Название: Taifun
Автор: Joseph Conrad
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783750246119
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Herr Rout schrieb auch Briefe; aber niemand an Bord ahnte, wie geschwätzig er mit der Feder in der Hand sein konnte, weil der Oberingenieur Einbildungskraft genug besaß, um sein Pult verschlossen zu halten. Seine Frau war entzückt von seiner Schreibweise.
Die beiden hatten keine Kinder, und Frau Rout, eine stattliche, muntere Vierzigerin, bewohnte mit Herrn Routs ehrwürdiger, alter Mutter ein kleines Haus in der Nähe von Teddington. Mit lebhaften Augen überflog sie ihre Briefe, während sie der alten Dame am Frühstückstisch gegenüber saß, und mit fröhlicher Stimme schrie sie der Halbtauben die besonders interessanten Stellen daraus zu, ihre Aufmerksamkeit jedesmal durch ein vorausgeschicktes schallendes: »Salomon sagt« wachrufend. Sie machte sich gerne den Spaß, Salomons Aussprüche auch Fremden gegenüber anzuführen, die sich dann höchlich über das unbekannte Schriftwort verwunderten und über die komische Lösung des Rätsels sehr belustigt waren. Als der neue Hilfsgeistliche zum ersten Male in ihrem Hause vorsprach, nahm sie Gelegenheit, zu bemerken: »Wie Salomon sagt: ›Die Ingenieure, die auf Schiffen fahren, lernen die Wunder der Seemannsnatur kennen.‹« Eine plötzliche Veränderung auf dem Gesichte ihres Besuches ließ sie verwundert innehalten.
»Salomon? – Oh! – Frau Rout – –« stotterte der junge Mann, ganz rot im Gesicht, »ich muß sagen – – ich weiß nicht – –«
»Es ist ja mein Mann,« brach sie lachend aus, warf sich dann in ihren Stuhl zurück und fuhr, das Taschentuch an die Augen gedrückt, fort, unbändig zu lachen, während der Geistliche mit einem gezwungenen Lächeln dasaß. Er hatte in Bezug auf joviale Frauen keine Erfahrung und war deshalb fest überzeugt, daß er es mit einer vollständig Irrsinnigen zu tun habe. Sie wurden indes später die besten Freunde. Er lernte verstehen, daß ihr jede unehrerbietige Absicht fern gelegen hatte, und fand in ihr eine durchaus achtungswerte Persönlichkeit; ja er vermochte nach und nach andre Bruchstücke Salomonischer Weisheit hinzunehmen, ohne mit der Wimper zu zucken.
»Mir für meinen Teil,« hatte Salomon nach der Erzählung seiner Frau einmal gesagt, »ist der stumpfsinnigste Esel als Kapitän lieber als ein Spitzbube. Einen Narren weiß man zu nehmen; ein Spitzbube aber ist hinterlistig und aalglatt.« Es war dies die geniale Verallgemeinerung eines besonderen Falles. Kapitän Mac Whirrs Ehrenhaftigkeit hatte die derbe Sinnenfälligkeit eines Erdklumpens.
Steuermann Jukes dagegen, nicht imstande zu verallgemeinern, auch nicht verheiratet und nicht verlobt, hatte sich gewöhnt, sein Herz in andrer Weise einem alten Kameraden und ehemaligen Schiffsgenossen auszuschütten, der gegenwärtig als zweiter Offizier an Bord eines atlantischen Paketschiffes diente.
Im Eingange seines Schreibens pries er gewöhnlich die Vorzüge der östlichen Schiffahrt, die er dem Dienste auf dem westlichen Ozean entschieden vorzog. Er rühmte den Himmel, die Gewässer, die Schiffe und das angenehme Leben des fernen Ostens. Von der Nan-Shan behauptete er, sie stehe an Seetüchtigkeit keinem Schiffe nach.
