Ostfriesland verstehen. Helga Ostendorf
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Название: Ostfriesland verstehen

Автор: Helga Ostendorf

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 9783844257625

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СКАЧАТЬ erreichen, waren den Bauern und Bäuerinnen in der Marsch aber unterlegen. Unterhalb der „bäuerlichen Selbstachtung” waren die Moorkolonisten_innen angesiedelt und als weitere benachteiligte Gruppe kamen die Landarbeiter_innen hinzu. Selbstgenügsamkeit sei daher tief in das Ethos sehr breiter Schichten der heutigen Bevölkerung Ostfrieslands eingeschrieben.

      Den Selbstbehauptungswillen leiten die Autoren aus der Friesischen Freiheit ab, wobei es im ostfriesischen Parlament (der „Landschaft”, s.u.) historisch weniger um ein – im heutigen Sinne – demokratisches Aushandeln von Interessen ging, als um die Abwehr von Herrschaftsansprüchen des seit dem 14. Jahrhundert aufkommenden Adels. „Freiheit” bedeute für die Ostfriesen_innen daher nicht demokratische Teilhabe, sondern gründe „auf eigenen Besitz und dem freien Umgang mit ihm” (ebd., 282). Die Friesische Freiheit verwandelte sich in einen Selbstbehauptungswillen, der sich nicht in einer nach außen getragenen Widerständigkeit äußerte. Zum Widerstand gegen fremde Mächte war Ostfriesland allein schon wegen des Patts zwischen den Herrschaftsansprüchen des 1464 inthronisierten Grafen von Ostfriesland und der Ostfriesischen Landschaft nicht in der Lage. Ostfriesland fiel in „Ohnmacht” (van Lengen 1987, 56).

      Die dritte Komponente, Selbstbewusstsein und Stolz, machen Danielzyk u.a. sowohl bei wohlhabenden Marschbauern und -bäuerinnen als auch bei den Menschen auf den Fehnen aus. Marschbauern/-bäuerinnen hätten einen Hang zur Autonomie, aber auch „Züge des Besonders-Seins” (ebd. 287): Sie grenzten sich von den Landarbeiter_innen und von den Bewohner_innen der Sielorte ab. Selbstbewusstsein und Stolz finden sich ebenso bei den Nachkommen der Moorkolonisten_innen. Deren Herkunft ist nicht eindeutig geklärt. Eilert Ommen (1992, 216) geht davon aus, dass es sich um nicht-erbberechtigte Kinder von Bauern/Bäuerinnen und um Nachkommen von Inhabern_innen kleiner Landstellen handelte. In den Mooren gelang ihnen als Bauern/Bäuerinnen, Torfschiffer_innen, Werftunternehmer_innen und in der Seeschifffahrt ein bescheidener Aufstieg; es sei „das Selbstbewusstsein der einmal zu kurz Gekommenen” (Ommen 1992, 51). Auch wenn die Fehne ebenso wie die Siedlungen der Landarbeiter_innen heute zu Arbeiterdörfern geworden sind, bleibt der Rückbezug zum Besitz: Die „Entfaltungsmöglichkeiten individueller Lebensinteressen auf eigenem Land führen dazu, dass viele Menschen in Ostfriesland Haus und Garten (inkl. Basteln und Heimwerken) zum lebenslangen Hobby erkoren haben” (Danielzyk u.a 1995, 282). „Haus und Garten sind entscheidende Prestigeobjekte” (Ommen 1992, 219).

      Auch heute gibt es keine Stimmen oder gar Bewegungen, die dafür plädieren, dass Ostfriesland ein eigener Staat werden solle, aber eine Abgrenzung gegenüber dem, was aus „Düütskland” oder „von oben” kommt, besteht nach wie vor und die „Friesische Freiheit” im politischen Sinne wird durchaus wach gehalten. So veranstaltet die Ostfriesische Landschaft am Pfingstdienstag – dem Tag, an dem das Parlament der „Freien Friesen” tagte – regelmäßig Tagungen oder Ähnliches. Auch an den Tag, an dem die Grafschaft Ostfrieslands ihre jährliche Landesrechnungsversammlung abhielt, wird alljährlich erinnert (10. Mai). Endgültig genommen wurde den Ostfriesen_innen die politische Freiheit 1815, als das Königshaus Hannover das Land besetzte. Abgrenzungen gegen „oben” und dem „Fürstenland” richten sich noch heute vorrangig gegen Entscheidungen aus „Hannover”.

