Название: Die Mutter der Macht. Ein Mensch namens Mao Tse-tung.
Автор: Ralph Ardnassak
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
isbn: 9783847699378
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Die etwa seit dem 16. Jahrhundert anhaltenden Bemühungen christlicher Missionare, den christlichen Glauben in seinen unterschiedlichen Ausprägungen in die chinesische Gesellschaft hinein zu tragen, blieben jedoch ohne tiefgreifenden Einfluss auf den Kulturraum.
Die Situation änderte sich, als zu Anfang des 20. Jahrhunderts, aus dem benachbarten Russland kommend, die Idee des Kommunismus nach China gelangte. Von 1949 bis etwa 1980 wurde sie hier zur absolut alles beherrschenden Staats- und Gesellschaftsdoktrin, dank Mao Tse-tung, die das bisherige jahrtausendealte Kulturgut teilweise mit brachialer Entschlossenheit zertrümmerte, andererseits aber auch weite Teile davon einfach kritiklos auflas und übernahm.
Neun entscheidende Wesenszüge des Chinesen und der chinesischen Kultur sind es jedoch, die den Menschen und den Kulturraum entscheidend prägen und die den Siegeszug des Kommunismus in diesem gewaltigen Maßstab in China erst ermöglicht haben:
Gruppendenken, Harmoniestreben, Gesichtsorientierung, Indirektheit, Kollektivität, Hierarchieakzeptanz, Ritualisierung, Diesseitigkeit und Sinozentrismus.
Eine traditionell hohe Bedeutung hat in China der Clan, die Familie. Der Chinese unterscheidet dabei strikt in Clanmitglieder und in Nicht-Mitglieder seines Familienclans.
Dies lässt sich auf die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Region und Provinz und auf die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Arbeitsplatz ohne weiteres übertragen.
Der Chinese stellt eine deutlich wahrnehmbare Demarkationslinie auf, zwischen denjenigen Mitgliedern, die zu einer bestimmten Gruppe dazu gehören und den Menschen, die außerhalb dieser Gruppe stehen. Sehr deutlich ausgeprägt ist dieses Gruppendenken besonders bei den Han-Chinesen, die sich als ethnische Elite innerhalb Chinas begreifen.
Die chinesische Vorstellungswelt wird stark von der Annahme bestimmt, dass im Kosmos zwischen allen Dingen eine geradezu universelle Harmonie bestehen müsse.
Dies kann auf alle Farben, auf die vier Jahreszeiten, auf die Stimmungen der Menschen und der Tiere, auf Stoffe, auf Planeten und auf Körperteile bezogen werden.
Auch zwischen Menschen, Himmel und Erde besteht im traditionellen Verständnis der Chinesen Harmonie, wobei dem Kaiser als dem Himmelssohn stets eine besondere Bedeutung zukommt.
Daher streben Chinesen in allen menschlichen Beziehungen die universelle Harmonie an und vermeiden Konflikte.
So gilt es in China als absolut unmoralisch, ganz gleich, ob berechtigt oder nicht, rücksichtslos die eigenen Interessen durchzusetzen. Im Gegenteil, solches Verhalten wird allgemein sanktioniert, während man stattdessen bestrebt ist, in möglichst langwierigen Prozessen zu einem für alle Seiten befriedigenden Ausgleich zu gelangen.
Schroffe Ablehnung verbietet sich daher im zwischenmenschlichen Umgang bereits von vornherein und selbst eine Bejahung, ganz gleich, wie ernst gemeint sie auch erscheinen mag, trägt keinesfalls den Charakter von Verbindlichkeit.
Jede Art von Kritik und heftiger Emotion, von Wut, Trauer, Freude oder das Preisgeben von Intimitäten und persönlichen Informationen, gelten als strikte Verletzungen des Prinzips der universellen Harmonie und sollten daher unterbleiben.
Leises, dezentes Auftreten, ruhiges Sprechen, stets würdige Gesten und äußerste Gelassenheit gegenüber allen Ärgernissen des täglichen Lebens, gelten hingegen als Ausdruck der universellen Harmonie.
Grundsätzlich gilt das Streben nach Harmonie jedoch nur innerhalb der jeweiligen Danwei, also in der Familie oder am Arbeitsplatz, keinesfalls jedoch in der Öffentlichkeit.
