Der Pferdestricker. Thomas Hölscher
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Читать онлайн книгу Der Pferdestricker - Thomas Hölscher страница 34

Название: Der Pferdestricker

Автор: Thomas Hölscher

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783750219397

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СКАЧАТЬ immer ein rotes Tuch für ihn gewesen, ganz einfach eine ordinäre Schlampe, und irgendwann hatte er ihr sogar mal mit einer Anzeige gedroht. Sie duldete immer, dass die Kerle bei ihr Bier kauften und es an der Bude auch noch soffen, obschon das verboten war. Seit ein paar Wochen duzten sie sich. Er hatte abends selber des öfteren bei Lilo an der Bude gestanden und ihr bei ein paar Püllekes sein Herz ausgeschüttet.

      „War viel los heute Nacht?"

      „So wie immer."

      „Brauchse sons noch wat?"

      „Ne, lass mal."

      „Du denkst doch dran, dat ich heute um acht zumach? Vielleicht brauchse noch ein paar Püllekes?"

      „Haste denn zufällig noch ein paar im Kühlschrank?"

      „Na klar!" Die Frau lachte. „Ganz zufällig. Für dich sowieso."

      „Ich halte es einfach nicht mehr aus, dass du soviel säufst", hatte Elke ihm vor ein paar Wochen gesagt. „Das wird jeden Tag mehr. Du merkst das schon gar nicht mehr."

      „Halt doch deine blöde Schnauze! Kann man jetzt noch nicht mal mehr in Ruhe sein Bier trinken?"

      „Und wenn du den Jungen noch einmal anrührst, bringe ich dich um!"

      „Wieviel willse denn nu?"

      Einen Augenblick sah Gerber die Frau in der Bude irritiert an. „Mach mir mal acht Pullen fertig! Heute ist schließlich frei, und morgen auch."

      „Und hasse schon wat von deiner Verflossenen gehört und von deinem Sohn?"

      „Ne, gar nix. Wieviel bin ich dir schuldig?"

      Er bestellte noch eine Schachtel Zigaretten und sah, wie die Frau irgendetwas auf einen schmuddeligen Block schrieb. „Dat macht dann acht Euro. Plus die Zeitung. Also achtfuffzig." Sie reichte ihm die Flaschen in einer Tragetasche über die Theke.

      „Billig bist du nicht gerade."

      „Dann musse mir mal deine leeren Pullen wieder zurückgeben! Frisst du die Dinger eigentlich auf?"

      „Ne, tu ich nicht. Mach's gut."

      „Sieh mal zu, Schorsch. Ich wünsch dir wat."

      Es war kurz vor halb acht. Der Berufsverkehr war um diese Zeit in vollem Gange. Auf der nahen Kurt-Schumacher-Straße stauten sich die Autos bereits wieder in beide Richtungen, und für einen Augenblick kam es ihm so vor, als dürfe er nun auf gar keinen Fall in seine Wohnung gehen. Er überquerte die Grillostraße und ging die paarhundert Meter bis zur Haustür bewusst langsam. Die Sonne schien, es würde heute ein herrlicher Tag werden, auf der gegenüberliegenden Straßenseite nahm er eine Gruppe von Schülern wahr. Guck dir das doch an!, dachte er. Von sieben Kindern schon vier Kanaken! Es wird immer besser! Und wer macht den meisten Lärm? Schon wieder die Kanaken! Als der Schlüssel in der Haustür sperrte, glaubte er, seine Wut nicht mehr beherrschen zu können. Nur das unerwartete Auftauchen einer Nachbarin hielt ihn davon ab, den Schlüssel im Schloss abzubrechen. „Morgen, Herr Gerber. Ist die Nachtschicht mal wieder überstanden?"

      „Ja ja, gottseidank", murmelte er und hatte es plötzlich eilig, in seine Wohnung zu kommen.

      „Ziehen Sie eigentlich aus?", rief ihm die Frau hinterher.

      „Wie kommen Sie denn darauf?"

      Seit über 15 Jahren wohnten sie nun hier. Früher hatten sie vorgehabt, ein Haus zu bauen, aber daraus war nie etwas geworden. Vor allem weil er nicht gewollt hatte, dass Elke weiterhin arbeitete.

      „Du brauchst nicht arbeiten zu gehen. Ich verdiene genug."

      „Darum geht es doch nicht. Ich möchte arbeiten."

      „Meine Frau hat das nicht nötig. Du hast dich um den Jungen zu kümmern."