      Die Friesische Freiheit

      Im Gegensatz zu den übrigen Regionen Europas (mit Ausnahme einiger Gebiete der Schweiz) gab es in Ostfriesland nie eine Feudalherrschaft. Die Friesen organisierten sich in autonomen Landgemeinden. Deren gewählten Vertreter kamen alljährlich am Pfingstdienstag am Upstalsboom in Rahe (nahe Aurich) zusammen, sprachen Recht und schlichteten Streit unter den 27 Provinzen der Frieslande, die in der Blütezeit um 1300 von der Rheinmündung bis zum Land Wursten reichten. Die Entstehung der „Friesische Freiheit” ist nicht eindeutig geklärt. Heute wird sie Karl dem Dicken zugeschrieben, der sie den Ostfriesen_innen 885 als Dank für die Vertreibung der Normannen zugesprochen haben soll. Schon der Einfall der Wikinger hatte um 800 dazu geführt, dass die Friesen zwar verpflichtet wurden, ihr Gebiet zu verteidigen, dafür aber vom Militärdienst auf fremden Territorien freigestellt waren. Eine wesentliche Rolle spielte auch das Erfordernis des Deichbaus. „Wer nich will dieken, mut wieken”, heißt ein alter Spruch. (Wer sich nicht an der Eindeichung beteiligt, muss gehen.) Pest und Sturmflutkatastrophen ließen dieses Ständesystem verfallen und reiche Familien („Häuptlinge”) gewannen die Oberhand. Sie etablierten zwar ein Gefolgschaftssystem, leibeigen aber waren die Menschen in Ostfriesland nie.[4]

      Upstalsboom – das Zentrum der Freien Frieslande

      

      Bild: Onno Gabriel

       http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Ostfriesland_um_1300.png

      Die Häuptlinge waren Bauern, die zu Wohlstand gekommen waren. Ihr äußeres Zeichen: Sie konnten sich Häuser aus Steinen anstelle von Lehmziegeln leisten. Noch heute künden „Steinhäuser” von dieser Zeit. Diesen Häuptlingen wurde häufig die Rechtssprechung übertragen. 1430 jedoch kam es zum Widerstand verschiedener Landgemeinden. Sie forderten, auch die Häuptlinge sollten nichts anderes als „gemeine Friesen” sein. Ihr Führer wurde zunächst Enno Cirksena und später sein Sohn Edzard und es kam zu teils kriegerischen Auseinandersetzungen mit anderen Häuptlingen. Vor allem fehlte den Cirksena ein Adelstitel, um z.B. Herrschaftsansprüchen des Bischofs von Münster entgegentreten zu können. Einer der Nachfolger, Ulrich Cirksena, trug Ostfriesland dem Reich als Lehen an und wurde daraufhin 1454 zum Reichsgrafen ernannt – wobei die Urkunde aber nie gefunden wurde und Ulrich Cirksena auch nie vom Titel Gebrauch gemacht hat. Überfälle des Grafen von Oldenburg

      „zeigten (…) Ulrich mehr denn je, dass er so rasch wie möglich einen neuen Besitztitel brauchte, der ihn vor solchen Überfällen sicherte. Und der einzig sichere und haltbare, den es gab, war der kaiserliche Lehnsbrief” (Kurowski 1987, 117).

      Kaiser Friedrich III ernannte Ulrich Cirksena 1464 (erneut?) zum Grafen. Das Besondere an diesem Lehnbrief war, dass die „Friesische Freiheit” bestätigt wurde:

      „’Die freyheitten und gerechtigkeiten die euch von keyser Karl dem Großen, auch anderen Romischen keysern und kunigen geben’ sollten nicht gemindert werden” (Kurowski 1987, 119).

      Die Vertretung der Stände Ostfrieslands, die „Ostfriesische Landschaft”, wurde unter napoleonischer Herrschaft aufgelöst. Letztlich hat sie 1815 mit der Inbesitznahme Ostfrieslands durch das Königreich Hannover ihre Funktion als Parlament der (Ost-)Friesen_innen verloren. Als Organisation besteht sie nach wie vor. Heute aber ist sie nach eigenem Selbstverständnis Hüterin der friesischen Überlieferung und nimmt als solche regionale Aufgaben in den Bereichen Kultur, Wissenschaft und Bildung wahr.

      Die Entrechtung der Ostfriesen_innen

      Als die männliche Linie der Cirksena 1744 ausstarb, machte Friedrich II von Preußen sein Erbrecht geltend, beachtete jedoch die „Friesische Freiheit”. Geholt worden waren die Preußen vor allem von den Ständen der Stadt Emden, die die Vorherrschaft des Fürstentums ablehnten und ihren Hafen wieder zu einem der führenden Europas gemacht wissen wollten. Friedrich II, ließ sich sein Kommen „fürstlich” vergüten, verlangte Geld für die Unterhaltung des Landes und für die Freistellung der Ostfriesen vom Militärdienst. Es gibt sogar die These, dass der Bau des Potsdamer Schlosses Sanssouci mit Geldern aus Ostfriesland bezahlt wurde: Friedrich II hatte den Bau schon seit langem geplant; das Erbe Cirksena gab ihm unverhofft die finanziellen Möglichkeiten dazu.[5] In Ostfriesland setzte mit der Übernahme durch die Preußen ein wirtschaftlicher Aufschwung ein; u.a. wurden Moore urbar gemacht und Land durch Eindeichungen gewonnen. Nicht zuletzt wurde auch der Emder Hafen ausgebaut. Während der Napoleonischen Feldzüge geriet Ostfriesland СКАЧАТЬ