Название: Spiel des Zufalls
Автор: Joseph Conrad
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783750247857
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Auch mein Frühstückshunger wurde durch das Nichtwissen um Tatsachen, Beweggründe, Ereignisse und Schlußfolgerungen nicht berührt. Ich glaube, es ist nicht gut für den Geist, alles zu verstehen. Ein vollbeladener Geist hemmt die Tatkraft, ein überlasteter führt langsam zum Blödsinn. Doch Frau Fynes persönliche Frauenrechtlerei, so erquickend unbekümmert, schoß mir durch den Kopf. Was für einen Salat unbewiesener Lehrsätze füllte sie doch in die Mädchenköpfe! Gutes, unschuldiges Wesen, würdige Gattin, ausgezeichnete Mutter (vom reinen Gouvernantenschlag), kümmerte sie sich so wenig um die Folgen, wie nur je ein überzeugter Philosoph.
Was nun das Ehrgefühl anbetrifft, so ist dies, wie du ja weißt, ein schönes, mittelalterliches Erbteil, das aber Frauen sich nie zu eigen machen konnten. Es lag ihnen nicht. Und da man ja ganz allgemein den Grundsatz aufstellen kann, daß die Frauen immer bekommen, was sie wollen, so müssen wir in diesem Falle wohl annehmen, daß sie es nicht gewollt haben. Zum Überfluß fehlt ihnen auch das Schicklichkeitsgefühl, ich meine männliches Schicklichkeitsgefühl. Auch Voraussicht ist ihnen fremd, die wägende, schwerfällige Voraussicht, die unser Stolz ist. Und hätten sie sie, dann würden sie sie ins Leidenschaftliche hinüberspielen, so daß ihre eigene Mutter -- ich meine die Mutter der Voraussicht -- sie nicht wiedererkennen würde. Die Klugheit ist ihnen nur ein Kitzel, wie auch der Rest unserer irdischen Leidenschaften. ›Erregung um jeden Preis‹ ist ihr geheimer Wahlspruch; alle Tugenden genügen ihnen nicht, sie müssen auch alle Laster haben. Und warum? Weil in dieser Vielseitigkeit Macht liegt. Der Kitzel, den sie am meisten lieben ...«
»Erwartest du, daß ich alledem zustimme?« unterbrach ich ihn.
»Nein, das ist nicht nötig«, sagte Marlow, ohne Freude an der Unterbrechung, doch angestrengt liebenswürdig. »Du brauchst es nicht einmal zu verstehen. Ich fahre fort: Was nun, da sie so beschaffen sind, die Frauen abhält -- um einen Ausdruck zu gebrauchen, den ein alter Bootsmann meiner Bekanntschaft auf seinen Kapitän anwandte -- was sie also abhält, ›auf Deck zu kommen und die Hölle auf dem Schiff loszulassen‹, das ist dies eigenartig Ausgeprägte und Geheimnisvolle in ihnen, das sowohl als Hemmung wie als Antrieb wirkt; ihre Weiblichkeit kurzum, die sie mit Gewalt loswerden zu können glauben, die sie aber nie loswerden können und auch nicht ernsthaft loswerden wollen. Darum können wir abschließend sagen, daß gegen alle ihre Unternehmungen die Welt jetzt und in Zukunft hinlänglich gesichert ist. Und da ich mich als friedliebender Mensch durch diesen Schluß besänftigt fühlte, so bereitete ich mich vor, einen schönen Tag zu genießen.
Und es war ein schöner Tag, ein köstlicher Tag, wo herrliches Blau den Schimmer der Unendlichkeit verschleierte. Ein Tag, strahlend unschuldig wie ein frischgewaschenes Kind, fröhlich wie ein junges Mädchen, ein Tag, der einen mild grüßte, wie ein römischer Prälat. Ich liebe solche Tage. Sie sind wie geschaffen, um sie im Zimmer zu verbringen. Ich genoß ihn wollüstig in meinem Armstuhl, die Füße auf das Sims des offenen Fensters gestützt, ein Buch in der Hand; und der leise Einklang von Wind und Sonne schuf in meinem Herzen die Begleitung zu den Versen meines Autors. Als ich einmal vom Buch aufsah, bemerkte ich vor dem Fenster zwei graue Augen, von zottigen gelbweißen Brauen beschattet, die mich feierlich über die Spitzen meiner Morgenschuhe weg anblickten. Über dem gewichtigen Blicke zeigte sich eine blaue Sportmütze, weit aus der perlenden Stirn zurückgeschoben.
›Kommen Sie herein!‹ rief ich so herzlich, wie meine sinkenden Lebensgeister es erlaubten.