      Vor ein paar Tagen war er 45 geworden. Für ihn hatte es nie einen anderen Berufswunsch gegeben als die Polizei. Nach der Mittleren Reife hatte er ein Jahr lang den Grundlehrgang mitgemacht, und diese Zeit hatte ihm nicht gefallen. Das theoretische Geschwätz über Gott und die Welt ging ihm prinzipiell auf die Nerven, und um ein Haar hätte er damals die Ausbildung abgebrochen. Aber die anschließende fachpraktische Zeit auf dem Revier im Essener Norden hatte seinen Vorstellungen dann schon genau entsprochen und ihn auch den abschließenden Anstellungslehrgang überstehen lassen.

      Heute war die Ausbildung bei der Polizei doch nur noch ein Witz. Die saßen bloß noch in der Schule, und was sie da lernten, konnten sie für die Praxis gleich vergessen. Sesselfurzer waren die, die sich die Hände nicht mehr dreckig machen wollten. Dafür wollten sie aber immer weiter zur Schule gehen, um höher zu kommen. Mittlerweile konnte man in NRW überhaupt nur noch erst mit 18 Jahren zur Polizei gehen und musste dann ein Fachhochschulstudium absolvieren, um anschließend als Kommissar den langgedienten Kollegen vor die Nase gesetzt zu werden.

      Westermann war auch so ein Typ. Eigentlich ganz nett, aber auch schon verdorben. Auch der hatte noch auf der alten Polizeischule als einer der letzten Jahrgänge seine Ausbildung gemacht, aber im Herbst wollte er auf der Fachhochschule in Dortmund studieren. Für den normalen Polizeidienst war er sich zu fein, der Herr, und musste natürlich auch weitermachen!

      Früher waren sie noch eine echte Gemeinschaft gewesen, und kein Hahn hatte nach Schulbildung und solchem Firlefanz gefragt. Heute hatten die Rotärsche fast alle Abitur, und nur deshalb kamen sie weiter. Kollegen, die jahrelang ihre Haut zu Markte getragen hatten, wurden nicht mehr befördert und mussten sich plötzlich von den jungen Stenzen auch noch herumkommandieren lassen. Da stimmte doch was nicht! Und wenn sie es fertigbringen sollten, ihm nach Westermann ein Weibsbild auf seinen Streifenwagen zu setzen, dann war für ihn endgültig Schluss bei der Polizei.

      Auch er hatte natürlich keine Chancen mehr, weiter nach oben zu kommen. Nach dem Tamtam der letzten Wochen ohnehin nicht mehr. Polizeihauptmeister war er geworden, und das würde er bis zu seiner Pensionierung auch bleiben. Das war der Dank dafür, dachte er wütend, dass er sich oft genug im Dienst den Arsch aufgerissen hatte. Aber so etwas zählte heutzutage ja ohnehin nicht mehr.

      Als er die Wohnungstür aufgeschlossen und voller Wut zur Seite gestoßen hatte, traf ihn augenblicklich der Schlag. Die Wohnung sah aus wie ein Schlachtfeld. Ein Großteil der Möbel war verschwunden. Er lief durch alle Zimmer, und von Sekunden zu Sekunde steigerte sich seine Wut. Das Wohnzimmer war nur noch ein Torso, das Kinderzimmer völlig leer, die Küche sah aus wie ein ausgeschlachtetes Schwein. Nur sein eigenes Zimmer war nicht angerührt worden, und auch im Schlafzimmer schien auf den ersten Blick nichts zu fehlen.

      Er hatte es doch befürchtet! Warum hatte er nicht das Schloss auswechseln lassen? Elke hatte es tatsächlich fertiggebracht, während seines Nachtdienstes die Bude leer zu räumen! Aber das war nicht das Schlimmste. Was ihn am meisten aufbrachte war, dass sie es nicht alleine getan haben konnte. Wenn sie einen neuen Macker haben sollte, würde er den Kerl kaltlächelnd umlegen.

      Seit Elke weg war, hatte sie nur noch aus unverschämten Schreiben eines Rechtsanwalts aus Essen bestanden. Zuerst hatte er geglaubt, sie sei zu ihren Eltern nach Herne gezogen, hatte deren Wohnung stundenlang beobachtet und schließlich eingesehen, dass sie dort nicht war. Wo sie war, das wusste er nicht, und bis gerade hatte er sich noch einreden können, dass ihn das auch nicht im geringsten interessiere. Er stellte die Tragetasche mit den Bierflaschen in die Küche. Erst als ihm klar wurde, dass er sich hier kein Frühstück mehr machen, sich nicht mal mehr irgendwohin setzen konnte, nahm СКАЧАТЬ