Schulpsychologie -. Jürgen Mietz
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Название: Schulpsychologie -

Автор: Jürgen Mietz

Издательство: Bookwire

Жанр: Учебная литература

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isbn: 9783737534826

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СКАЧАТЬ von Schule und Gesellschaft einzubeziehen, sie dafür zu nutzen. Individualisierung heißt nicht Vereinzelung, Absonderung vom Gemeinwohl, Egoismus. Im Gegenteil: das individuelle Besondere steht immer in Bezug zum allgemein Menschlichen und Gesellschaftlichen, ist ohne diese nicht denkbar. Je tiefer eigene und fremde Individualität - zusammengesetzt aus unterschiedlichen Herkunftsfamilien, eigentlich Kulturen - verstanden wird, desto deutlicher werden die Bezüge zum Allgemeinen und Universellen, desto klarer wird der Zusammenhang der Wechselwirkung zwischen beiden. Dies zu erkennen und für die individuelle und gesellschaftliche Entwicklung zu nutzen - dazu kann Psychologie im hier vorgetragenen Sinne wichtige Beiträge dazu leisten.

      4 Anwendung des Persönlichkeitsmodells auf Schule

      Eltern können ihren Kindern selbstverständlich behilflich sein, die Schule besser zu meistern, wenn sie zusätzliche Potenziale in ihrer Familiengeschichte entdecken und für das Kind verfügbar machen. Ein großer Teil schulpsychologischer Arbeit hat das zum Inhalt. Für Schule sowie für Lehrer und Lehrerinnen ergeben sich daraus jedoch keine neuen, zusätzlichen Entwicklungsperspektiven. Im Folgenden will ich mich deshalb auf Überlegungen und Aspekte beschränken, die sich auf erweiterte Handlungsmöglichkeiten für Lehrer und Lehrerinnen beziehen.

      4.1 Aspekt: Lehrerinnen-Individualität und Umgang mit schwierigen Kindern

      Kinder zu unterrichten und zu erziehen ist immer eine Herausforderung an das Selbstverständnis (an die versammelten Lebenserfahrungen, an das historisch überlieferte Programm) des Lehrers, der Lehrerin. Wenn es gelingt, die Persönlichkeit als wichtiges Arbeitsinstrument zu sehen, sind neue Zugänge möglich.

      Beispiel: Eine Lehrerin hat Schwierigkeiten, Schülern, aber auch Eltern, orientierend, grenzsetzend gegenüberzutreten, sich »bemerkbar« zu machen. Sie lässt sich von ihren Vorhaben leicht ablenken. Die Kinder zu ermahnen, zeigt keinen dauerhaften Erfolg. Die Analyse der Familiengeschichte ergibt, dass es ein Tabu in der Familie der Mutter der jetzigen Lehrerin gab. Der früh verstorbene Großvater (als die Mutter der Lehrerin 10 Jahre alt war) ist immer ein "weißer Fleck" in der Identitätsbildung der jetzigen Lehrerin geblieben. Kam das Gespräch auf ihn, wurde ausweichend reagiert. Die Befragung ergibt, dass nach den Geburtsjahren der jüngeren Halbgeschwister zu urteilen, die Beziehung der Großeltern durch Trennung beendet wurde und nicht durch Kriegsereignisse, wie man versucht hatte, der Mutter der Lehrerin weiszumachen. Die Mutter der Lehrerin hatte gelernt, einen Teil ihrer Existenz zu verleugnen und geheim zu halten - auch gegenüber der Tochter. Und diese lernte, nicht nachzufragen, sondern zu lavieren; brav zu sein, andere nicht in Schwierigkeiten zu bringen. Dieses Modell der Beziehungsgestaltung hat sie auch in ihrem Beruf verwendet und damit Schwierigkeiten bekommen.

      Die Lehrerin hatte nun zunächst eine Annahme über den Grund ihrer Unsicherheiten und damit einen Ansatzpunkt, sie zu überwinden. Sie befragte ihre Mutter nach deren Vater. Das bedeutete an sich schon eine bis dahin nicht mögliche Auseinandersetzung mit kritischen Themen, ein tendenzielles Aufgeben der Bravheit und Fügsamkeit. Darüber hinaus förderte sie Inhalte der Lebensweise des Großvaters zutage, die den weißen Fleck ihrer Geschichte auffüllten. Zunehmend - auch in Verbindung mit anderen Forschungsergebnissen - konnte sie sich als aktiv handelnde Frau begreifen, Grenzen setzen etc.

      4.2 Aspekt: Individualität und Kooperation Schule - Elternhaus

      Aufgrund persönlicher Geschichte und auf Grundlage des Selbstverständnisses der Schule als Korrektiv zu "schlechten" Elternhäusern handeln Lehrer und Lehrerinnen, wie auch Schulleitungen häufig so, dass sie Familienidentität in Frage stellen. Eltern wehren sich dagegen, können schulische Anliegen nicht unterstützen, müssen sie gar abwehren. Sie spüren deutlicher als der Lehrer selbst, dass dieser das Kind vor seinen Eltern bewahren will oder etwas ganz Neues aus ihm machen will.

