würdiger als der größte Teil seines Lebens oder wenigstens des bekannt gewordenen Lebens. Denn es ist möglich, daß Herr Felix Bernheim niemals eine ganz eindeutige Existenz geführt hatte. Es ist möglich, СКАЧАТЬ