Название: Sinnsuche zu Zeiten von Cholera
Автор: Albert Morava
Издательство: Bookwire
Жанр: Сделай Сам
Серия: Die Flucht
isbn: 9783742796677
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Die Frage nach der Ursache ist anthropomorph; sie ist der Wunsch, die Dinge der Welt aus der Sicht der Menschen zu erklären. Klärt uns die Bibel auf? Oder vielleicht die Schriften der indischen Weisen?
Aufgeklärte Hinduisten wissen, dass Brahma, der Schöpfer in der Morgendämmerung eines kosmischen Tages erwacht, um sich zu manifestieren, und um beim Einbruch der kosmischen Nacht in Schlaf zu versenken und sich so ins Unmanifestierte aufzulösen. Jeder einzelne kosmische Tag-und-Nacht-Zyklus soll Tausende Yugas dauern und jedes Yuga bis zu 400 000 Jahren betragen. Während der Kosmos sich kontinuierlich ausdehnt und zusammenzieht erfahren alle Lebewesen, und so auch Jan, in aufeinander folgenden Zyklen von Brahmas Manifestation ihre Geburt, ihren Tod und Wiedergeburt.
Heureca, dachte Jan, endlich einer der etwas weiß - doch woher kommt Brahma, der Schöpfer? Das Foto von Albert Einstein mit ausgestreckter Zunge ging ihm durch den Kopf.
Der Lebensweg ist ein Weg im Labyrinth mit vielen Spiegeln; am Ende des Weges angelangt, begreifen wir, dass der Eingang in dieses Labyrinth auch sein einziger Ausgang sein muss.
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Da alles im Leben vergeht, verging auch diese Nacht. Frühmorgens zog er sich an und verließ das Zimmer, ohne seinen Schlafanzug mitzunehmen. Der Nachttopf der alten Frau war noch leer, sie schlief und schnarchte leise vor sich hin; in ihrer Nase pfiff es gelegentlich.
Die Tatsache, dass er nun in dieser Wohnung als Mitbewohner und Altenbetreuer - die alte Frau war die Hauptmietrin - gemeldet war, entpuppte sich bald als eine Ursache mit weitreichenden, unerwünschten Folgen. Notgedrungen hatte er Ellas Großmutter über die Verwanzung der Wohnung und die Unmöglichkeit, dort zu übernachten, unterrichtet. Eine Meldung an die Hausverwaltung konnte nicht mehr hinausgeschoben werden.
"Letztendlich",sagte die Oma, " müssen sie die Wohnung sanieren und sie wieder bewohnbar machen, zumal die Wanzenplage sich im ganzen Haus ausbreiten könnte. Und dann hätte ich die Verantwortung für das Verschweigen einer meldepflichtigen Tatsache. Obendrein bin ich ja auch noch für die Menschen hier irgendwie verantwortlich." Als ehrliche Kommunistin war sie sozial eingestellt.
Kurz vor Weihnachten wurde Ella krank und musste wegen chronischer Laryngitis und Rhinitis behandelt werden; die schwere Hals - und - Nasennebenhöhlen - Entzündung führte zum leichten Dauerfieber und sie mußte stationär im Krankenhaus behandelt werden.
Mit einem Krankenhausaufenthalt von mindestens drei Wochen - über die Weihnachten - war zu rechnen.
Jan besuchte sie dort am letzten Adventssonntag, sie wirkte erschöpft und blass. Er kam mit einem nur bescheidenen Blumenstrauß und erzählte ihr von seiner Nacht im verwanzten Zimmer.
"Ja", sagte sie. "Das Zimmer war stark verstaubt und du hättest vor unserer Übernachtung dort auch den Staub ordentlich abwischen müssen."
Doch nicht der Staub, sondern die Kälte und der andauernde Smog in Prager Straßen waren die Ursache ihrer Erkrankung..
" Nur damit du es weißt, ich leide auch an Stauballergie."
"Warum hast du es mir nicht vorher gesagt?"
"Ich will nicht, dass Krankheiten für uns zu einem Gesprächsthema werden, das irgendwann zwischen uns steht", sagte sie mit leidendem Gesichtsausdruck.
