Название: Spannt die Pferde vor den Wagen!
Автор: Hermine Stampa-Rabe
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783737502641
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Mutter versammelte uns Kinder alle um sich und ging mit uns die Blücherstraße entlang, in der wir in dem Haus Nr. 12A wohnten, in Richtung Eisturm. Die beiden kleinen Geschwister Bärbel und Friedemann, die schon laufen konnten, fassten beide an je einer Seite des hübschen Korbwagens an, dessen Verdeck innen mit rosa Atlasseide drapiert und mit Fransen umrahmt war.
In der Blücherstraße befanden sich beidseitig Häuser mit drei Stockwerken. Der Eisturm stand schon immer am Blücherplatz. Wir gingen rechterhand daran vorbei, über den Blücherplatz und hinunter zur Ihna, dem Fluss, an dem Stargard liegt.
Wir überquerten die Ihna auf der Jungfernbrücke und schlugen den Weidensteig ein, der gleich links unter hohen Bäumen an der Ihna entlang führte. Mutter hatte uns eingeschärft, nicht aus ihrer Nähe hinunter zum Wasser zu gehen, weil wir dann ertrinken würden. Es befand sich nämlich kein trennender Zaun zwischen dem Fluss und dem Weidensteig.
Die Sonne schien und spiegelte sich in dem dahin fließenden Wasser. Von beiden Ufern hingen die Zweige der Bäume tief zum Wasser herab. Es war hier sehr idyllisch.
Mutter hatte diese Richtung eingeschlagen, weil sie mit uns wie fast jeden Tag zu ihren Eltern Teske in die Luisenstraße beim Luisenplatz wollte. Ihre Eltern wurden von uns Oma und Opa Lu genannt. Lu ist die Abkürzung für Luisenstraße; denn unsere andere Oma, die Mutter unseres Vaters, wohnte am Blücherplatz und wurde von uns immer Oma Blücher gerufen.
Kaum waren wir bei Oma und Opa Lu angekommen, ging die große liebevolle Begrüßungszeremonie los. Jeder wurde gedrückt. Dann verteilten wir uns dort auf dem Grundstück.
Während Rotraut zu Opa Lu in die Schmiede ging - denn Opa Lu war Schmiedemeister und hatte viele Pferde zu beschlagen und viele interessante Gegenstände zu schmieden - gingen meine Brüder Hermann, Dankwart und Helmut in den Hof zu den vielen Pferdewagen und Kutschen, die hier standen. Darauf konnten sie schön lange herumturnen, ohne dass sie Langeweile bekamen.
Mich nahm Oma Lu aber gleich mit zu sich in ihre Küche.
„Du sollst jetzt dein Zucker-Ei bekommen", sagte sie dann lächelnd. Das wusste ich schon und konnte das Folgende kaum abwarten. Sie nahm aus ihrem Küchenschrank eine Muck, teilte ein Hühnerei, schlug das Eiweiß zu Eierschnee steif, ließ das Eigelb hineingleiten, tat noch Zucker hinein und rührte alles vorsichtig um. Und dann verschlang ich mit Genuss mein Zucker-Ei. Dabei sah sie mir schmunzelnd zu.
„Na, mein Zucker-Ei, bist du nun satt? Hat es dir gut geschmeckt?"
„Ja, das hat gut geschmeckt!" war meine Antwort.
Den Namen Zucker-Ei hatte ich mir wohl richtig verdient.
Danach ging auch ich zu Opa Lu in die Schmiedewerkstatt und sah ihm zu, wie er gerade ein Pferd beschlagen wollte. Mit einer sehr langen Eisenzange holte er aus der glühenden Esse ein glühendes Hufeisen und drückte es dem Pferd unter den hochgehaltenen Huf, dass es nur so dampfte und nach verbranntem Horn roch. Nun nagelte er es mit Hufnägeln fest.
Die Pferde standen dabei natürlich nie von allein still. Sie hatten in der für sie fremden Umgebung Angst. Dabei halfen meinem Opa Lu dann seine Schmiedegesellen, die das Pferd festhalten mussten. Wenn ich nur an die alte Zeit denke, meine ich noch heute, diesen eigenartigen Geruch zu riechen.
Aber lange hielt ich mich nicht in der Schmiede auf. Draußen befand sich auch Oma Lu’s Blumengarten. Hier setzte ich mich auf die weiße Bank und schaute mir die Blütenpracht an.
