Die Reise nach Ameland. Thomas Hölscher
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Читать онлайн книгу Die Reise nach Ameland - Thomas Hölscher страница 7

Название: Die Reise nach Ameland

Автор: Thomas Hölscher

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783750220447

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СКАЧАТЬ was auf den Hintern gab, war für besonders hartnäckige Abende Lisa immer die letzte Instanz. Jetzt schick du doch mal die Kinder ins Bett! Und wenn Lisa sagte: Schluss, dann war aus einem ihm letztlich unerfindlichen Grund Schluss.

      Was würde Lisa den Kindern sagen? Wie würde sie ihnen erklären, dass er nicht mehr nach Hause kam? Wenn sie denn überhaupt fragten, dachte er, und dann packte ihn endgültig das heulende Elend. Er warf sich herum und presste sein Gesicht fest in das Kopfkissen.

      Irgendwann kommt dieser Punkt ohnehin, hatte Michel gesagt; und je länger du die Entscheidung hinauszögerst, desto schlimmer wird es.

      Es fiel ihm sofort auf, dass er nun anscheinend schon zu schwach war, sich über diese Bemerkung von Michel aufzuregen.

      Du weißt doch gar nicht, was es heißt, Kinder zu haben. Du kannst dir das doch gar nicht vorstellen.

      Was soll ich jetzt sagen? Ich weiß es auch nicht. Ich weiß nur, dass du die Kinder nicht als Vorwand benutzen kannst.

      Als Vorwand wofür?

      Um Dinge nicht zu tun, die du eigentlich tun musst.

      Ach, du hast doch gar keine Ahnung.

      Die Kinder mussten den Streit zwischen Lisa und ihm einfach mitbekommen haben. Vera auf jeden Fall. Aber um Vera machte er sich auch keine Gedanken; sie war seit eh und je eine enorm starke Persönlichkeit gewesen, die immer gewusst und auch getan hatte, was sie wollte. Lisas Tochter eben. Aber bei Kai und Sven war das anders. Die beiden hatten bereits auf der Grundschule große Probleme, und die Zwillinge würden das alles überhaupt nicht begreifen können. Wie soll ich denn 8jährigen Kindern erzählen, dass ihr Papa schwul ist! Kannst du mir das vielleicht mal erklären.

      Ein Patentrezept gibt es dafür bestimmt nicht. Du musst es einfach versuchen.

      Ach hör doch auf! Du hast gut reden.

      Im Nachhinein konnte man tatsächlich das Gefühl haben, als hätten sich die Gespräche zwischen Michel und ihm fast ausschließlich um die Kinder gedreht, ein Thema, bei dem er sich Michel gegenüber immer überlegen hatte fühlen können und das jedesmal in fruchtlosen und überflüssigen Streitereien geendet hatte. Ach, du hast doch überhaupt keine Ahnung.

      Na gut, wenn du meinst.

      Er hatte Hunger. Seit dem gestrigen Tag hatte er nichts mehr gegessen. Für einen Augenblick hatte er die Idee, nun noch das Hotel zu verlassen, irgendwo in der Stadt ein Restaurant oder auch nur eine Pommesbude zu suchen; aber er wusste sofort, dass er genau das nicht tun würde. Wenn Lisa nun da wäre, hätte sie schon längst die Initiative ergriffen. Ich sterbe vor Hunger, hätte sie gesagt; komm lass uns irgendwo noch etwas essen. Es war keine Bequemlichkeit, dass er nun nicht losging; es war schon immer so gewesen, dass Lisa sämtliche Dinge des täglichen Lebens regelte. Vor allem solche, die ihm selber aus irgendwelchen Gründen unangenehm waren.

      Warum soll ich das denn immer machen? Irgendwann hatte Lisa aufgehört, ihm diese Frage zu stellen.

      Ach nun mach schon, stell dich doch nicht so an!

      Selbst Michel war schon seine Ungeschicklichkeit und oft sogar Hilflosigkeit bei ganz alltäglichen Dingen aufgefallen. Waren ihm zum Beispiel die Zigaretten ausgegangen, dann hatte er Michel in den Tabakladen geschickt; waren sie in einem Restaurant gewesen, hatte immer Michel für sie beide die Bestellung aufgeben müssen. Mit der ihm fremden Sprache hatte das nie etwas zu tun gehabt. Langsam begreife ich, warum du geheiratet hast, hatte Michel ihn einmal ausgelacht. Du bist ja wirklich völlig unselbstständig.

      Langsam begreife ich, warum du geheiratet hast: In den Schwulenkneipen hatte er fast immer nur das Gegenteil gehört; und wie die Beurteilung außerhalb der schwulen Szene sein musste, konnte man sich an den Fingern einer Hand ausrechnen: Wie kann man denn als Schwuler überhaupt heiraten?

