Название: Unmögliche Aufträge: Zwei Thriller
Автор: Alfred Bekker
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Extra Spannung
isbn: 9783742794581
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Er erzählte auch ihr von der Reise nach Namur, und sie meinte, dann könnte er doch bei ihr übernachten. Er lachte.
»Das geht nicht, Mutter. Ich treffe heute Abend noch ein paar Kollegen.« Er streichelte ihre Hand, »ich wollte dir nur mal guten Tag sagen, wo ich schon in der Nähe war. Zu mehr reicht es einfach nicht.«
»Ach, ich freue mich ja auch so.«
Er erzählte von Udo und Gerd, weniger von Heike. Sie war mit zum Flughafen gefahren, weil er nicht wusste, wann er zurückkommen würde, und den Wagen nicht so lange stehen lassen wollte. Es war eine schweigsame Fahrt gewesen, nachdem sie Gerd an seiner Schule abgesetzt hatten. Als er gestern Abend zu ihr ins Bett kommen wollte, hatte sie sich geziert, und als sie dann wollte, war er stur geblieben. So war es oft in der letzten Zeit. Scheiße, dachte er. Na ja...
»Weißt du«, sagte er dann zu seiner Mutter, »als ich jetzt zu dir fuhr, musste ich an Minden denken. Komisch, ich habe lange nicht mehr an Minden gedacht.«
Seine Mutter wurde lebhaft. »Ach, das habe ich dir ja gar nicht erzählt! Im Juli habe ich die Jungs in Köln getroffen!«
Hans Jung, und seine Frau – wie hieß sie doch noch? Mathilde? Seine Eltern waren mit ihnen befreundet gewesen. Hans Jung war nach dem Krieg bis zu seiner Pensionierung Verwaltungsdirektor der Stadtwerke gewesen. Schaake erinnerte sich an einen stockkonservativen Mann mit pastoralem Gehabe.
»Sie waren in Köln«, fuhr seine Mutter fort. »Die Jungs sind ja so katholisch, weißt du noch? Da wollten sie doch im Jahr des Dom-Jubiläums unbedingt nach Köln. Na ja, sie haben in einem Hotel übernachtet, und ich bin nach Köln gefahren und habe sie getroffen.«
Schaake lächelte und hörte zu. Seine Mutter wechselte jedoch bald das Thema.
»Von deinen alten Freunden und Klassenkameraden hörst du auch nichts mehr, nein? Auch nicht von Wolfgang?«
Wolfgang... Er konnte sich kaum noch an den Nachnamen erinnern. Fiebig, richtig
»Wolfgang lebt in Berlin, glaube ich. Er hat dort studiert und ist dort geblieben.«
»Rainer hat es von euch allen am weitesten gebracht, glaube ich.«
Schaake lächelte milde. Rainer hatte Jura studiert. Auch von ihm hatte er lange nichts mehr gehört.
»Er ist Bürgermeister in Petersdorf, wusstest du das?«
Schaake schüttelte den Kopf. »Nein, das wusste ich nicht.«
»Wer hätte das gedacht! Sein Vater war doch Straßenbahnfahrer.«
»Er war Fahrdienstleiter«, sagte Schaake mechanisch.
»Na, und der Jochen, der ist ja in die Zone gegangen. Komisch eigentlich. Ich hab das nie verstanden. Geschrieben hat er auch nie mehr. Ich weiß nicht, ich hätte etwas mehr Dankbarkeit erwartet. – Wie lange hat er bei uns gewohnt? Ein halbes Jahr?«
»Mutter! Sechs oder sieben Wochen!«
»Na ja, immerhin. Er hatte ja sonst niemanden.«
»Schade, dass all die alten Fotos weggekommen sind«, sagte er.
»Ach Volker, fang doch nicht wieder damit an! Ich weiß ja auch nicht, wie das passieren konnte. Dein ganzer Fotokoffer... Na, immerhin hab ich ja noch den Karton mit den alten Bildern, die Vater aufgehoben hatte.«
Schaake bemühte sich, nichts von seiner Erregung zu zeigen. Er hatte ja gehofft, dass seine Mutter irgendwo die Bilder verwahrte, an denen ihr etwas lag, und dass einige von ihm und seinen Freunden dabei wären. Er hatte damals ihren Hund, das Haus, seinen Vater, seine Mutter, fotografiert.
