Название: Maria Stuart
Автор: Stefan Zweig
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783746782904
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Die erste Gefahr kommt völlig unvermutet. Zur Königin von Schottland ist Maria Stuart längst gesalbt, der Roi Dauphin, der Thronfolger Frankreichs, hat sie zur Gattin erhoben; damit schwebt schon eine zweite, eine noch kostbarere Krone unsichtbar über ihrem Haupte. Da hält ihr das Schicksal als verderbliche Versuchung eine dritte Krone hin, und sie greift in kindischer Art, mit unberatenen, mit verblendeten Händen nach ihrem trügerischen Glanz. Im selben Jahre 1558, da sie die Gattin des französischen Thronfolgers wird, stirbt Maria, die Königin von England, und sofort besteigt ihre Stiefschwester Elisabeth den englischen Thron. Aber ist Elisabeth wahrhaft die erbberechtigte Königin? Heinrich VIII., der frauenreiche Blaubart, hat drei Kinder hinterlassen, Eduard und zwei Töchter, von denen Maria aus seiner Ehe mit Katharina von Aragonien stammt und Elisabeth aus der Ehe mit Anna Boleyn. Nach dem frühen Tode Eduards wird Maria, weil die Ältere und aus unbezweifelbar rechtlicher Ehe geboren, die Erbin des Throns, aber ist es jetzt nach ihrem kinderlosen Tode auch Elisabeth? Ja, sagen die englischen Kronjuristen, denn der Bischof hat die Ehe geschlossen, der Papst sie anerkannt. Nein, sagen die französischen Kronjuristen, denn Heinrich VIII. hat nachträglich seine Ehe mit Anna Boleyn für ungültig erklären lassen und Elisabeth durch Parlamentsbeschluß als Bastard. Ist aber Elisabeth nach dieser – von der ganzen katholischen Welt bekräftigten Auffassung – als Bastard thronunwürdig, so steht jetzt der Anspruch auf den Königsthron von England niemandem andern zu als Maria Stuart, der Urenkelin Heinrichs VII.
Eine ungeheure und welthistorische Entscheidung fällt damit über Nacht in die Hände eines sechzehnjährigen unerfahrenen Mädchens. Maria Stuart hat zwei Möglichkeiten. Sie kann nachgiebig sein und politisch handeln, sie kann ihre Base Elisabeth als berechtigte Königin von England anerkennen und ihren eigenen Anspruch unterdrücken, der zweifellos nur mit der Waffe durchzufechten ist. Oder aber sie kann kühn und entschlossen Elisabeth eine Kronräuberin nennen und die französische, die schottische Armee aufbieten, um die Usurpatorin vom Throne gewaltsam herunterzustoßen. Verhängnisvollerweise wählen Maria Stuart und ihre Berater den dritten Weg, den unglückseligsten, den es in der Politik gibt: den Mittelweg. Statt eines kräftig entschlossenen Schlages gegen Elisabeth führt der französische Hof bloß einen prahlerischen Lufthieb: auf Befehl Heinrichs II. nimmt das Kronprinzenpaar in sein Wappen auch die englische Königskrone auf und Maria Stuart läßt sich späterhin öffentlich und in allen Urkunden »Regina Franciae, Scotiae, Angliae et Hiberniae« nennen. Man erhebt also den Anspruch, aber man verteidigt ihn nicht. Man bekriegt nicht Elisabeth, man verärgert sie bloß. Statt einer wirklichen Tat mit Eisen und Schwert wählt man die machtlose Geste eines Anspruchs auf bemaltem Holz und beschriebenem Papier; damit ist eine dauernde Zweideutigkeit geschaffen, denn in dieser Form ist der Anspruch Maria Stuarts auf den englischen Thron da und wieder nicht da. Je nach Belieben versteckt man ihn einmal und holt ihn das andere Mal wieder heraus. So antwortet Heinrich II. Elisabeth, als sie gemäß dem Vertrage die Rückgabe von Calais verlangt: »In diesem Falle muß Calais der Gemahlin des Dauphins, der Königin von Schottland, übergeben werden, die wir alle als Königin von England betrachten.« Aber andererseits rührte Heinrich II. keine Hand, um diesen Anspruch seiner Schwiegertochter zu verteidigen, sondern verhandelt weiter mit der angeblichen Thronräuberin wie mit einer gleichberechtigten Monarchin.
Durch diese törichte leere Geste, durch dies kindisch-eitle aufgemalte Wappen ist für Maria Stuart nichts erreicht und alles verdorben. Im Leben eines jeden Menschen gibt es Fehler, die nicht mehr gutzumachen sind. So hat auch hier durch diese eine im Kindesalter mehr aus Trotz und Eitelkeit als aus bewußter Überlegung begangene politische Ungeschicklichkeit Maria Stuart eigentlich ihr ganzes Leben zerstört, denn mit dieser einen Kränkung macht sie sich die mächtigste Frau Europas zur unversöhnlichen Feindin. Eine wirkliche Herrscherin kann alles erlauben und dulden, nur dies eine nicht, daß ein anderer ihr Herrscherrecht bezweifelt. Nichts ist darum natürlicher und man kann es Elisabeth nicht verdenken, wenn sie von dieser Stunde an Maria Stuart als die gefährlichste Rivalin betrachtet, als den Schatten hinter ihrem Thron. Was immer auch von dieser Stunde zwischen den beiden gesagt und geschrieben wird, muß Tünche sein und trügerische Wortmalerei, um die innere Gegnerschaft zu verdecken, aber darunter bleibt unheilbar der Riß. Immer richten Halbheiten und Unehrlichkeiten in der Politik und im Leben mehr Schaden an als die energischen und scharfen Entschlüsse. Die nur symbolisch hingemalte englische Krone im Wappenschilde Maria Stuarts hat mehr Blut verschuldet als ein wirklicher Krieg um die wirkliche Krone. Denn ein offener Kampf hätte die Sachlage einmal und endgültig entschieden, dieser aber, der hinterhältige, erneut sich immer wieder und verstört beiden Frauen die Herrschaft und das Leben.
Dieses verhängnisvolle Wappenschild mit dem englischen Hoheitsabzeichen wird auch im Juli 1559 stolz und sichtbar dem Roi Dauphin und der Reine Dauphine in Paris bei einem Turnier vorangetragen, das zur Feier des Friedens von Cateau-Cambrésis veranstaltet wird. Der ritterliche König Heinrich II. läßt es sich nicht nehmen, selbst eine Lanze »pour l'amour des dames« zu brechen, und jeder weiß, welche Dame er meint: Diana von Poitiers, die stolz und schön von ihrer Loge auf ihren königlichen Liebhaber niederblickt. Aber aus dem Spiel wird plötzlich furchtbarer Ernst. In diesem Zweikampf entscheidet sich Weltgeschichte. Denn der Kapitän der schottischen Leibwache Montgomery rennt, nachdem seine Lanze schon abgesplittert ist, mit ihrem Stumpf so ungeschickt heftig den König, seinen Spielgegner, an, daß ein Splitter durch das Visier tief ins Auge dringt und der König ohnmächtig von Pferde stürzt. Erst hält man die Verletzung noch für ungefährlich, aber die Besinnung kehrt nicht mehr wieder, entsetzt umsteht die Familie das Bett des Fiebernden. Einige Tage kämpft noch die kraftvolle Natur des tapferen Valois gegen den Tod; endlich, am 10. Juli, steht das Herz still.
Aber selbst im tiefsten Schmerz ehrt der französische Hof noch die Sitte als den obersten Herrn des Lebens. Wie die СКАЧАТЬ