      Wieso hast du Lisa geheiratet? Du musst doch gewusst haben, dass du schwul bist: In seinem gesamten Leben konnte es mittlerweile keine Frage mehr geben, die er sich noch öfter gestellt und auch beantwortet hatte. Lisa hatte er geheiratet, weil er sie liebte und weil er Kinder haben wollte. Und natürlich hatte er damals alles mögliche gewusst; aber dass er schwul war, das hatte er absolut nicht gewusst.

      Mit Michel hatte er stundenlang über diese Fragen geredet, obschon Michel solche Fragen unsinnig fand. Es ist doch völlig gleichgültig, ob du immer schon schwul warst oder ob du es geworden bist. Wahrscheinlich bist du es immer schon gewesen und hast es vor dir selber nie zugeben können. Aber selbst das ist völlig gleichgültig. Jetzt bist du jedenfalls schwul, und warum das so ist, das brauchst du doch nicht zu erklären. Ein Hetero würde doch auch nie auf die Idee kommen, zu erklären, weshalb er hetero ist.

      Diese Argumentation hatte ihn nie überzeugt. Ein Schwuler hat nicht unbedingt eine Frau und drei Kinder.

      Du musst lernen, deine Frau und deine Kinder nicht zu gebrauchen, um doch noch als hetero durchzugehen. Und was spricht eigentlich für dich dagegen, dass ein Schwuler Kinder hat?

      Die Tatsache, dass er keine Frau hat.

      Er hat keine Frau! Michel hatte ihn ausgelacht. Er hat keine Frau, so wie jemand auch keinen Mercedes, keinen Computer und kein eigenes Haus hat. Du redest immer nur von deiner Frau und von deinen Kindern, als seien die eine Art beweglicher Besitz. Mir wird wirklich schlecht davon.

      Man sagt das eben so.

      Nein, du sagst das nicht nur so, du meinst das auch so. Und das ist das Schlimme.

      Trotz Michels Skepsis hatte er ihn irgendwann dazu gebracht, gemeinsam mit ihm die eigene Vergangenheit zu durchforsten. Aber letztlich war bei ihren schier endlosen Gesprächen nur das herausgekommen, was er auch schon vorher gewusst hatte: die Begegnung mit Klaus Ferner, einem Nachbarjungen, etwas, das vor fast 30 Jahren geschehen und ihm selber im nachhinein der Mühe eigentlich nicht wert war. Ein pubertärer Ausrutscher: Mit dieser Begrifflichkeit hatte sich diese Episode irgendwann in seinem Bewusstsein festgesetzt und war nach kurzer Zeit ziemlich problemlos ad acta gelegt und vergessen worden. Nicht einmal an den Namen hatte er sich zunächst noch erinnern können. An den Vornamen schon, Klaus, aber der Nachname hatte ihm tagelang, wie man so sagt, auf der Zunge gelegen, ohne dass er sich daran hätte erinnern können. Und als der Name schließlich wieder aus seinem Gedächtnis aufgetaucht war, verwies auch dieser Name auf nichts, das für ihn neu gewesen wäre, war nicht mehr als ein Synonym für pubertärer Ausrutscher gewesen.

      Vielleicht hatte er sich durch die Gespräche mit Michel von Beginn an auch nur mit Argumenten versorgen wollen für die Auseinandersetzung mit Lisa. Denn natürlich musste auch Lisa ihm letztlich vorwerfen, all das doch immer schon gewusst, sie auf die übelste Art und Weise durch ihre Ehe hintergangen zu haben. Und die Auseinandersetzung mit Lisa hatte so sicher kommen müssen wie das Amen in der Kirche. In den letzten Wochen hatte er sich immer häufiger gewünscht, dass Lisa ihn schon längst durchschaut hatte und von sich aus die Initiative ergreifen würde.

      Das geht nicht, hatte Michel ihn mehrfach gewarnt; das ist ein Schritt, den du nur selber machen kannst.

      Heute morgen war es dann so weit gewesen. Den Abend zuvor hatte er sich wieder einmal bis fast zur Hilflosigkeit betrunken, und die Tatsache, dass Lisa bereits um halb elf ins Bett gegangen war, hatte ihn maßlos wütend gemacht.

      Um vier Uhr war Lisa dann zurückgekehrt. Sag mal, was ist eigentlich in der letzten Zeit mit dir los? Ich kann diese verdammte Sauferei einfach nicht mehr ertragen! Zunächst hatte sie es auf die sanfte Tour versucht. Was ist denn los? Sie hatte hinter ihm gestanden und ihre Hände behutsam auf seine Schultern СКАЧАТЬ