      Beispiel: Patrick ist übergewichtig, aggressiv und unangepasst. Bei Zuwendung ist er ganz zugänglich. Die Lehrerin weiß, dass P.s Vater ein Stiefvater ist, der seinen eigenen jüngeren Sohn vorzieht. Von einem Hausbesuch weiß die Lehrerin ebenfalls, dass die Familie sich überwiegend von Pommes frites mit Mayonnaise zu ernähren scheint, dass die Wohnung unsauber ist. Der Junge tut der Lehrerin leid. Die Analyse ihrer Familiengeschichte, die unterschiedlichen Bedeutungen von Sauberkeit, Essen, Trinken, Fürsorge zeigen, dass die Familie des Schulkindes die Gegenbilder zu dem "Gutsein" der Lehrerinnenfamilie repräsentiert. Folge: Das "Schlechte" muss "bekämpft werden. Das Verstehen des eigenen Wertesystems, der spezifischen Moralität ermöglicht es ansatzweise, den Reflex, die in der eigenen Familie abgewerteten und zu bekämpfenden Lebensgewohnheiten auf die Familie des Schulkindes zu übertragen, zu bremsen.

      Die Auseinandersetzung mit der (Lehrerinnen-) Familiengeschichte ermöglichte es der Lehrerin, die Verschiedenheit zu erfassen. Das wiederum hatte zur Folge, dass sie der Familie des Schulkindes mehr mit einer Haltung des Interesses gegenübertreten konnte, als mit der Haltung, korrigierend eingreifen zu sollen.

      Lehrer und Lehrerinnen können dann in eine gute Zusammenarbeit mit Kindern und ihren Eltern kommen, wenn sie sich als Personen einbringen, die die das Besondere des Kindes und seiner Familie zu erfassen suchen, um es für die eigene Aufgabe evtl. nutzen zu können, um es mit schulischen Mitteln weiterzuentwickeln und nicht, um es auszulöschen.

      4.3 Aspekt Individualität und Leitung

      Eine besondere Beachtung für die Entwicklung der Schulen verdient die Leitungspersönlichkeit. So sehr von Schulentwicklung, Profil der Schule etc. die Rede ist, so wenig wird in der Praxis der Persönlichkeit des Leiters, der Leiterin Aufmerksamkeit geschenkt. Vielleicht ist das ein Hinweis darauf, wieweit wir tatsächlich noch von einer Individualisierung entfernt sind und wie sehr immer wieder aufs Neue die Lösung in verbesserter Funktionalität, Anpassung, Kommunikationstechnik gesucht wird. Dies alles hat sicherlich seinen Stellenwert - ohne Individualisierung wären die Reformen lediglich technokratisch, deren erneuernde Kraft bald erlahmt.

      Eine Schule mit Profil benötigt eine Leiterin, einen Leiter mit Profil (und ebensolche Lehrer und Lehrerinnen). Da helfen keine Merkmalslisten der guten Schule. Um eine differenzierte, flexible Schule zu haben, muss die Leitung ebenso beschaffen sein. Sie muss Vielgestaltigkeit der Personen im Kollegium nicht nur dulden können; sie muss sie vielmehr auf der Grundlage eigener vielfältiger Identität zu einem neuen Ganzen integrieren können. Familiengeschichtlich bedeutet das, dass Erfahrungen mit Vielfältigkeit als Bereicherung (und nicht als Bedrohung) zur Verfügung stehen sollten.

      Beispiel: In der Zusammenarbeit mit einem Leiter geht es darum, wie denn konkret der Anspruch zu erfüllen wäre, die Visionen des Schulleiters für die Gestaltung der Schule zu nutzen. Die familiengeschichtliche Erkundung dessen, was ihn als Person ausmacht, erbringt u. a., dass in der Familie sehr unterschiedliche Erfahrungen mit Auswanderung, Flucht, Integration und Scheitern der Integration vorhanden sind. Aus hier nicht genauer zu beschreibenden Bedingungen wurden diese Erfahrungen von seinen Eltern gleichsam mit einem Tabu belegt - das Schweigen und Verdrängen diente ihnen offensichtlich dazu, ein Minimum an Lebenstüchtigkeit zu bewahren; sie hatten sich nach Vertreibung im Wesentlichen über Verlust definiert. Von dem Gedanken angetan, Schule persönlich zu gestalten, begann eine längere Forschungsarbeit des Leiters. Er befragte seine Eltern und er recherchierte die Lebensbedingungen in deren Heimat. Der Leiter überwand das Tabu, wurde zupackender. Aus dem nun freien Umgang mit der eigenen Geschichte und dem hautnah erlebten Drama von Auswanderung, Flucht, Integration erwuchs die Überlegung, dieses Thema zu einem Teil des Schulprofils zu machen. Die Familiengeschichte wurde zu einem Motor der Schulgestaltung.

      Selbstbewusste Schulleiter und Schulleiterinnen, die möglichst wenig Negation in sich tragen, von ihrer Persönlichkeit her ein weites Spektrum unterschiedlicher Individualitäten integrieren können, sind eine gute Voraussetzung für die Entwicklung von Schulen mit Profil, von Schulen, die sich, gemäß den Besonderheiten des Kollegiums, der Schüler und Schülerinnen, des Stadtteils differenzieren können.

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