»Wir haben keine goldbortierten Uniformen; dafür sind wir aber hier untereinander wie Brüder,« schrieb er: »Wir essen alle zusammen und leben wie Kampfhähne. Unsere schwarzen Kerle sind durchweg so anständig, wie man sie gewöhnlich macht, und der alte Sal, ihr Chef, ist ein trockener Kunde. Wir sind sehr gute Freunde. Was unsern Alten betrifft, so kann man sich gar keinen nachsichtigeren Kapitän denken. Manchmal scheint es, als sei er zu dumm, um einen Fehler, den man macht, zu entdecken. Aber das ist es nicht, kann's nicht sein. Er ist jetzt schon viele Jahre Kapitän und macht nichts eigentlich Dummes, sondern führt sein Schiff, wie es sich gehört, ohne seine Leute zu plagen. Ich glaube, er ist nicht gescheit genug, um Geschmack daran zu finden, eine Szene zu machen. Ich mache mir dies jedoch nicht zu nutz – nie – das wäre gemein. Von beruflichen Dingen abgesehen, scheint er nicht die Hälfte von dem zu verstehen, was man ihm sagt. Wir haben dadurch manchen Spaß; aber auf die Dauer ist's doch auch langweilig, mit einem solchen Menschen zusammen zu sein. Der alte Sal sagt, er könne nicht viel Konversation machen. Konversation! O Himmel! Er spricht ja überhaupt nicht. Neulich unterhielt ich mich eine kleine Weile unter der Brücke mit einem der Ingenieure, und er scheint uns gehört zu haben. Wie ich hinauf komme, um meine Wache anzutreten, tritt er aus dem Kartenhause, sieht sich sorgfältig ringsum, lugt nach den Seitenfenstern hinüber, wirft einen Blick auf den Kompaß und blinzelt nach den Sternen hinauf. So macht er's regelmäßig. Endlich sagt er: ›Haben Sie eben unter der Brücke geplaudert?‹ – ›Ja, Herr Kapitän.‹ – ›Mit dem dritten Ingenieur?‹ – ›Ja, Herr Kapitän.‹ Er geht nach Steuerbord, setzt sich auf seinen kleinen Feldstuhl und gibt eine halbe Stunde lang keinen Laut von sich, außer daß er einmal niest. Endlich höre ich ihn aufstehen und auf mich zukommen. ›Ich kann mir nicht denken, was Sie zu reden haben können,‹ fängt er an. ›Zwei geschlagene Stunden! Ich mache Ihnen keinen Vorwurf; ich sehe ja, wie's die Leute am Lande den ganzen Tag lang tun; und am Abend setzen sie sich hin und reden beim Trinken weiter. Sie müssen wohl immer und immerzu dasselbe sagen. Ich begreif's einfach nicht.‹
»Hast Du schon so etwas gehört? Und dabei war er so sanft; er tat mir ganz leid. Aber manchmal kann man sich auch über ihn ärgern. Natürlich möchte man nichts tun, um ihn zu betrüben, selbst wenn es sich der Mühe lohnte. Aber es lohnt sich nicht. Er ist von einer solch köstlichen Harmlosigkeit, daß, wenn man ihm eine lange Nase machte, es ihn höchstens wundernehmen würde, was einen doch angekommen sei. Einmal erklärte er mir geradezu, es falle ihm schwer, zu begreifen, warum die Leute sich immer so sonderbar benähmen. Er ist zu dickfellig, als daß man sich mit ihm abgeben möchte; das ist die Wahrheit.«
So schrieb Steuermann Jukes aus der Fülle seines Herzens und dem Reichtum seiner Phantasie an seinen Kameraden auf dem Atlantischen Ozean.
Er hatte seine aufrichtige Meinung ausgesprochen. Es lohnte sich wirklich nicht, daß man auf einen solchen Mann Eindruck zu machen suchte. Wäre die Welt voll von solchen Menschen gewesen, so hätte Jukes das Leben wahrscheinlich für eine langweilige, fade Einrichtung gehalten. Er stand übrigens nicht allein mit seiner Ansicht. Das Meer selbst, als teilte es Jukes' gutmütige Schonung, hatte sich nie aufgemacht, den stillen Mann zu erschrecken, der selten aufblickte und harmlos über die Wasser dahinfuhr mit dem einzigen erkennbaren Zweck, drei Leuten am Lande Nahrung, Kleidung und Wohnung zu verschaffen. Schlechtes Wetter hatte er ja natürlich schon kennen gelernt. Er war durchnäßt worden, hatte sich unbehaglich und müde gefühlt und hatte es alsbald wieder vergessen, so daß er im ganzen recht hatte, wenn er regelmäßig von gutem Wetter nach Hause berichtete. Nie aber war in ihm die Ahnung geweckt worden von einer unendlichen Gewalt, einem maßlosen Grimme – einer Wut, die sich nie besänftigt, sondern nur erschöpft –, die Ahnung von dem Zürnen und Toben des leidenschaftlichen Meeres. Er wußte, daß es so etwas gab, wie wir von dem Vorkommen von Verbrechen und Greueln wissen; er hatte davon gehört, wie der friedliche Bürger einer Stadt von Schlachten, Hungersnöten und Überschwemmungen hört, ohne doch zu wissen, was diese Dinge bedeuten – mag er immerhin einmal in einen Straßenauflauf verwickelt gewesen oder eines Tages um sein Mittagessen gekommen oder von einem Platzregen bis auf die Haut durchnäßt worden sein. Kapitän Mac Whirr war auf der Oberfläche der Meere dahingefahren, wie manche Menschen über die Jahre ihres Lebens dahingleiten, um endlich sanft in ein stilles Grab zu sinken, ohne bis zuletzt das Leben kennen gelernt, ohne sich se seinen ernsten Wirklichkeiten gegenübergesehen zu haben. Es gibt zu Wasser und zu Lande solche glückliche – oder sollen wir sagen, vom Geschick oder der See zurückgesetzte Menschen.
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