»Ist oben offen?« fragte er.
»Ja. Es sind einige Sennors da, und meine Schwester ist zur Bedienung oben.«
»So gehen wir hinauf. Sorgen Sie dafür, daß wir nicht von Gesindel belästigt werden!«
Das klang in einem ganz andern Tone, so bestimmt, als ob er von Jugend an gewöhnt sei, Befehle zu erteilen. Sie verneigte sich abermals wie vor einem gebietenden Herrn, und dann stiegen wir die Treppe hinauf.
Droben kamen wir erst in ein kleineres Vorzimmer, in welchem einige Hüte hingen und Stöcke in einem eleganten Halter standen. Monteso schlug eine Plüschportiere zurück, und wir traten in einen schmalen, langen Salon, welcher reich ausgestattet war. Einige Lustres verbreiteten beinahe die Helle des Tages. Die Tische hatten Marmorplatten; Stühle und Diwans waren mit roten Plüsch überzogen. Auf jedem Tische stand eine Flaschenkollektion mit Weinen verschiedener Sorten. Kurz und gut, der Salon hätte in das feinste Hotel einer europäischen Großstadt gepaßt.
Vom Büffet erhob sich ein junges Mädchen, um uns mit tiefen Verbeugungen zu grüßen. An einem Tische saßen vier Herren, welche ihrer Kleidung nach den besten Ständen angehörten. Auch sie grüßten höflich. Einer von ihnen reichte sogar Monteso in kordialer Weise die Hand.
Und hier verkehrten die Yerbateros? Die andern fünf waren ebenso lumpig gekleidet, wie Monteso. Sie gingen barfuß. Ihre Hüte waren in Summa keine fünfzig Pfennige wert. Haare und Bärte waren ungepflegt. Keiner schien sich später als vor Monaten gewaschen zu haben. Ich war erstaunt, ließ aber natürlich nichts davon merken.
Monteso schritt zum hintersten Tische, welcher so groß war, daß wir alle Platz an demselben fanden, gab einen Wink, uns da niederzusetzen, und kehrte zum Büffet zurück, um eine Bestellung zu machen.
Das Mädchen nahm die auf dem Tische stehenden Flaschen weg und brachte andere an deren Stelle. Zu meinem Erstaunen las ich Etiketten wie »Chateau Yquem«, »Latour blanche« und »Haut-Brion«. Wenn diese Weine echt waren, so paßte der Preis derselben freilich nicht zu den nackten Füßen derer, welche die Flaschen leeren wollten.
Monteso setzte sich mir gegenüber, machte mir eine freundlich höfliche Verbeugung und sagte:
»Da ich Sie seit Mittag beobachtet habe, Sennor, so weiß ich genau, daß Sie noch nicht zur Nacht gespeist haben. Denn bei Tupido sind Sie so kurze Zeit gewesen, daß Sie ganz unmöglich an seiner Tafel gegessen haben können. Wir ersuchen Sie daher, unser Gast zu sein und ein Abendbrot mit uns einzunehmen. Freilich können wir Ihnen eben nur das bieten, was arme Yerbateros zu essen pflegen, wenn sie sich einmal in einer Stadt befinden. Es ist frugal genug.«
»Das scheint allerdings so,« lachte ich, indem ich auf die Flaschen deutete. »Wenn das Brot, welches Sie genießen, zu diesem Wasser paßt, so möchte ich wohl alles, aber nur nicht Yerbatero sein.«
»Vielleicht ist es nicht ganz so schlimm, wie es den Anschein hat. Hoffentlich werden Sie unsere Art und Weise näher kennen lernen, denn ich schmeichle mir, daß wir noch sehr oft so wie heute beisammen sitzen werden, wenn auch nicht hier an diesem Orte.«
Er entkorkte einige Flaschen, füllte die Gläser und stieß auf die Fortdauer unsrer jungen Bekanntschaft an. Dann zog er eine, wie es schien, reich gefüllte Brieftasche hervor und reichte mir aus derselben die Geldnoten zurück, welche ich ihm heute geliehen hatte.