Unter dem Gesicht versteht der Chinese sein physisches Antlitz, aber auch die öffentliche Meinung, die mit einer bestimmten Person allgemein eng verbunden ist. Das physische Antlitz gilt daher als Teil des menschlichen Körpers, welchem elementare Bedeutung zukommt.
Wer in der Öffentlichkeit den Erwartungen an seine jeweilige soziale Rolle nicht genügt, der verliert damit auch sein Gesicht.
Kritik, Zurechtweisung durch andere in der Öffentlichkeit, Bloßstellungen in der Gegenwart von Dritten, bewirken Gesichtsverlust sowohl beim Adressaten der Kritik, wie auch bei ihrem Absender, was zu gesellschaftlicher Ausgrenzung und sozialer Isolation beider Seiten führt.
Tief sitzt in jedem Chinesen bereits von Kindheit an die Furcht, ausgegrenzt und isoliert zu werden. Dies führt zu einer maximalen Konformität und einer beinahe absoluten Anpassung der Chinesen an die Erwartungen der allgemeinen Öffentlichkeit.
Der Chinese fühlt sich nicht schuldig, er schämt sich beispielsweise, in der Öffentlichkeit Trauer oder Wut gezeigt zu haben und dadurch sein Gesicht zu verlieren und sozial ausgegrenzt zu werden.
Die Angst, das Gesicht zu verlieren, bestimmt das Leben und die Handlungen der meisten Chinesen. Sie sind daher extrem vorsichtig und scheuen sich, Risiken einzugehen oder Verantwortung zu übernehmen.
Aus dem Streben nach Harmonie und Wahrung des Gesichts resultiert die hohe Indirektheit der chinesischen Menschen.
Man vermeidet es, direkt sein Anliegen vorzutragen oder schmerzhafte Dinge zu thematisieren.
In endlosen Allgemeinplätzen und quälenden Windungen bewegen sich Gesprächspartner quälend langsam und umständlich auf ihr eigentliches Anliegen zu.
Zentrale Aussagen finden sich daher oft in Nebensätzen, der nonverbalen Kommunikation, dem Minenspiel und der Gestik sowie den Gleichnissen und Allegorien, kommen zentrale Bedeutung innerhalb der Kommunikation mit Chinesen zu.
Kritik lässt sich hervorragend anbringen, wenn man nicht die eigentlich gemeinte Person anspricht, sondern stattdessen einen unbeteiligten Dritten, beispielsweise eine historische Persönlichkeit, welche längst verstorben ist, kritisiert.
Einfache Menschen bringen jedoch Kritik am besten dadurch zum Ausdruck, indem sie subtil und vorsichtig lediglich die eigenen Lebensumstände schildern, ohne dabei auch nur im Ansatz auf die eigentlich zu kritisierende Person einzugehen.
Das Kollektiv, als unterschiedlich dimensionierte Gemeinschaft mehrerer Menschen, genießt im Selbstverständnis der chinesischen Kultur seit je her einen weitaus höheren Stellenwert, als dies das einzelne Individuum tut.
Ihren sprachlichen Ausdruck findet die chinesische Kollektivität im Begriff des Danwei, welcher für Familie, Dorfgemeinschaft, Semester oder Armeeeinheit gleichermaßen stehen kann.
Der Danwei versorgt dabei alle seine Mitglieder, leitet aus dieser oft lebenslangen Versorgung jedoch gleichzeitig auch das Recht ab, sich in jegliche Privatangelegenheiten einmischen zu dürfen.
So weist der Danwei beispielsweise Wohnung und Arbeit zu, er verteilt Löhne, Prämien und Bezugsscheine.
Der Danwei stellt lokale Infrastruktur bereit, indem er die Erlaubnis zur Heirat, zur Scheidung, zum Besuch der Schule, zum Dienst beim Militär, zur Gestaltung der Freizeit, zur Ausübung der Zensur oder zur politischen Schulung erteilt. Der Danwei schlichtet Streit unter seinen Mitgliedern und übernimmt damit bereits einfachste und elementarste Aufgaben von Justiz und Rechtsprechung.
Der Danwei kontrolliert aber nicht nur, er ermöglicht auch bescheidene Ansätze von Demokratie, Mitbestimmung und Partizipation.
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