»Zeig doch mal«, sagte er.
Sie stand auf, schaltete das Licht über dem Bücherschrank, der für das kleine Zimmer viel zu wuchtig war, an und zog eine der unteren Schubladen heraus. Sie ächzte, als sie den überquellenden Karton unter anderen Papieren hervorzog. Glücklich lächelnd stellte sie ihn auf den Tisch, und sie begann, die gebündelten Fotos herauszunehmen.
Da war das große Bild von seinem Vater vor dem neuen Mercedes 180. Das hatte er 1958 gemacht, als er in den Semesterferien zu Hause gewesen war.
»Hier, weißt du noch, als Vater mir den Pelzmantel gekauft hatte?« Sie legte das Foto vor ihn hin.
Er hörte nicht auf das freudig-erregte Geplapper seiner Mutter, während er Packen um Packen hervorzog und rasch durchblätterte. Da waren Bilder von seiner Hochzeit, dann von den Kindern. Dann waren da wieder ältere aus der Kriegszeit, seine Mutter sehr jung, sehr schlank und sehr schön, und Bilder stiegen in seiner Erinnerung auf; Bilder, wie er, an der Hand seiner Mutter, durch die Straßen ging und Soldaten hinter ihr her pfiffen. Das musste schon nach dem Krieg gewesen sein, überlegte er. Er konnte sich an englische Soldaten erinnern. Bei Kriegsende war er sieben Jahre alt gewesen. Irgendwann in der Zeit hatte die Freundschaft mit Jochen begonnen.
»Hier, das ist das Bild von deiner Abiturfeier!«, sagte seine Mutter.
Sein Herz begann heftiger zu schlagen, als er ihr sanft den Packen Fotos entwand und das Band, mit dem er zusammengehalten wurde, löste. Obenauf lag das Foto, das damals von ihnen allen gemacht worden war. Sie waren 27 gewesen. 26 Gesichter sahen in die Kamera. Jochen war da schon abgereist.
Er sah in die blass wirkenden, seltsam konturlosen Gesichter, und er hatte Mühe, sein eigenes zu erkennen. Er stand ziemlich in der Mitte hinten, weil er zu den Größten gehörte. Er legte das Bild zur Seite.
Die nächsten Bilder stammten aus seiner Dunkelkammer. Er erkannte seine Handschrift sofort wieder. Bei Personenaufnahmen war er immer sehr nah herangegangen, und meistens hatte er beim Vergrößern noch einmal einen Ausschnitt gemacht.
Dann hielt er ein Bild in der Hand, auf dem Rainer und Jutta zusammen waren. Er lächelte.
»Hast du noch mal was von Jutta gehört?«, fragte er.
Sie hatten alle geglaubt, dass Jutta und Rainer heiraten würden, nachdem Jochen zu seinem Onkel gezogen war. Aber bestimmt hätte auch Rainer damals – noch – nicht den hohen Ansprüchen von Juttas Eltern genügt. Schaake wusste, dass Jutta schon 1958 geheiratet hatte. Den Sohn der Wall-Apotheke, wenn er sich recht erinnerte, einen Mann, der zehn Jahre älter war als sie. Rainer hatte damals gerade erst sein Studium begonnen. Rainer vermutete, dass sie in die Ehe geflohen war, um von zu Hause wegzukommen. Er erinnerte sich an einen Brief, den sie ihm geschrieben hatte, nachdem sein Vater gestorben war. Gesehen hatte er sie nicht mehr.
Er sah seine Mutter an. Ihm war aufgefallen, dass sie seine Frage noch nicht beantwortet hatte. Ihr Gesichtsausdruck machte ihn betroffen.
»Was ist?«, fragte er.
»Frau Jung hat es mir erzählt. Die Jutta soll Selbstmord begangen haben.«
Er spürte einen scharfen Stich in der Herzgegend. Die Umgebung verschwamm für Augenblicke vor seinen Augen. Wie durch eine Watteschicht drang die Stimme seiner Mutter an sein Ohr.
»Es ist nur ein Gerücht... Ich wollte es dir nicht sagen...«
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