Nach einer kurzen, aber strengen Auseinandersetzung mit seinem Hund an der Außentüre trat Fyne ein. Ich behandelte ihn ohne Förmlichkeit und wies nur mit der Hand nach einem Stuhl. Noch bevor er sich niedersetzte, stieß er hervor:
›Wir haben Nachricht -- mit der Mittagspost.‹
Das stieß er hervor; der ernste, unerschütterliche Fyne von der Regierung keuchte! Das genügte, wie du dir wohl vorstellen kannst, um mich zu bestimmen, daß ich meine Füße schnell auf den Boden setzte. Der Bursche brachte es immer fertig, mich zu Handlungen zu verleiten, die meiner nachdenklichen Gemütsart zuwiderliefen. Kein Wunder, daß sich meine Zuneigung zu ihm in bescheidenen Grenzen hielt. Ich sagte mit einem recht kläglichen Anlauf zum Scherz: ›Natürlich! Ich sagte Ihnen ja gestern Nacht schon, auf der Straße, daß wir in einer Posse mitspielten.‹
Im Grabeston seiner Antwort klang Ärger mit, daß mein kleines Wohnzimmer in den Grundfesten davon erzitterte: ›Zum Teufel mit der Posse! Sie ist mit dem Bruder meiner Frau, Kapitän Anthony, durchgebrannt!‹ Diesem Ausspruch folgte ein völliges Zusammenklappen. Es klang jämmerlich, als er aus reiner Gewohnheit hinzufügte: ›Dem Sohn des Dichters, Sie wissen ja.‹
Es trat ein Schweigen ein. Fyne zeigte sich mir immer wieder von einer neuen Seite. Diesmal also hatte er alle Feierlichkeit beiseite gelassen. Sofort meldete sich natürlich meine Neugierde wieder.
›Aber halt!‹ sagte ich. ›Sie sind doch nicht zusammen abgereist ...? Ist es nur eine Vermutung, oder gibt sie wirklich zu ...‹
›Sie ist ihm nachgefahren‹, stellte Fyne düster fest. ›Nach vorheriger Verabredung. Das gibt sie selbst zu.‹
Er fügte hinzu, daß es sehr anstößig sei. Ich fragte ihn, ob er es vorgezogen hätte, wenn sie zusammen abgefahren wären; und wenn ja, welche Gründe er für diese Vorliebe anführen könne. Das tat ich einfach zum Spaß, denn die Ehe der Fynes war ja auch nach einer Flucht geschlossen und hatte seinerzeit sogar die Zeitungen beschäftigt, weil der heimgegangene Dichter sich in seiner Entrüstung keine Schranken auferlegt und versucht hatte, die Schmach öffentlich vor einem Richter in Allongeperücke zur Sühne zu bringen. Eine trostlose Handbewegung des kleinen Fyne nahm mir augenblicklich die Lust zu weiteren Scherzen. Doch konnte ich es nicht unterlassen, meine Überraschung darüber auszudrücken, daß Frau Fyne nicht bemerkt hatte, was im Gange war. Frauen hatten doch sonst einen so untrüglichen Scharfblick.
Er sagte mir, seine Frau sei mit einer gewissen Arbeit sehr beschäftigt gewesen. Ich hatte mich immer schon gefragt, wie sie ihre Zeit wohl hinbringen mochte. Nun wußte ich es: mit Schreiben. Wie ihr Gatte hatte auch sie ein kleines Buch herausgegeben. Es kam mir viel später einmal in die Hände. Hatte aber mit Gehsport nichts zu tun. Es schien vielmehr ein Handbuch für unverstandene Frauen (also so ziemlich für alle Frauen), eine Art Leitfaden für weibliche Sittenfreiheit in Theorie und Praxis. Man konnte über die offenkundige Einfalt lachen. Natürlich fragte ich Fyne nicht, welcher Art die Arbeit war, die seine Frau so beschäftigt hatte. Doch staunte ich ganz für mich über ihre völlige Unkenntnis der Welt, ihres eigenen Geschlechts und der anderen Gattung von Sündern. Doch wo hätte sie irgendwelche Erfahrung herhaben sollen? Ihr Vater hatte sie klösterlich abgeschlossen gehalten. Die Ehe mit Fyne brachte darin Wechsel, aber doch nur den in eine neue Abgeschlossenheit. Du wirst mir einwenden, daß die angeborene Beobachtungsgabe genügt haben müßte. Nun ja! Da sie sich aber zur Lehrerin und Führerin aufgeworfen hatte, so war es nicht weiter überraschend für mich, zu sehen, daß sie blind war. Das ist ganz in der Ordnung. Sie war eine durchaus einfältige Person; nur wäre es sehr ungehörig gewesen, ihrem Manne das zu sagen.«
3
Der wirtschaftliche Aufschwung und das Kind
Ich hielt es aber nicht für ungehörig, Fyne gegenüber zu bemerken, daß seine Frau am Abend zuvor annähernd gewußt zu haben schien, wohin sich das unternehmende junge Mädchen gewandt haben mochte. Fyne schüttelte den Kopf. Nein. Seine Frau war ihrer Sache bei weitem nicht so sicher gewesen, wie sie vorgegeben hatte. Sie hatte lediglich ihre Gründe, anzunehmen, besser, zu hoffen, daß das Mädel irgendwo in London ein Zimmer genommen habe und in der Stadt untergetaucht sei -- in Erwartung oder vielleicht im Grauen СКАЧАТЬ