Jan beschloss, im Unterschied zum letzten Jahr, an Weihnachten nach Hause zu fahren. Wenn Ella gesund gewesen wäre, hätten sie zusammen fahren können, beide im Weihnachtsglück und im gleichen Zug.
"Fahr ruhig", sagte sie. "Hier bin ich gut aufgehoben. Das Zimmer ist warm und es gibt hier genug zu essen."
Es gab nicht wenige Prager, die aus rein praktischen Gründen versuchten, mit Hilfe von echten oder erfundenen Krankheiten den nasskalten Winter in Krankenhäusern zu überstehen. Kostenfreie medizinische Versorgung war ja eine der fortschrittlichen Errungenschaften des Kommunismus, auf die man stolz war. Beliebt waren Behandlungen wegen psychischer oder psychosomatischer Störungen.
"Wie steht es um dein Studium?" fragte er besorgt.
"Ich kann mich nicht konzentrieren", sagte sie. "Ausserdem sieht man an der theologischen Fakultät verheiratete Studentinnen nicht gern - auch wegen einer möglichen Schwangerschaft. Ich werde wohl aufhören müssen."
"Brichst du das Studium dann ganz ab?"
"Ausschließen kann man das nicht."
"Und was würdest du dann tun?" fragte er vorsichtig.
"Arbeiten!"
Es war die ungeschriebene Regel der damaligen Zeit, dass verheiratete Frauen ohne Kind genauso wie ihre Männer zu arbeiten hatten. So wollte es die Gleichberechtigungsnorm, auf die die Gesellschaft ebenfalls stolz war. Die meisten Familien wären sonst kaum überlebensfähig gewesen. Krippen und Kindergärten hatten Hochkonjunktur.
"Arbeiten?"
"Ja, etwas mit der Kunst."
"Ohne Ausbildung? "
"Mal versuchen. Wenn der Wille da ist, findet sich der Weg."
Dies schien Jan wenig realistisch, doch er wollte sie unterstützen, immer und in allem und auf welche Art auch immer. Nicht Worte sondern Taten stehen für die Quintessenz der Liebe.
"Und dein Hund?" fiel ihm dann ein. "Wer wird sich dann um ihn kümmern? Ich?"
Ella winkte ab. " Die Oma natürlich. Eigentlich gehört er ihr! Sie hat sich immer schon um ihn gekümmert."
"Gut! Wir reden über alles, wenn du wieder gesund bist."
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Am übernächsten Tag war er bei seinen Eltern, der Nachtzug war unzureichend beheizt und die Temperaturen lagen weit unter Null. Er hätte jetzt dringend einen neuen Wintermantel gebraucht, der alte war abgetragen und um die Schultern zu eng; Jan hatte in in Prag richtige Mannsreife erreicht und war größer und kräftiger geworden.
Der Empfang war diesmal kühl, kühler als die Luft die er einatmete als er aus der Bahnhofshalle schritt.
Heiligabend hatten sie sich wie früher um den Weihnachtsbaum gesetzt, unter dem es kaum Geschenke gab; sie aßen Fischsuppe mit geschnetzelten Blinistreifen und vielen kleinen Grätchen; der Karpfen war klein und die Grätchen kleiner als sonst. Die Suppe schmeckte leicht bitter, da Fischblutreste in ihr waren und einige Fischsschuppen.
"Früher als die Oma sie zubereitete, schmeckte sie besser", bemerkte sein Bruder Filip.
Die Oma war Jans Großmutter mütterlicherseits, die vor zwei Jahren verstorben war; sie hinterließ ein kleines, sehr dürftig eingerichtetes Häuschen und vererbte die Hälfte davon Jans Mutter. Dieses Geld sollte nicht ausgegeben, sondern nach ihrem künftigen Tod irgendwann zwischen Jan und seinem Bruder aufgeteilt werden. So wollte es ihr Testament.
Nach dem Abendessen stockte das Gespräch. "Warum machen wir nicht ein bisschen Musik?" schlug СКАЧАТЬ