Rechts befand sich auf dem Stallgebäude der Taubenschlag mit Mutters weißen Brauttauben und den blau-weißen Strassertauben. Der Anblick dieser herumfliegenden und gurrenden Tauben nahm für lange Zeit meine Aufmerksamkeit in Anspruch. Die Brauttauben konnten sogar mit ihrem Schwanz ein Rad schlagen. Mutter konnte sie nicht mit in die Blücherstraße 12A nehmen. Darum erfreuten wir uns immer bei ihren Eltern daran.
Gegen Abend holte uns Mutter wieder alle zusammen und zog uns wieder ordentlich an. Oma Lu oder Tante Wanda, die Frau von Mutters Bruder Hans, halfen gern dabei. Dann verabschiedete sich und ging mit uns wieder den Weidensteig entlang zurück nach Hause. Dort bereitete sie das Abendessen; denn Vater musste gleich nach Hause kommen.
Nach dem gemeinsamen Abendessen hieß es heute wie immer einmal in der Woche: "Heute wird gebadet."
Das war eine große Freude für uns! Das Wasser wurde in die Badewanne gelassen und wir Kinder wurden alle zusammen dort hineingesetzt. Die Wanne war voll. War das ein Spaß! Wir durften so viel plantschen, wie wir wollten. Dass das ganze Badezimmer unter Wasser gesetzt wurde, spielte keine Rolle. Das Wasser wurde hinterher von Mutter wieder aufgewischt. Vater fing bei den Jüngsten von uns Geschwistern an, uns abzuseifen. Mutter nahm uns mit dem Trockentuch in Empfang und steckte uns nacheinander in unsere Bettchen.
Weil Vater heute Abend noch einmal weggehen musste; denn er war für die Organisation des heutigen Konzertes verantwortlich, fragte mich Mutter:
„Möchtest du in Papis Bett schlafen? Er kommt heute später nach Hause."
„Ja, gern!" war meine Antwort.
So durfte ich in seinem Bett einschlafen. Das Elternschlafzimmer befand sich neben unserem Kinderzimmer. Eine Tür verband sie miteinander. Auf den Nachttischen neben Vaters und Mutters Bett befanden sich Lampen. In der einen konnte ich eine rote Birne und in der anderen eine blaue Birne anknipsen.
Und irgendwann spät in der Nacht holte mich Vater ganz vorsichtig aus seinem von mir in der Zwischenzeit angewärmten Bett und legte mich in meines. Davon habe ich nie etwas gemerkt. Aber schön war es, mit Mutter in einem Zimmer zu Bett zu gehen, noch etwas zu erzählen und dann irgendwann ganz glücklich einzuschlafen.
Natürlich wurde vorher noch gebetet. Mutter ging hier wieder von Bettchen zu Bettchen. Am Fußende eines jeden Bettchens stand ein Stuhl, auf dem schon die Garderobe des- oder derjenigen für den nächsten Tag schön fein säuberlich zusammengefaltet lag. So kam sie auch zu mir. Ich sollte meine kleinen Hände falten, und dann sprach sie auch mit mir das Abendgebet:
Ich bin klein.
Mein Herz mach’ rein.
Soll niemand drin wohnen
als Jesus allein.
Amen.
So verliefen die meisten Tage.
Verspürten wir mal ein menschliches Bedürfnis, dann gingen wir in unsere Badestube. Der Toilettenkörper war mir aber zu hoch. Für diesen Zweck stand daneben ein Töpfchen. Und weil unser Badezimmer kein Fenster hatte und ich deshalb dort nicht sitzen wollte, nahm ich mir das Töpfchen und ging damit in die Speisekammer und schloss von innen die Tür einfach ab.
In der Speisekammer war es hell. Das Fenster stand offen. Außerdem roch es sehr appetitlich. Hier setzte ich mich auf mein Töpfchen. Nach einiger Zeit - es war ein Sonnabend und Vater war zu Hause - hörte ich ihn rufen:
„Mini, wo bist du?"
Mutter und ihm war in der Zwischenzeit aufgefallen, dass ich nicht mehr da war.
„Hier bin ich, in der Speisekammer!" rief ich zurück.
Vater kam zur Speisekammertür СКАЧАТЬ