»Erlauben Sie mir, gegen unsre heutige Vereinbarung handeln zu dürfen!« sagte er dabei. »Eigentlich müßte ich kündigen und hätte erst übers Jahr zu zahlen. Da die Sache aber meinerseits nichts als Scherz war, so bitte ich, es als solchen aufzufassen. Ich bin keineswegs der arme Mann, für den Sie mich hielten, doch freue ich mich Ihres Irrtumes, da er mir Gelegenheit gegeben hat, Sie kennen zu lernen. Leute von Ihrer Herzensgüte mag es unter den Deutschen viele geben; hier aber sind dieselben äußerst selten. Darum habe ich Sie sofort in mein Herz geschlossen und meinen Kameraden von Ihnen erzählt. Sie können in jeder Beziehung auf unsere Freundschaft rechnen.«
Ich suchte zwar mein Erstaunen möglichst zu verbergen, brachte es aber doch nicht über mich, die Frage zurückzuhalten:
»Aber, Sennor, wenn Sie so viel besser situiert sind, als es den Anschein hatte, warum ließen Sie sich da bei dem hochnasigen Tupido herab, ihm wegen lumpiger zweihundert Papiertaler so viele gute Worte zu geben?«
»Um ihn zu täuschen, Sennor. Wir sind ehrliche Leute, und derjenige, welcher uns Vertrauen schenkt, der wird sich niemals getäuscht fühlen. Wer uns ehrlich bezahlt, der erhält auch ehrliche Ware und kann sich in jeder Beziehung auf uns verlassen. Dieser Tupido aber ist ein Betrüger, ein Schwindler, und darum haben wir ihn ausgewischt. Ich weiß, daß Sie es ihm nicht wieder sagen. Die Probe, welche er von unserm Tee untersucht und auch getrunken hat, war ausgezeichnet; aber des Nachts haben wir in seinem eigenen Magazin, zu welchem wir uns Zugang geschafft hatten, die Pakete umgetauscht. Er hat unter den vielen Zentnern Tee, welche nach seiner Ansicht in seinem Vorratshause liegen, nicht so viel wirklichen Tee, wie man mit drei Fingerspitzen fassen kann.«
»Ah! Sennor, das ist aber Betrug!«
»Betrug? Sie sind ein Deutscher, und jedem andern als Ihnen würde ich dieses Wort sehr übel nehmen. Was nennen Sie Betrug? Ist es Diebstahl, wenn ich dem Diebe das, was er mir gestohlen hat, heimlich wieder abnehme?«
»Warum nicht durch das Gericht?«
»Weil dies ihm gegenüber vielleicht machtlos ist. Bleiben Sie mir mit den Gerichten fern! Werden mir hier tausend Pesos gestohlen, und ich zeige den Dieb an, so kostet es mich vielleicht zwei oder gar drei Tausend, um das eine Tausend zurück zu erhalten, und dabei geht der Dieb wahrscheinlich straflos aus. Unsere Diebe haben nämlich die Angewohnheit, nebenbei Beamte zu sein. Auch stehlen sie niemals, sondern die Sachen kommen ihnen des Nachts in die Häuser gelaufen. Da hilft man sich denn am liebsten selbst. Tupido hat uns betrogen, und wir haben ihn nun ausgezahlt, ohne uns an die Behörde zu wenden. Wir fühlen uns in unserm Rechte und denken nicht, uns darüber ein böses Gewissen machen zu müssen. Die zweihundert Taler habe ich ihm hingeschickt. Ich ließ ihm sagen, daß es mir gelungen sei, sie geborgt zu erhalten. Und nun sind wir mit ihm fertig. Sie kennen das Leben eines Yerbatero nicht. Es gehört zu den mühseligsten und gefährlichsten, welche es gibt, und wir wollen nicht täglich unsre Gesundheit und unser Leben wagen, um Sklaven zu bleiben und Betrüger zu Millionären zu machen.«
»Ich habe allerdings keine Ahnung von den Gefahren, denen ein Teesammler ausgesetzt ist. Welche Lebensgefahr könnte es dabei geben, wenn man in einer wohlangelegten Teepflanzung die Blätter der Sträucher oder Bäume sammelt?«
»Wären Sie nicht unser Gast, so würden wir Sie vielleicht ein wenig auslachen, Sennor. Sie sprechen von wohlangelegten Pflanzungen. Sie meinen Teeplantagen? Zur Erntezeit begeben sich dann die Arbeiter in diesen Garten und pflücken die Blätter ab?«
»So ungefähr habe ich es mir vorgestellt, ganz analog der Art und Weise, wie der chinesische Tee kultiviert wird.«
»Dachte es mir. Aber da befinden Sie sich in einem gewaltigen Irrtume, Sennor. Ich werde Ihnen das erklären, wenn wir bedient worden sind.«
Das Mädchen begann jetzt nämlich, den Tisch zu decken. Was machte ich für Augen, als diese barfüßigen Leute silberne Bestecke vorgelegt erhielten! Das Geschirr bestand aus feinstem Sévres, und was die Speisen betraf, so konnte man sie im besten Restaurant eines Pariser Boulevards oder unter den Linden nicht besser haben. Es gab außer der Suppe sechs Gänge und zuletzt feines СКАЧАТЬ